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Bürger-Uni: Klimapositive Fußabdrücke hinterlassen

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Von der Natur lernen: Mit dem Prinzip "Cradle to Cradle" verspricht Professor Dr. Michael Braungart einen ewigen Kreislauf ohne Abfälle. Was wir sonst noch in Sachen Klimaschutz vom Kirschbaum lernen können, verriet der Chemiker und Verfahrenstechniker bei der Bürger-Uni Heilbronn.

von Milva-Katharina Klöppel
Von A wie Ameise bis Z wie Zerstörung: Prof. Dr. Michael Braungart versteht es, seinem Publikum schwierigste Themen verständlich näher zu bringen.
Von A wie Ameise bis Z wie Zerstörung: Prof. Dr. Michael Braungart versteht es, seinem Publikum schwierigste Themen verständlich näher zu bringen.  Foto: Berger, Mario

Drei japanische Kirschbäume stehen vor der Aula des Bildungscampus, in der am Donnerstagabend erneut die Heilbronner Bürger-Uni stattfand. Besser hätte es für Professor Dr. Michael Braungart nicht laufen können. Die zart in Rosa blühenden Bäumchen gehören zu den liebsten Anschauungsbeispielen des Chemikers und Verfahrenstechnikers, der zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough die Methode "Cradle to Cradle" (C2C) entwickelte. Übersetzt bedeutet das "von der Wiege zur Wiege" und ist das Gegenbild zu "Cradle to Grave" - von der "Wiege bis zur Bahre". Mit dieser Phrase ist der Weg eines Produktes zur Deponie gemeint. Sie steht für Überproduktion und Wegwerfmentalität, kurz: für die Zerstörung des Planeten.

Ganz anders bei Braungart, der in Schwäbisch Gmünd aufwuchs. Seine Idee: Produkte werden von Anfang an so konstruiert, dass sämtliche Materialien wieder verwendet oder ohne schädliche Rückstände kompostiert werden können. Nach dem Vorbild eines Kirschbaums sollen Menschen in Zyklen produzieren und alte Waren in neue verwandeln.

Warum nur neutral?

"Heilbronn möchte klimaneutral werden", fährt der 64-Jährige in seinem insgesamt 60-minütigen Vortrag fort. "Aber haben Sie jemals einen klimaneutralen Baum gesehen? Kein Baum ist klimaneutral - zum Glück nicht. Aber für uns ist es, wenn es um die Umwelt geht, das Höchste, nicht zu existieren." Mit Aussagen wie diesen begeistert Michael Braungart, und polarisiert. Schließlich verlangt er nicht weniger, als einen Bruch mit dem traditionellen Denken über Rohstoffe, Herstellungsprozesse und Produkte. Fast wie ein Mantra wiederholt der Wissenschaftler den gesamten Abend, dass wir Menschen "das Falsche perfekt machen und das perfekt falsch".

Was ist das Richtige?

Die Frage sei hingegen nicht, wie wir etwas richtig machen, sondern vielmehr was das Richtige sei. "Das grundsätzliche Problem ist, dass die Menschen denken, es ist besser, wenn es sie gar nicht gäbe. Wir entschuldigen uns immer, dass wir da sind", führt Michael Braungart aus. Sein Ansatz: Statt nur "klimaneutral" zu sein, sollten wir "klimapositiv" werden, also Umwelt und Klima nicht bloß weniger schaden, sondern nützen. "Ein Baum ist nicht klimaneutral, er ist gut fürs Klima", erklärte Braungart sein Konzept. Alle anderen Tiere auf der Welt seien nützlich, die Menschen seien die einzigen, die Abfall machen. Wenn man Wasser spare, weniger Energie verbrauche und weniger Müll produziere, schütze man die Umwelt nicht - man zerstöre sie nur etwas weniger.

Zuhörer bestens unterhalten

Dass Braungart, der bereits an berühmten Universitäten wie Stanford oder Harvard lehrte, und eben dort in Amerika lernte, dass man seine Zuhörer niemals langweilen darf, wenn man sie erreichen will, kommt der Bürger-Uni sehr zugute. Auch wenn es dem Moderator des Abends Professor Dr. Helmut Krcmar gerade in der Diskussionsrunde nicht immer leicht fällt, den Redefluss von Braungart zu stoppen.


Der Livestream war hier zu verfolgen - und ist auch noch nach Veranstaltungsende abrufbar (klicken Sie auf "Akzeptieren", um das Youtube-Video starten zu können):

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Dienstleistungen statt Produkten verkaufen

Darüberhinaus besonders an der Cradle-to-Cradle-Denkschule: Anstelle von Produkten werden Dienstleistungen verkauft. "25 Jahre Sehen durch Fensterscheiben" oder "Zehn Jahre gesundes Sitzen auf einem Bürostuhl". Mit Ende der Nutzung geht das Material wieder zurück an den Hersteller, und die Bestandteile können neu verwertet werden. Es lohnt sich also für den Hersteller, ein Gerät zu entwickeln, das nicht repariert werden kann. Auf diese Weise, so das Kalkül der C2C-Denkschule, werden die besten und nicht die billigsten Materialien verwendet. Michael Braungart fordert definierte Nutzungszeiten, nicht Langlebigkeit: "Jeder Gegenstand hat eine ideale Nutzungszeit. Eine Waschmaschine, die 30 Jahre hält, ist absurd. Ihr Innovationszyklus beträgt etwa acht bis neun Jahre. Danach können die veralteten Komponenten ausgetauscht und die anderen weiter genutzt werden. Oder die Maschine wird komplett auseinandergebaut, um die Materialien in völlig anderen Produkten zu verwenden."

Prinzip des Kreislaufs

Dabei unterscheidet Cradle to Cradle zwischen dem biologischen Kreislauf (in dem Materialien zirkulieren, die gesundheitsverträglich und kompostierfähig sind) und dem technischen Kreislauf, dessen Rohstoffe (beispielsweise Kunststoffe oder Metalle) sortenrein und mit geringem Aufwand voneinander getrennt und neu verarbeitet werden können. Die Ressourcen für die Produkte werden den beiden Kreisläufen entnommen und nach der Nutzung zurückgegeben. In diesen zwei Kreisläufen könnten wir geradezu verschwenderisch produzieren und konsumieren, sagt Braungart, ohne uns oder der Umwelt zu schaden. Ganz nach dem Motto des Abends: "Intelligente Verschwendung rettet die Welt - über die Zukunft von Nachhaltigkeit und Ökologie".

Skepsis vehement abgelehnt

Der blühende Kirschbaum ist Symbol der Materialverschwendung ohne Umweltschäden: Die vielen Blüten und ihre Nährstoffe werden von anderen Organismen weiterverwendet, er nimmt Kohlendioxid auf und produziert Sauerstoff. Foto: nenetus/stock.adobe.com
Der blühende Kirschbaum ist Symbol der Materialverschwendung ohne Umweltschäden: Die vielen Blüten und ihre Nährstoffe werden von anderen Organismen weiterverwendet, er nimmt Kohlendioxid auf und produziert Sauerstoff. Foto: nenetus/stock.adobe.com  Foto: Lifestock

Der am Ende in der Diskussion geäußerten Skepsis, ob sich die Ideen der Kreislauf-Ökonomie so radikal umsetzen lassen - zu kostenintensiv und nicht für alle Produkte realisierbar - widerspricht der Chemiker vehement. In der Industrie gäbe es bereits zahlreiche Partner, die sich an der Umsetzung versuchen. Darunter auch Firmen in der Region Heilbronn-Franken, die Braungart mehrmals in seinem Vortrag lobend erwähnt. Der Familienvater ist davon überzeugt, dass es Menschen bedarf, die sich trauen, innovativ zu handeln. Und einer Kultur der Großzügigkeit: "In der wir uns freuen, wenn es dem anderen einfach gut geht."

Der Referent

Michael Braungart (1958) ist Professor für Cradle to Cradle & Öko-Effektivität an der Leuphana Universität Lüneburg. Gemeinsam mit William McDonough entwickelte er Ende der 1990er-Jahre das Cradle-to-Cradle-Konzept. Zusammen veröffentlichten sie dazu 2002 das Buch "Einfach intelligent produzieren". Braungart studierte Chemie und Verfahrenstechnik und promovierte an der Universität Hannover im Fachbereich Chemie. In den 1980er Jahren engagierte er sich bei der Umweltorganisation Greenpeace und half mit, dort ab 1982 den Bereich Chemie mit aufzubauen, deren Leitung er 1985 übernahm.

Die Bürger-Uni

Die Bürger-Uni ist ein kostenloses Angebot für alle Wissbegierigen. Ihnen werden fundierte wissenschaftliche Ergebnisse unterhaltsam und verständlich dargeboten. Bei der Heilbronner Bürger-Uni handelt es sich um ein Kooperationsprojekt von Dieter-Schwarz-Stiftung, TUM Campus Heilbronn und der Mediengruppe Heilbronner Stimme. Üblicherweise finden pro Jahr drei Vorlesungen mit wechselnden Referenten statt.

 
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