Besuch im Raum der Stille auf dem Heilbronner Bildungscampus
Für ein Gebet, eine Meditation oder eine kleine Auszeit gibt es auf dem Heilbronner Bildungscampus einen ganz speziellen Ort. Egal ob gläubig oder nicht: In dieser Oase der Ruhe ist jeder willkommen.

Der Raum der Stille hat einen sehr profanen Namen, der so ganz und gar nicht zu der Oase der Ruhe passt, die er darstellt und ausstrahlt. "T.1.32" steht auf einem kleinen Schildchen neben der Eingangstür. Was in der Nomenklatur des Campus' heißt: im Gebäude T, 1. Stock, Zimmer 32. Die rund 25 Quadratmeter stehen allen Studierenden offen, egal welcher Religion oder Konfession sie angehören, Atheisten sind ebenso willkommen.
Wer eine Auszeit vom hektischen Lernalltag sucht, meditieren will oder einfach nur eine kurze Erholungspause braucht, ist bestens aufgehoben. Denn auch Studierende leben nicht vom Brot allein. Einziges Tabu: Man muss die Schuhe ausziehen, ehe man den Raum der Stille betritt.
Eine Mini-Bibel gibt es hier zum Mitnehmen
Der Raum hat große Fenster mit Blick zur Experimenta. Sechs tiefrote, große Sitzkissen bilden den Kontrast zum flauschigweichen, hellen Teppichboden. Auf den wenigen Tischen stehen batteriebetriebene Kerzen. Echte Kerzen sind hier nicht erlaubt. In einem Büroschrank lagern Gebetsteppiche und -schriften für Muslime.
Im Schrankfach nebenan stapeln sich Gebetshocker mit passend zugeschnittenen Flokati-Sitzauflagen. Eine einzelne kleine Taschenbibel in deutscher Sprache liegt einsam in einem Regalfach. Auf der Heiligen Schrift en miniature klebt ein gelber Zettel, auf dem steht: "Zum Mitnehmen."
Der Raum hat zwei Eingänge und zwei Waschräume für rituelle Waschungen, wie sie Muslime vor ihren Gebeten vornehmen. Es gibt auch einen Vorhang, mit dem sich das Zimmer teilen lässt, "um die Geschlechter beim Gebet zu trennen", berichtet Wibke Backhaus. Die Referentin für Gleichstellung und Diversität der Hochschule Heilbronn stellt klar, "dass das hier keine Moschee oder Kapelle ist. Deshalb hängt hier auch kein Kreuz. Der Raum bleibt neutral und frei für alle." Darum soll auch keiner etwas nach der Nutzung liegen lassen, das dann den Eindruck erwecken könnte, ein anderer sei hier nicht willkommen.
Frühzeitig den Bedarf erkannt

Diese kleine, besinnliche Enklave in dem hochmodernen, lichtdurchfluteten Gebäude ist einmalig auf dem Bildungscampus. Der Sontheimer Standort hat nichts Ähnliches, am Künzelsauer Campus wird aber ein weiterer Raum der Stille eingerichtet, der im Sommersemester zur Verfügung stehen soll. Eröffnet wurde die Insel mit der Eröffnung des neuen Gebäudes im Oktober 2019. "Wir haben frühzeitig den Bedarf erkannt", berichtet Birgit Englert, Mitarbeiterin im Referat. Zwar ist es noch zu früh, um zu sagen, wie oft der Raum der Stille von wem genutzt wird.
Das Zimmer ist jedenfalls zu den üblichen Schließzeiten des Campusgebäudes geöffnet - von 7 bis 22 Uhr. Aber der Ort kann schon als Spielwiese des guten Miteinanders auf dem Bildungscampus dienen. In der Nutzungsordnung, die an der Eingangstüre angebracht ist, steht, dass Respekt und Akzeptanz Grundlage für die Nutzung sind. "Zu Konflikten kam es bisher nicht", erklärt Wibke Backhaus.

Vielversprechend war der Start des hochschulübergreifenden Projekts: "Bei der Eröffnung haben wir interreligiöse Andachten gefeiert, da waren Christen und Muslime dabei", berichtet die evangelische Hochschulseelsorgerin Christine Marschall. Sie hat mit ihrer katholischen Kollegin Cornelia Reus das Büro gleich nebenan. Es gibt auch die Möglichkeit, den Raum zu buchen. Gläubige Studierende haben etliche Ansprechpartner, etwa die evangelisch-katholische "Kirche am Campus", die freikirchliche Gemeinschaft SMD oder die Muslimische Studierendengemeinschaft.
Manche machen einfach nur ein Nickerchen
Wer sich bei den Studierenden umhört, bekommt ganz unterschiedliche Reaktionen auf den Raum der Stille. Es hat sich herumgesprochen, dass es ihn gibt. Einige gehen allerdings nicht hin, weil "man da die Schuhe ausziehen muss", sagt ein Paar - und kichert dabei laut los. Ein anderer Student, ein Muslim, lobt das Angebot: "Viele beten dort, das ist eine gute Einrichtung." Es gibt aber auch einige, die hier einfach nur ein Nickerchen machen, berichtet Pfarrerin Christine Marschall. Powernapping für Studierende im Lernstress, auch dafür ist der Raum der Stille gut.

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