Baby am Waldrand ausgesetzt: Angeklagte spricht von einem Blackout
Eine Spaziergängerin findet auf einem Weg am Stadtrand ein Neugeborenes. Die Mutter des Kindes gesteht vor dem Landgericht Heilbronn, ihr Baby ausgesetzt zu haben - sie spricht von einem "riesengroßen Fehler".

Am Ende mündet die Schilderung in eine klare Selbstanklage: "Es war ein riesengroßer Fehler, den ich nie wieder gut machen kann. Es tut mir leid für das Kind und meinen Partner. Ich habe keine Erklärung, warum ich so gehandelt habe."
Diese Worte trägt Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf am Freitag für eine 22-jährige Angeklagte vor, die wegen versuchten Totschlags an ihrem neugeborenen Sohn vor dem Heilbronner Landgericht steht. Ausführlich schildert die Anwältin, wie die junge Frau Anfang September 2021 von der plötzlichen Geburt eines Säuglings früh morgens im heimischen Badezimmer überrascht worden sei. Zuvor habe es keinerlei Anzeichen darauf gegeben.
Sie soll das Baby in einer Art "Blackout" abgenabelt und in eine Plastikwanne gelegt, dann mit ihm ganz normal zur Arbeit gefahren und das Neugeborene auf einem Schattenparkplatz im Auto gelassen haben. Ab und zu will sie nach dem schlafenden Säugling gesehen haben, ehe sie gegen 14 Uhr Windeln, Schnuller, Fläschchen und Säuglingsmilch kaufte, das Kind fütterte und wirr umherfuhr. An einem gut einsehbaren Waldweg bei Schwäbisch Hall-Hessental will sie das Kind mitsamt der Babyutensilien abgelegt haben, in der Hoffnung, dass es jemand rasch findet.
Erstes Kind im Teenageralter bekommen: Damals von Mitschülern "wie eine Aussätzige" behandelt worden
Die junge Mutter habe nicht gewusst, was sie mit dem Kind machen soll, sei mit der Situation "komplett überfordert" gewesen, trägt die Anwältin vor. Im Teenageralter hatte sie ein erstes Kind bekommen, musste die Schule unterbrechen. Danach sei es wie "ein "Spießrutenlaufen" gewesen - von Mitschülern ausgegrenzt, vom damaligen Freund und Vater des Kindes verlassen. "Wie eine Aussätzige" sei sie behandelt worden. Psychologisch betreut wurde das Mädchen in der Folgezeit nicht. Sie habe sich niemandem anvertrauen können, ist ihre Erklärung im Rückblick.
Ist das der tragische Kern einer unentdeckten Schwangerschaft, die einen Säugling in eine Pflegefamilie und die eigentlich fürsorgliche Mutter in die U-Haft führt? Ganz so lässt Vorsitzender Richter Roland Kleinschroth die Schilderungen nicht stehen. Das Baby sei eher "in einem Gebüsch" gefunden worden, nicht sichtbar an einem Weg. Und ob die 22-Jährige von ihrem Arbeitsplatz mehrfach wegging zum Firmenparkplatz und dort niemand über Stunden ein ungefüttertes, mutmaßlich schreiendes Kind bemerkte, will die Kammer auch genauer untersuchen.
Emotional wird es, wenn der Angeklagten manchmal die Stimme stockt. Erst einen Monat nach der Geburt ihr Sohnes hat sie die Geschichte Schwester, Mutter und Vater erzählt. Als "Monster" habe die Mutter sie anfangs bezeichnet. Dann gingen sie gemeinsam zur Polizei. Per Skype darf die Tochter vom Gefängnis mit der Familie telefonieren.
Der Vater sagt: Es habe keine Anzeichen auf eine Schwangerschaft an ihrem Körper gegeben
Eine Passantin fand den Säugling am Tattag gegen 17.15 Uhr am Waldrand, alarmierte sofort die Rettungskräfte. Laut Anklage war der Junge in Lebensgefahr, weil verabreichte Kuhmilch in seinem Magen innere Blutungen auslöste. Er überlebte. Doch die Gabe von für Babys gefährlicher Kuhmilch wirft die Staatsanwaltschaft der Angeklagten ebenfalls vor.
Der Vater des Jungen (22), inzwischen Verlobter der Angeklagten, hält zu ihr und dem Kind. Er darf es regelmäßig besuchen, will für das Sorgerecht kämpfen. "Ich will meinen Sohn bei mir haben." Die Frage, ob er nichts von der Schwangerschaft bemerkt hat, beantwortete er mit einem klaren Nein. Sie habe zuvor ihre Periode gehabt, an ihrem Körper habe man "nichts erkennen können. Da war kein Bauch und nix".
Als er einen Monat nach der Tat von der verheimlichten Geburt hörte, habe er sich gefühlt "wie vom Zug überfahren". Elf Monate waren sie da zusammen. Seine Freundin habe mit der Pille verhütet. Ein Kinderwunsch sei nie ein Thema gewesen.
Kuhmilch-Vorwurf: Gutachter findet Überraschendes
Der Vorwurf ist für eine Mutter hammerhart: Absichtlich soll die Angeklagte ihrem neugeborenen Sohn gefährliche Kuhmilch gegeben haben. Er erlitt innere Blutungen, schwebte kurz in Lebensgefahr.
Die 22-Jährige bestreitet es. Sie hat nach ihren Angaben in einem Supermarkt handelsübliche Säuglingsnahrung gekauft und mit Wasser angerührt. Das Gericht ließ jene Milchsorte, die am Tatort gefunden wurde, von einem Gutachter untersuchen. Zum Prozessbeginn sagte der Vorsitzende Richter: „Ergebnis war, dass diese Säuglingsmilch auch Kuhmilch-Proteine enthält.“

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