Cannabis als Medizin - nur ein Hype?
Seit Cannabis als Therapeutikum eingesetzt werden kann, ist die Nachfrage stark gestiegen. Zu Unrecht, sagt Schmerzspezialistin Kristin Kieselbach bei der Abendvorlesung.

Cannabis kann seit rund zwei Jahren leichter als Therapeutikum eingesetzt werden. Seitdem, so der Eindruck von Kristin Kieselbach, ist ein regelrechter "Hype" um die Pflanze entstanden. Wenn tatsächlich alle kursierenden Annahmen zu Cannabis stimmen würden, sagt sie, "gäbe es für uns Ärzte gar keinen Grund mehr, überhaupt noch andere Medikamente anzuwenden".
Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg bestätigen die hohe Nachfrage: Lag die Zahl der Patienten im Südwesten, die ein Cannabis-Produkt verordnet bekommen, im ersten Quartal 2017 noch bei rund 800, ist sie im dritten Quartal 2018 auf 3277 gestiegen. 1159 Praxen haben zuletzt Cannabis verordnet.
Für die Krankenkassen haben sich die Kosten dadurch deutlich erhöht. Bei der AOK Baden-Württemberg lagen sie 2017 noch bei rund 1,7 Millionen Euro - Ende November 2018 bereits bei 5,6 Millionen Euro. Auch bei der Abendvorlesung treibt das Thema die Zuhörer um - besonders viele Fragen zu medizinischen Cannabis-Anwendungen sind eingegangen, wie Moderatorin Iris Baars-Werner sagt.
Mediziner kennen die Wirkungen noch nicht genau
Kieselbach warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen. Was man weiß: Cannabis-Rezeptoren befinden sich an ganz vielen Stellen im Körper. Damit gebe es eine Vielzahl möglicher Wirkungen. Nur kenne man die noch nicht genau. "Und wie ist es überhaupt mit der Sicherheit?", fragt sie. Man wisse nichts über die Langzeiteffekte, habe keine Erkenntnisse zum Einsatz bei älteren, kranken Menschen. Auch das Thema Fahrtüchtigkeit nach Einnahme eines Cannabis-Präparats sei nicht ausreichend beleuchtet.
Kieselbach sagt, zum jetzigen Zeitpunkt handle es sich beim medizinischen Einsatz der Pflanze "fast immer um individuelle Heilversuche". Für die Therapie chronischer Schmerzen sieht sie allenfalls "leichte Verbesserungen, etwa bei einem von zehn Patienten". Kieselbach: "Der Schmerz geht runter, weil Entspannung und Wohlgefühl da sind." Dieses Gefühl könne man im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie mit besser erprobten Methoden aber ebenso erzeugen.
Cannabiskonsum kann durchaus gefährlich werden
Was in ihren Augen ganz wichtig ist: Nur Ärzte, die sich damit auskennen, sollten Cannabis verschreiben. Die Verordnung sei, anders als bei anderen Medikamenten, ohne Zulassungsverfahren in ärztliche Verantwortung gegeben worden: "ein Systembruch". Dabei könne Cannabis - man weiß das aus dem Freizeitkonsum - durchaus gefährlich werden bei Patienten, die von Psychosen und Schizophrenie betroffen sind. Deshalb sei eine ausführliche Diagnostik, am besten unter Einbeziehung psychischer Komponenten, absolut notwendig.