"Chronische Einsamkeit ist ein schreckliches Gefühl"
Professor Clemens Tesch-Römer über das Leiden unter dem Alleinsein und warum es gut ist, Freundschaften zu pflegen.

Einsamkeit ist ein Gefühl, das unabhängig vom Alter jeden treffen kann. Dies bestätigen Studien, die das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) seit 20 Jahren regelmäßig erstellt. Erst im hohen Alter wird die Gruppe der sehr einsamen Menschen größer, sagt Institutsleiter Clemens Tesch-Römer. Und Männer tun sich meist schwerer als Frauen damit, allein zurechtzukommen.
Was ist Einsamkeit, Herr Tesch-Römer?
Clemens Tesch-Römer: Ganz wichtig ist es, zu unterscheiden zwischen sozialer Isolation und Einsamkeit. Wer kaum Freunde oder Bekannte hat, ist zunächst einmal sozial einsam. Das Alleinsein muss aber nicht zwangsläufig negative Folgen haben. Es gibt Menschen, die genießen es, alleine Zeit zu verbringen. Das ist nicht mit emotionaler Einsamkeit zu verwechseln. Einsam sind Menschen, wenn sie subjektiv das Empfinden haben, unter dem Alleinsein zu leiden. Einsamkeit ist ein Gefühl.
Sind ältere Menschen häufiger einsam als jüngere?
Tesch-Römer: Nein, das ist ein Irrglaube. Bei älteren Menschen nimmt die soziale Isolation zu. Das ja. Entscheidend ist jedoch, ob sie eine Vertrauensperson haben, ob jemand da ist, der sie tröstet. Ob es jemanden gibt, mit dem sie ihre Sorgen und Nöte besprechen. Die emotionale Einsamkeit ist altersunabhängig. Dieses subjektive Empfinden, unter dem Alleinsein zu leiden, nimmt mit dem Alter nicht zu.
Warum denken wir dann, dass Senioren eher einsam sind?
Tesch-Römer: Weil in der Tat bei den sehr betagten Menschen, die beispielsweise pflegebedürftig sind, die Gefahr von Einsamkeit zunimmt. Sie wird dann zum Thema, wenn sich die Lebenssituation ändert, etwa durch den Verlust des Partners oder der Partnerin.
Dass der Mensch, mit dem man 50 Jahre lang verheiratet ist, stirbt, kommt ja im Alter nun mal häufiger vor.
Tesch-Römer: Die Verwitwung ist ein kritisches Lebensereignis. Ältere Menschen sind jedoch darauf vorbereitet, sie erwarten das. Deshalb kann der Verlust des Partners durch einen Unfall oder Tod einen jüngeren Menschen sogar stärker treffen.
Trifft Einsamkeit ältere Männer heftiger als Frauen?
Tesch-Römer: Männer profitieren von einer Partnerschaft mehr als Frauen. Das liegt daran, dass es nach wie vor so ist, dass Frauen in einer Beziehung den strukturierenden und den versorgenden Part übernehmen. Männer stehen nach dem Tod der Partnerin häufig hilfloser und einsamer da als Frauen im umgekehrten Fall. Männer tun sich meist schwerer damit, allein zurechtzukommen.
Was macht es mit einem Menschen, wenn er sich wirklich einsam fühlt?
Tesch-Römer: Chronische Einsamkeit ist ein ganz schreckliches Gefühl, eine krankmachende Erfahrung. Sie löst starke psychologische Stressreaktionen im Körper aus. Die gesundheitlichen Folgen sind vergleichbar mit denen des Rauchens, Übergewicht oder Bluthochdruck.
Was können Menschen frühzeitig tun, um im Alter nicht einsam zu sein?
Tesch-Römer: Wichtig ist ein großer Freundes- und Bekanntenkreis; dass man sich nicht nur auf den Partner oder die Partnerin verlässt. Wichtig ist, auch im Alter Vertrauenspersonen zu haben. Deshalb sollten wir den Kontakt zu Freunden und Bekannten schon in jüngeren Jahren pflegen.
Zur Person
Professor Dr. Clemens Tesch-Römer leitet seit 1998 das Deutsche Zentrum für Altersfragen in Berlin. Seit 2003 ist er Professor am Fachbereich für Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte des Psychologen sind soziale Beziehungen und soziale Integration älterer Menschen.