Beispielloser Angriff auf Einsatzkräfte
Rettungsdienste, Feuerwehr und Polizei haben es immer wieder mit renitenten Menschen zu tun. Der Fall eines 72-Jährigen, der zwei Rettungssanitäterinnen mit Absicht angefahren haben soll, ist aber selten.

Die Polizei hat den Mann ausfindig gemacht, der vergangenen Montag zwei Rettungssanitäterinnen in der Heilbronner Herbststraße bei ihrer Arbeit behindert und verletzt haben soll. Der 72-jährige Tatverdächtige äußert sich laut Polizei nicht. Sein Motiv ist unklar.
"Es ist sein Recht als Beschuldigter, keine Angaben zu machen", sagt Polizeisprecher Frank Belz. Es gebe keine Hinweise, dass er Drogen oder Alkohol eingenommen hatte. Wer die Beifahrerin im Auto des 72-Jährigen war, ist der Polizei zurzeit noch unbekannt.
Gegen Schienbein gefahren
Der 72-Jährige aus einer Landkreisgemeinde soll am Montag gegen 10.40 Uhr mit einem weißen Mercedes dicht hinter einem ASB-Einsatzwagen gehalten haben, der rechts am Straßenrand hielt. Zwei Sanitäterinnen war es nicht möglich, eine 91 Jahre alte Patientin, angegurtet auf der Transportliege, in den Krankenwagen zu schieben. Der Mann soll noch dichter aufgefahren sein, die Liege mit der Patientin kippte um, die Frau erlitt eine Beule am Kopf. Außerdem soll der Mann gegen die Schienbeine der Sanitäterinnen gefahren sein. Bei dem Vorgang handelt es sich laut Belz um einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Eventuelle weitere Straftaten wie Körperverletzung oder Nötigung würden darunter subsummiert. Der Fall geht an die Staatsanwaltschaft.
Die Parkmöglichkeiten in der Herbststraße sind beschränkt. Dort lässt sich immer wieder beobachten, dass Autos den Verkehr behindern. Es befinden sich nicht nur Arztpraxen in der Straße, sondern an der Ecke zur Wollhausstraße gibt es auch eine Apotheke. Der ASB Heilbronn möchte sich im laufenden Verfahren nicht äußern.
Verletzte Polizisten
Dass Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit behindert werden, kommt vor. "So etwas gab es auch schon früher", meint Reinald Gütter, stellvertretender Rettungsdienstleiter des DRK Heilbronn. Tendenziell nehme respektloses Verhalten vielleicht zu, formuliert er es vorsichtig. Als einen "absoluten Ausnahmefall" bewertet er dagegen das aktuelle Vorkommnis. "So etwas haben wir in dieser Qualität noch nicht gehabt", sagt er.
"Dass Anordnungen ignoriert oder 100 Mal hinterfragt werden", erfahren auch Polizisten, bestätigt Achim Küller, Sprecher des Heilbronner Präsidiums. Die Zahl der verletzten Beamten durch Dritte liegt im Jahr 2015 bei 20 in der Stadt und im Landkreis Heilbronn und sieben im Hohenlohekreis, 2017 sind es 38 und zwölf verletzte Polizisten.
Viel mehr Einsätze
Gedankenlosigkeit, Arroganz und Ignoranz, Rücksichtslosigkeit - all das kam vor 30 Jahren auch schon vor, sagt Udo Bangerter, Sprecher des DRK-Landesverbands in Baden-Württemberg. Seitdem habe sich die Zahl der Einsätze "verdoppelt und verdreifacht", gibt er zu bedenken. Folglich würden auch negative Reaktionen zahlenmäßig zunehmen. Eine Statistik dazu führt das DRK nicht. Dennoch sieht er tendenziell eine überproportionale Steigerung derartiger Vorkommnisse.
Was dagegen nicht zugenommen habe, seien körperliche Angriffe. "Bei Gewalt erfolgt eine Anzeige." Diese werden statistisch erfasst. Um den anspruchsvollen Alltag zu meistern, gehören dem DRK zufolge Kommunikation, Deeskalation und das Verhalten in Gefahrensituationen inzwischen zur Berufsausbildung. Bei einem Unfall beispielsweise befänden sich Beteiligte oder Angehörige von Verletzten in einer Ausnahmesituation. "Wir müssen einfühlsam vorgehen, damit können wir Druck rausnehmen."
"Ich möchte da keinen Trend rauslesen", antwortet Uwe Vogel, Kreisbrandmeister im Landkreis, auf die Frage nach einer Einschätzung des aktuellen Vorfalls in der Herbststraße. Dass Beleidigungen, körperliche oder verbale Angriffe auf Feuerwehrleute zunehmen, "das ist nicht verifizierbar". Bedeutende Probleme macht er nicht aus. Udo Bangerter lässt das Ereignis in Heilbronn nicht als etwas Typisches dastehen: "Einsatzkräfte erfahren auch viel Zuspruch."
Beispielhaftes Training
Von Valerie Blass
Es kommt immer wieder vor, dass Menschen aneinander hochgehen", sagt Götz Geldner, Klinikdirektor am RKH-Klinikum in Ludwigsburg und selbst Notarzt. "Aber solch ein Verhalten gegenüber Rettungskräften geht natürlich gar nicht." Da müsse man klare Grenzen aufzeigen - notfalls mithilfe der Polizei.
Geldner plädiert dafür, das Thema breiter in der Ausbildung zu verankern: "Die Rettungskräfte müssen besser auf brenzlige Situationen vorbereitet werden und deeskalierendes Verhalten trainieren."
Am RKH-eigenen Simulationszentrum in Vaihingen / Enz gibt es solche Trainings. "Wir durchlaufen unterschiedliche Szenarien, in denen der Umgang mit Gewalt trainiert wird", sagt der Technische Leiter Martin Schneider. Man lerne, erst die Lage zu bewerten und sich zurückzuziehen, wenn sie nicht sicher erscheine, denn der Eigenschutz gehe vor. Schneider: "Das kostet Zeit und kann dazu führen, dass der Patient schlechtere Überlebenschancen hat."
In den USA gehören Geldner zufolge kugelsichere Westen für Ärzte und Sanitäter zur Standardausrüstung. "Das sind Verhältnisse, die ich hier eigentlich nicht haben möchte."