100 Jahre Sparkasse Wüstenrot: Als das Los über die Zuteilung von Baugeld entschied
Vor 100 Jahren gründete Georg Kropp in Wüstenrot die erste Bausparkasse Deutschlands. Wer war dieser Mann, und was ist aus seiner Idee geworden. Wie profitiert die Gemeinde davon?

Wille, Sparen, Gottvertrauen werden Vaterhäuser bauen": Heute klingt das eigenartig, was da auf dem Ehrengrab auf dem Wüstenroter Friedhof zu lesen ist. Die Schlagwörter charakterisieren aber treffend den Mann, der 1943 hier seine letzte Ruhe fand und dessen "Erfindung" zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte wurde und Wüstenrot dauerhaft Berühmtheit gebracht hat.
Vor 100 Jahren gründete Georg Kropp die erste Bausparkasse Deutschlands, die Gemeinschaft der Freunde Wüstenrots (GdF), die 1999 in die Wüstenrot Bausparkasse AG umfirmiert wurde. "Jeder Familie ihr Eigenheim": Das war Kropps Idee, für die er missionarisch im gesamten Deutschen Reich warb. Der Aufruf stieß auf großes Echo. In einer Zeit der Wohnungsnot war das Bausparen für breite Bevölkerungsschichten die einzige Möglichkeit, der Großfamilie zu entfliehen und sich ein eigenes Nest zu bauen.
Die Gründung im Jahr 1924
Am 16. Februar 1924 hob Kropp mit Idealisten, die er um sich scharte, im "Silbernen Hecht" in Stuttgart die Bausparkasse Gemeinschaft der Freunde - den Verein hatte er 1921 gegründet - aus der Taufe. Crowdfunding nennt man es heute, so der Hinweis auf der Homepage der AG, damals handelte es sich um kollektives Zwecksparen. "Wenn ein großes Kollektiv gemeinsam für ein Ziel spart, ist mehr erreicht, als wenn jeder nur für sich spart", erklärt der Kurator des Bausparmuseums, Christoph Seeger, das einfache Prinzip. Sobald genügend Geld in der Kasse war, entschied das Los aus dem Suppentopf, wer die Zuteilung bekam.
Der erste Bausparvertrag
Johannes Rau, Bahnvorsteher aus Heidenheim, schloss am 7. April 1924 den ersten Bausparvertrag ab. Das erste Baugeld über 10 000 Mark ging im November an den Heidenheimer Postautofahrer Josef Kümmel. Die Entwicklung war rasant. Ein Jahr später gab es 145 Zuteilungen, 1926 waren es 596. Von 1948 bis Anfang der 1960er Jahre summierten sich die Zuteilungen auf 3,88 Milliarden DM, mit denen 205.800 Häuser und 374.100 Wohnungen gebaut wurden. Original-Kreditakten sind nicht nur von Tiermediziner Dr. Bernhard Grzimek oder dem Physik-Nobelpreisträger Dr. Rudolf Mössbauer vorhanden, sondern auch von Thomas Gottschalk.
Die Wüstenrot Bausparkasse verwaltete 2022 rund 2,6 Millionen Bausparverträge mit einer Summe von mehr als 127 Milliarden Euro. Damit wurde 2022 laut Pressestelle das beste Brutto-Neugeschäft in der Geschichte erzielt. Neben Bausparverträgen und -finanzierungen rückt immer mehr auch die Finanzierung von energetischen Sanierungen von Immobilien in den Fokus der Nummer zwei der deutschen Bausparkassen.
Wer war dieser Bauspar-Missionar?
"Er hatte einen festen Willen", sagt Seeger. Es lief aber so manches schief bei Georg Kropp, der am 1. Dezember 1865 im polnischen Swinemünde auf Usedom geboren wurde. Er war ein Tausendsassa, lernte Drogist, verlor aber seine eigene Drogerie in Mannheim. "Was er nicht konnte, war buchhalterisch wirtschaften", weiß Seeger. Kropp verdingte sich als Pharmavertreter und Werbetexter, gab als Berufsbezeichnung Schriftsteller an. Von "Armut zum Wohlstand" über "Merkbuch für die junge Mutter" hin zu den Monatszeitschriften "Der Pilz- und Kräuterfreund" und "Mein Eigenheim" reichten seine Publikationen.
Kropp war laut Seeger ein Patriarch mit veralteten Vorstellungen von Familie. Als frommer Mensch - er war methodistischer Laienprediger - hatte er eine ausgeprägt soziale Ader, deshalb seine Lebensaufgabe, Menschen zu einem Eigenheim zu verhelfen. Kropp war ein Weltverbesserer. Sein Motto: Werke nicht Worte, Taten nicht Tinte. Er war ein Feind des Alkohols, eine strikter Vertreter der Abstinenzler-Bewegung, der dem Deutschen Guttempler-Orden beigetreten war. Zu seinem 65. Geburtstag am 1. Dezember 1930 verlieh ihm die Gemeinde Wüstenrot die Ehrenbürgerwürde. Mit 77 Jahren starb der Bausparkassen-Gründer in der Nacht zum 22. Januar 1943.
Ein steiler Aufstieg
Die Bausparkasse ließ das Dorf mit rund 600 Einwohnern ein Stück weit aufblühen, auch wenn Kunsthistoriker Seeger meint, dass die Gemeinde die Chance nicht so richtig ergriffen hätte. Denn der steile Aufstieg der GdF schaffte Arbeitsplätze, 1925 waren es 76, 1928 schon 241. Das Büro im eigenen Wohnzimmer in der Haller Straße 3 war längst zu klein geworden, angemietete Räume im Rathaus und die "Villa Daheim" reichten nicht mehr aus. Kropp wollte nach Heilbronn expandieren.
Oberbürgermeister Emil Beutinger winkte ab. Er betrachtete die Bausparkasse als Eintagsfliege, und so zog die GdF 1930 nach Ludwigsburg. Dort hatte die Stadt ihr ein Verwaltungsgebäude gebaut. 2023 erfolgte der Umzug des W&W-Konzerns, zu dem die Wüstenrot Bausparkasse mit rund 1800 Mitarbeitern gehört, auf den Campus in Kornwestheim.
Es kam zum Bruch
Bausparkasse und Wüstenrot: Das war für Georg Kropp eine Einheit. Verbittert trat er von seinen Ämtern zurück. Trotz Mahnschreibens der GdF gab er die Continental-Schreibmaschine nicht zurück. Seine 1930 gegründete Neue Bausparkasse GmbH scheiterte vier Jahre später. Von der GdF bekam er eine kleine Pension, zum Lebensunterhalt trugen auch seine selbst hergestellten Kropp-Salben bei.
Ein Museum mit Alleinstellungsmerkmal
Das einzige Bausparmuseum Deutschlands wurde 1996 im Kropp"schen Wohnhaus eingerichtet. Träger ist die Gemeinde. Die Bausparkasse steckte 250.000 Euro in die Renovierung. Jährlich bezahlt sie eine Ehrenamtsentschädigung für die Helfer. Für neue Mitarbeiter und Auszubildende gehört eine Führung zum Standardprogramm.
Dauerhafte kostenlose Werbung
"Der Name Wüstenrot wurde durch die Gründung der Bausparkasse in die Welt getragen", sagt Bürgemeister Timo Wolf zur kostenlosen Werbung. Die Bausparkasse sei eine Marke und ein Frequenzbringer, von dem Geschäfte und Gastronomie profitierten. "Die Menschen bringen Wüstenrot mit der Idee des Bausparens zusammen." Aber außerhalb der Region nicht mit dem Ort. Und so passierte es, dass Künstler, die für Kultur auf der Burg Maienfels engagiert waren, an der Haltestelle Wüstenrot in Ludwigsburg ausstiegen.
Museums-Anbau und Jubilläum
Das Bausparmuseum in der Haller Straße 3 in Wüstenrot öffnet von Mai bis Oktober sonntags von 14 bis 17 Uhr seine Pforten. Der Eintritt ist frei. Führungen können auch außerhalb dieser Zeit vereinbart werden. Waren es in den Anfängen rund 1000 Besucher jährlich, sind es heutzutage etwa 400. Die Wüstenrot Bausparkasse AG plant zum Jubiläum im Herbst einen Rückblick auf die Geschichte in Wüstenrot. Der Anbau neben dem Museum soll dann fertig sein mit verglastem Empfang und Bewirtungsmöglichkeit sowie einem Tagungsraum.


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