Corona-Impfung beschäftigt die Justiz
Eine ehemalige Pflegeheim-Mitarbeiterin in Heilbronn verklagt eine Impfärztin. Begründung: Sie sei nicht ausreichend über mögliche Impfkomplikationen aufgeklärt worden. Die Impfärztin widerspricht.

Mitarbeiter von Altenheimen sind mit die ersten, die gegen das Coronavirus geimpft worden sind. Eine Heilbronnerin, die nicht mit ihrem vollständigen Namen in der Zeitung stehen möchte, ist eine von ihnen. Im Januar 2021 erhält die heute 36-Jährige die erste Impfung. Ein paar Wochen später, im Februar, erfolgt die zweite. Die Klägerin sagt, sie habe einen Impfschaden erlitten. Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen und eine Autoimmunerkrankung sollen zu stationären Krankenhausaufenthalten geführt haben. Seit dem Piks gilt sie als arbeitsunfähig. Vor dem Landgericht Heilbronn geht es am Freitag um die Frage, ob die Ärztin, die der Klägerin die Spritzen gab, diese ausreichend über mögliche Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen aufgeklärt hat.
Frage: Erfüllt Aufklärung den Anspruch
Zahlreiche Pressevertreter folgen der Verhandlung. Etwa 20 Zuhörer sitzen auf den Besucherstühlen. Sechs Zeugen sind geladen. Richter Jürgen Rieger macht klar: Ob ein Impfschaden vorliege, werde von Ärzten unterschiedlich bewertet. Diese Frage werde außerdem nicht in diesem Verfahren geklärt. Es geht um den Streitpunkt, ob die erfolgten Informationen im Vorfeld und während des Impftermins den Anspruch erfüllen.
340.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Stegmüller fordert 340 000 Euro für seine Mandantin für entgangene Löhne, Kosten für die Haushaltshilfe und Schmerzensgeld. Dr. Daniela Rubenbauer, Rechtsanwältin der Impfärztin, beantragt, die Klage abzuweisen.
Bogen im Schnellverfahren ausgefüllt
"Es war eine Sache von nicht mal fünf Minuten zwischen Tür und Angel", berichtet die Klägerin vom Ausfüllen des Anamnese- und Aufklärungsbogens während der Arbeitszeit Ende Dezember 2020. Der Bogen erfasst die gesundheitliche Vorgeschichte eines Patienten. Die Pflegeleiterin habe das ausgefüllte Dokument gleich wieder mitgenommen.
Die einstige Vorgesetzte widerspricht im Zeugenstand. Einige Mitarbeiter hätten den Bogen sofort zurückgegeben, andere jedoch hätten ihn mit nach Hause genommen, um ihn dort in Ruhe auszufüllen. Anfang Januar, ein paar Tage vor dem ersten Impftermin, gibt es eine Informations- und Aufklärungsveranstaltung im Pflegeheim. Das Angebot kann die Klägerin nach eigenen Angaben nicht wahrnehmen, weil sie krank ist - was Zeugen bestätigen. Ungeklärt bleibt die Frage, ob der Heilbronnerin eine telefonische Beratung angeboten worden ist. Diese Möglichkeit haben laut Pflegedienstleiterin einige Angehörige von Bewohnern und vereinzelt Mitarbeiter in Anspruch genommen.
Mitarbeiterin berichtet von einem großen Druck
"Warum haben sie nicht beim Impftermin nachgefragt?", will Richter Rieger wissen, warum die Klägerin ihre Fragen und Zweifel nicht beim Impftermin geäußert habe. Es sei nicht möglich gewesen, sagt sie. Es sei so viel losgewesen. "Es war eine Massenveranstaltung." Die Ärzte hätten mit der aufgezogenen Spritze in der Hand dagestanden. Der Druck sei groß gewesen. "Vielleicht habe ich auch einfach vertraut." Einen "großen Druck", sich impfen zu lassen, verspürte eine weitere Zeugin. "Ich fand die Aufklärung mangelhaft." Sie habe sich nicht impfen lassen.
Gericht will Entscheidung in wenigen Wochen verkünden
Die Impfärztin sagt aus, jedem Einzelnen habe sie unmittelbar vor der Impfung drei Fragen gestellt: Ist in den letzten 14 Tagen eine Impfung erfolgt? Haben sich auf frühere Impfungen Reaktionen gezeigt? Gibt es zu dieser Corona-Impfung noch Fragen? Die Klägerin sagt, sie könne sich nicht daran erinnern, dass die Ärztin ihr diese Fragen gestellt habe. "Es ist aber möglich."
Für Rechtsanwalt Stegmüller steht fest: Die Ärztin hätte seine Mandantin mündlich aufklären müssen. Auf dem Aufklärungsbogen, den die Medizinerin beim Impfen vor sich hatte, habe seine Mandantin beim Punkt "Ich verzichte auf ärztliche Aufklärung" kein Kreuzchen gemacht. Die Ärztin hätte das zum Anlass nehmen müssen, nachzufragen und seine Mandantin aufzuklären.
Das Gericht will seine Entscheidung am 14. Februar verkünden. Sollte es zu dem Schluss kommen, dass die Aufklärung ungenügend gewesen ist, soll ein Gutachter klären, ob ein Impfschaden vorliegt.
Wie viele Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt werden
Seit Beginn der Corona-Impfungen sind beim Versorgungsamt des Hohenlohekreises vier Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens eingegangen, sagt Sascha Sprenger, Sprecher des Landratsamts. Entschieden sei noch keiner. Das Heilbronner Landratsamt, das die Anträge der Stadt Heilbronn mitbearbeitet, registriert 38 Anträge. Davon seien 28 in Bearbeitung, sagt Behördensprecherin Lea Mosthaf. Sieben Anträge wurden abgelehnt und drei anerkannt. Dem Sozialministerium Baden-Württemberg zufolge sind bis zum 30. September 494 Anträge bei den Versorgungsämtern des Landes eingegangen, aktuellere Zahlen sollen nächste Woche vorliegen, sagt Ministeriumssprecher Florian Mader. Bislang sei in neun Fällen ein Schaden anerkannt worden, der eine laufenden finanzielle Versorgung der betroffenen Menschen zur Folge hat. Bei drei Anträge seien Schäden mit geringeren gesundheitlichen Auswirkungen und damit ohne Versorgungsleistungen anerkannt worden. 44 Anträge wurden abgelehnt und 29 Anträge hätten sich aus sonstigen Gründen erledigt. 409 weitere Anträge seien noch nicht entschieden.