72-Jähriger rudert an der Spitze bis zum Sieg
Werner Rösch rudert seit seiner Jugend und hat auch mit 72 Jahren noch großen Ehrgeiz. 592 erste Plätze hat er bereits errungen. Statt auf dem Neckar, trainiert er derzeit aber im Garten.

In normalen Zeiten sitzt Werner Rösch vier- bis fünfmal pro Woche im Boot und rudert seine Hausstrecke auf dem Neckar die acht Kilometer bis Gemmrigheim und wieder zurück nach Lauffen. "Da bekomme ich den Kopf frei", sagt er. Rudern ist irgendwie sein Leben geworden - war es eigentlich schon immer. Doch in diesen Corona-Zeiten ist vieles anders. Jetzt sitzt der 72-Jährige auf dem Ruderergometer in seinem Garten und blickt auf Häuserwände und Dächer statt in die erwachende Natur.
592 Siege
Werner Rösch ist das Siegen gewohnt. 592 erste Plätze hat er auf nationalen und internationalen Masters Regatten und Meisterschaften errungen. Dennoch stellt er fest: "Mir geht es um den Spaß, nicht um Medaillen." Allerdings fühlt es sich eben doch ganz anders an, wenn er, vorzugsweise im Zweier oder Vierer, nicht als Erster die Ziellinie passiert. Die Renntaktik seines Teams ist dabei so einfach wie verblüffend: "Nach dem Start heißt es: Wir fahren so lange, bis wir vorne sind. Wir geben immer Gas." Damit haben Rösch und seine Mitstreiter schon viele Gegner mürbe gemacht, die glaubten, sie könnten sich im ersten Teil des Rennens ihre Kräfte einteilen, und danach dann doch noch gewinnen.
Höhere Schlagzahl macht körperliche Nachteile wett
Es gab Zeiten, da haben die Konkurrenten den 1,75 Meter kleinen und 75 Kilo leichten Werner Rösch gar nicht beachtet. Ruderer sind eher wie Kleiderschränke: Mindestens Einsneunzig hoch und ziemlich breit. Und sie wiegen 90 Kilo. "Unsere Gegner sind uns oft körperlich überlegen", sagt der gelernte Elektriker und schiebt nach: "Wir müssen das mit einer höheren Schlagzahl ausgleichen." Belächelt wird Rösch schon lange nicht mehr. Heute klingen die Kommentare der Gegner so: "Hättet ihr euch nicht eine andere Regatta raussuchen können als diese?" Werner Rösch ist der jüngste im Vierer. Mit seinem nur wenige Monate älteren Partner Wilhelm Dieter aus Tübingen sitzt er schon seit 28 Jahren in einem Boot. Und mit den beiden 82-jährigen Ernst Rühle aus Wetzlar und Werner Busch aus Krefeld auch bereits seit 20 Jahren.
Als Schüler klein und dick
Rösch ist eigentlich ein Spätstarter. "Als Schüler war ich klein und dick. Eine Urkunde bei den Bundesjugendspielen habe ich nie geschafft." Erst in der Ausbildung mit 14, 15 Jahren trat der Sport in sein Leben und der Azubi in den Lauffener Ruderclub ein.
1966 kam er zur Leichtathletik, war ein erfolgreicher 400- und 800-Meter-Läufer. Ein Bandscheibenvorfall mit 23 Jahren führte zu einer längeren sportlichen Zwangspause. Außerdem hatten in dieser Phase Familie und Beruf Priorität. Bis er vor vier Jahren in den Ruhestand ging, hatte er sein eigenes Ingenieurbüro.
Der Ruderclub, in den er als 14-Jähriger eingetreten war, hat ihn nie losgelassen. "Der Verein liegt mir am Herzen." Deshalb ist er Mädchen für alles, hat fast alle Positionen bekleidet: Vorsitzender, Hausmeister, Übungsleiter, Ruderwart, Pressewart. Und weil ein Werner Rösch offensichtlich schlecht "nein" sagen kann, saß er von 2004 bis 2016 für die CDU im Lauffener Gemeinderat. Parteipolitik sei nie seine Sache gewesen. "Ich war immer nah und für jeden erreichbar." Das haben die Lauffener wohl ähnlich gesehen und ihm bei Kommunalwahlen viele Stimmen gegeben.
Jetzt hofft er, dass sich das Leben irgendwann wieder einigermaßen normalisiert. Dann wird er wieder mit seinem Teampartner und Schnapsbrenner Wilhelm Dieter in den Zweier steigen und eine Regatta fahren. Werner Rösch selbst wird dann zwei, drei Flaschen Lauffener Wein dabei haben, Wilhelm Dieter einen Birnenschnaps. "Und dann heißt es wieder bei den anderen Ruderern: "Schau mal, die Alkoholiker kommen.""

Werner Rösch (72) ist geschieden und hat drei Kinder. Die Liste seiner sportlichen Erfolge ist lang. Zu seinen größten gehören fünf Siege bei den World Master Games, vergleichbar mit den Olympischen Spielen für Seniorensportler. Sie finden nur alle vier Jahre statt. Seine 592 Siege hat er in 22 Ländern und 76 Städten errungen. 2012 erhielt er die Ehrennadel des Württembergischen Landessportbundes in Gold, 2020 die Ehrennadel des Landes.

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