20 Jahre 9/11: Die Region erinnert sich
Trauergottesdienste halfen den Menschen nach dem unfassbaren Terroranschlag, das Heilbronner Weindorf blieb einen Tag geschlossen. Die Erlebnisse von damals wirken bei vielen Menschen aus der Region bis heute nach.

Dieser Anschlag hielt auch das Leben in der Region Heilbronn und in Hohenlohe auf einen Schlag an.
Als vor 20 Jahren islamistische Terroristen Passagierflugzeuge kaperten und in den Türmen des World Trade Center in New York Center als fliegende Bomben zerschellen ließen, war auch in der Region der Schock über die Taten riesengroß.
"Am hellen Nachmittag wächst die Angst vor einem Krieg", titelte die Stimme. "Das ist eine Katastrophe, man kann das eigentlich gar nicht fassen", sagte Landrat Klaus Czernuska beim Anruf der Redaktion.
Erinnerungen an die Apokalypse
In Heilbronn lief gerade das Weindorf. An dem Tag wurde die Musik abgestellt, am Tag danach wurde es für einen Tag geschlossen. Der Anschlag löste einen Bruch aus, die Besucherzahlen gingen drastisch zurück. Kirchen handelten rasch angesichts der Schockstarre, mit der viele Bürger auf die verstörenden Bilder aus den USA reagierten. Unter anderem in Deutschordensmünster und Kilianskirche luden sie zu Trauergottesdiensten ein. Beide Gotteshäuser waren mit über 300 Besuchern voll wie selten.
Mit einer solchen "Explosion des infernalisch Bösen" habe man nicht rechnen können, sagte Prälat Paul Dieterich. Dieser Terror habe ihn an Visionen aus der Apokalypse erinnert.
Auf dieser Seite lassen wir Menschen aus der Region auf den Tag zurückblicken, wie sie mit der unglaublichen Nachricht und den Bildern umgingen. Es wird deutlich, wie intensiv dieses Datum nachwirkt - auch 20 Jahre nach den unfassbaren Bildern von Ground Zero.
Anika Störner, 31 Jahre aus Bad Rappenau

Anika Störner war elf Jahre alt, als ihre Oma den Fernseher einschaltete, während sie am Esstisch bei den Hausaufgaben saß.
"Ich weiß noch genau, dass es ein Dienstag war", sagt die heute 31 Jahre alte Verwaltungsfachangestellte aus Zimmerhof. Und bis heute fragt sie sich, warum es ausgerechnet dieses Detail ist, das sie sich gemerkt hat. Eingebrannt haben sich ihr auch die verstörenden Bilder: das Flugzeug, das in einen der Türme rast, die Explosion, die staubbedeckten Menschen in den Straßen New York Citys.
Dabei sei ein Bild besonders hängengeblieben: "Wie die Menschen aus dem Fenster sprangen." Annika Störner besuchte damals die sechste Klasse der Wilhelm-Hauff-Realschule. Tags darauf habe man im Englischunterricht über den Anschlag gesprochen. "Meine Lehrerin war total schockiert, zumal sie schon einmal auf einem der Türme gestanden hatte."
An ihrem Sicherheitsgefühl habe sich zunächst nichts geändert. Amerika war für das Kind weit weg. Doch ihren Gerechtigkeitssinn habe dieses Verbrechen geschärft. "Das Heile-Welt-Denken, das ich damals noch hatte, war erschüttert worden."
Charlie Brown, 71 Jahre aus Heilbronn

Der frühere US-Soldat und Commander der American Legion war an dem Tag daheim in Heilbronn, als seine Tochter aus den USA anrief und ihn drängte, den Fernseher einzuschalten.
"Da liefen immer die gleichen Bilder mit den Flugzeugen in den Türmen. Ich konnte erst nicht glauben, dass das real ist", sagt er 20 Jahre danach.
Es habe extrem weh getan, vor allem die Szenen, als Menschen von den Türmen in den Tod sprangen. Für ihn war es kein Anschlag gegen das Volk, sondern gegen die Politik und US-Präsident Bush. Am Tag danach hat Brown eine Gedenkfeier organisiert. Ein Mitglied hatte bei dem Anschlag einen Angehörigen verloren. Mit dem 20. Jahrestag kämen die Bilder wieder hoch. Sie würden nie aus seinem Gedächtnis gelöscht.
Auch jetzt wird eine Gedenkfeier der Legion stattfinden, auf der Waldheide, wo die US-Army früher eine Raketenbasis betrieb. 1970 kam Brown nach Heilbronn, hat eine Deutsche geheiratet und blieb. Nach dem Abzug der Nato aus Afghanistan hat er Sorge vor neuen Anschlägen. Er wünscht sich mehr Kontrollen – und zwar in allen Ländern, die mit den USA verbündet seien.
Annette Urnauer, 56 Jahre aus Talheim

"Ich war im Büro und habe erst gar nichts mitgekriegt", erinnert sich Annette Urnauer. Erst nach dem Anruf einer Freundin, die gerade im Krankenhaus lag und sie informierte, verfolgte sie mit ihren Mitarbeiterinnen in ihrem Reisebüro in Talheim die Tragödie per Livestream.
"Wir konnten es gar nicht glauben, wir waren wie versteinert." Urnauer rief auch gleich ihre Schwester, die an der US-Westküste lebt, an. Gerade mal vier Wochen zuvor war die Fleinerin selbst in New York und im World Trade Center. Wenn sie daran denkt, kriegt sie heute noch Gänsehaut.
In den Tagen nach dem Anschlag gingen im Talheimer Reisebüro zig Anrufe von Kunden ein, die die USA gebucht hatten. Alles wurde abgesagt. "Es durfte keiner mehr einreisen", erzählt Urnauer - und erst einmal auch nicht ausreisen. Es habe Monate gedauert, bis die Buchungen für die Vereinigten Staaten wieder anliefen, schildert sie die Folgen. "Der Schock saß tief."
Die 56-Jährige flog inzwischen mehrfach in die USA, nicht jedoch nach New York. "Ich wollte nicht mehr hin und die Stadt so in Erinnerung behalten, wie sie war."
Volker Erlewein, 64 Jahre aus Bad Friedrichshall

Als Leiter der Hubschrauberstaffel der Polizei des Landes Baden-Württemberg hielt sich Volker Erlewein am 11. September 2001 am Dienstsitz am Flughafen Stuttgart auf. Er hatte den damaligen Polizeipräsidenten der Landespolizeidirektion Stuttgart I, Konrad Jelden, zu Gast.
"Wir waren beide beschäftigt, als der Polizeipräsident einen Anruf mit dem Hinweis erhielt, den Fernseher einzuschalten", erinnert sich der leitende Polizeidirektor a. D.. Von da an habe man ungläubig das Geschehen live verfolgt. Die Hubschrauberstaffel sei sofort in Alarmbereitschaft versetzt worden.
"Bei der Heimfahrt war ich völlig aufgewühlt und auf einen sofortigen Einsatz vorbereitet. Die Polizeihubschrauberstaffel hätte gerufen werden können", erzählt Erlewein. "Für die Polizei brachte der 11. September die Notwendigkeit, sich bewusst auch den Gefahren aus dem Luftraum zuzuwenden."
In den folgenden Jahren war Erlewein aktiv in die Entwicklung der polizeilichen Luftraumschutzmaßnahmen eingebunden. "Damit erlebte ich unmittelbar, wie sich der Terrorakt auf die Sicherheitsarchitektur in Deutschland ausgewirkt hatte."
Jürgen Brame, 63 Jahre aus Leingarten

Das neue Schuljahr hatte gerade begonnen. "Weil kein Nachmittagsunterricht war, bin ich nach Hause gekommen, habe den Fernseher eingeschaltet. Fassungslos sah ich die Bilder", erinnert sich Religionslehrer Jürgen Brame aus Leingarten.
Das World-Trade-Center habe auch symbolische Bedeutung gehabt: Für Wirtschaftskraft, Macht und Stärke - und für das, was Menschen bauen können. "Und dann brechen diese Symbole in sich zusammen wie Kartenhäuser. Und die Flugzeuge werden in den Händen verwirrter und verirrter Menschen zu zerstörenden Ungeheuern."
Brame gab seinen Viertklässlern die Aufgabe, ihre Gedanken zu 9/11 aufzuschreiben. "Ich habe jetzt im Bett immer Angst, dass wir uns in den Krieg einmischen", so ein Mädchen. "Der Vater eines Schülers war US-Soldat und musste drei Tage später nach New York", erzählt Brame. Nach den Ereignissen habe sich auch Deutschland "vor den Kriegskarren" spannen lassen. "Dass der Rückzug aus Afghanistan 20 Jahre dauern würde, hätte damals keiner gedacht."
Marion Hannig-Dümmler 44 Jahre aus Künzelsau

Marion Hannig-Dümmler war auf dem Weg von der Hochschule nach Hause, als sie auf einem Supermarkt-Parkplatz anhielt und die Radiomeldung kam. Ein Flugzeug sei ins World-Trade-Center geflogen.
Ihr erster Gedanke erscheint ihr heute kurios, denn sie fragte sich, ob man das wohl reparieren könne. Doch schon im nächsten Moment berichtete der Radiojournalist, dass Turm eins aufgrund der Kollision zusammengebrochen war. Sofort seien ihr die Tränen gekommen, berichtet die Künzelsauerin. Erst jetzt begriff sie das Ausmaß der Katastrophe, wenngleich zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie es dazu gekommen war.
Mit 14 Jahren hatte sie selbst New York besucht, hatte oben auf dem Word-Trade-Center gestanden und den atemberaubenden Blick über die Stadt genossen. Dass dieses starke, massive Gebäude, wie sie es in Erinnerung hatte, einfach zusammengebrochen war, das konnte sie sich kaum vorstellen.
Noch heute sei dieses Ereignis - als jemand, der nie Krieg erlebt hat - eines der bewegendsten. Das Schicksal dieser vielen Menschen mache sie noch immer stark betroffen.