Stimme+
Digitalisierung in der Kommunalpolitik
Lesezeichen setzen Merken

Ratssitzung live im Internet: Meinungen sind geteilt

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Gemeinderatssitzungen per Livestream im Internet verfolgen: Dafür will das Land die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Kommunen in der Region bewerten den Schritt zu mehr Digitalisierung unterschiedlich. Kritik kommt vom Verein Mehr Demokratie.

Von jök, bif, sb, fee, ah
Ratssaal in Eppingen: Einige Gemeinden hätten gerne die Möglichkeit, Sitzungen zu streamen oder sie digital abzuhalten.
Ratssaal in Eppingen: Einige Gemeinden hätten gerne die Möglichkeit, Sitzungen zu streamen oder sie digital abzuhalten.  Foto: Hettich, Alexander

In Heilbronn hatte die SPD vergangenen Herbst beantragt, Ratssitzungen im Netz zu senden, um „Demokratieverdrossenheit entgegenzuwirken“. Rechtlich ist das bislang nicht möglich. Ein Gesetzesentwurf im Landtag ist derzeit im Anhörungsverfahren, er soll die digitalen Sitzungen in der Gemeindeordnung verankern. So sollen Übertragungen möglich werden, aber auch Sitzungen, an denen Räte an unterschiedlichen Orten per Videokonferenz teilnehmen. 

„Gut gedacht, schlecht gemacht“: So urteilt der Verein Mehr Demokratie in einer aktuellen Stellungnahme. Stuttgart, so die Kritik, schicke eine „Bürokratiewelle“ übers Land, weil in mehr als 1100 Kommunen Hauptsatzungen geändert werden müssten, anstatt eine einheitliche gesetzliche Regelung zu treffen. Aber wollen die Städte und Gemeinden in der Region die Möglichkeit überhaupt haben? 

Gemeindetag: Rechtliche Fragen klären

Der Gemeindetag Baden-Württemberg habe sich in der Vergangenheit positiv zu digitalen Ratssitzungen geäußert, stellt Klaus Holaschke, Oberbürgermeister von Eppingen und Erster Vizepräsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, klar. Der Gemeindetag sehe in der Digitalisierung eine Chance, die Effizienz und Transparenz der kommunalen Gremienarbeit zu erhöhen. „Es müssen aber rechtliche Rahmenbedingungen fixiert werden, die die Durchführung solcher Sitzungen regeln“, so Holaschke weiter.

Dazu gehörten Aspekte wie die Sicherstellung der Teilhabe aller Ratsmitglieder, Datenschutz, Gewährleistung der Öffentlichkeit oder auch Gültigkeit von Beschlüssen. „Im Sinne der Digitalisierung ist dieser Weg zu begrüßen. Jedoch ist es sinnvoll, dass die Entscheidung darüber, ob die digitale Übertragung von Sitzungen vor Ort gewollt ist, auch den Kommunen überlassen bleibt“, so Holaschke. Für ihn ist klar: „Eine Sitzung in Präsenz fördert die Interaktion und Kommunikation im Gremium mehr.“

Jungpolitiker wünschen sich Online-Format

Warum nicht mit dem weitermachen, was in der Pandemie funktioniert hat? Das sagen sich die politischen Jugendorganisationen der Parteien – von SPD, CDU, Grünen und FDP –  im Hohenlohekreis und wünschen sich digitale Sitzungen von Gemeinderäten und Kreistag zurück. „Demokratie braucht Teilhabe vor Ort“, fordern sie in einem Manifest. Wenn Räte wie Bevölkerung von zu Hause aus, quasi auf dem Sofa, den Livestream verfolgen könnten, baue das Barrieren ab. Das könne einerseits die Attraktivität des Ehrenamts steigern, andererseits sei der Bürger stärker in politische Prozesse eingebunden. 

„Ich persönlich halte nicht viel davon“, winkt Weinsbergs Bürgermeisterin Birgit Hannemann ab und gibt sich als Verfechterin der Präsenz zu erkennen. Obwohl im neuen Sitzungssaal die technischen Voraussetzungen für Livestream vorhanden seien. Es sei richtig gewesen, das in der Pandemie so zu praktizieren, damit sich nicht so viele Leute an einem Ort versammelten. Die Verwaltung war präsent, die Stadträte waren über Video zugeschaltet. „Es macht einen Unterschied, ob man etwas digital erlebt oder die Stimmung bei einer Diskussion mitkriegt“, begründet Hannemann ihre Ablehnung.

Bedenken gegen Live-Stream: „Halte nichts davon“

Bei der Übertragung ginge viel von der Mimik und Gestik verloren. Sie würde es begrüßen, wenn mehr Zuhörer die Beratungen im Großen Ratssaal verfolgen würden. „Die Teilhabe ist auch so gegeben“, meint sie. Präsenzsitzungen sieht sie auch als Schutz vor denjenigen, die ehrenamtlich Kommunalpolitik machen. Denn es rutsche doch schnell mal etwas in Wortmeldungen raus, und wenn das dann dauerhaft im Netz kursiere, gibt die Stadtchefin zu bedenken.

Schwierig fände sie den nichtöffentlichen Teil der Beratungen. Man wisse ja nicht, ob zu Hause bei den Räten mal eine Tür offen oder jemand anderes sich noch im Raum befinde. Weder aus den Reihen des Gemeinderats noch aus der Bürgerschaft haben Hannemann bisher Anfragen nach digitalen Ratssitzungen erreicht. 

Ins gleiche Horn stößt Ralf Steinbrenner. Der Bürgermeister von Leingarten fragt sich: „Ist das tatsächlich notwendig?“ Noch nie habe jemand angefragt und gesagt, dass er einen Livestream brauche, weil er keine Möglichkeit habe, zur Sitzung zu kommen. Gerade den Punkt der Bürgerfragestunde zu Beginn jeder Gemeinderatssitzung hält Steinbrenner für digital schwierig: „Wenn ich sehe, wie die sozialen Medien aktuell missbraucht werden, würde ich da eine gewisse Gefahr sehen.“ Kritisch sieht der Rathauschef auch den Aufwand, den die digitale Übertragung der Ratssitzungen wohl finanziell bedeuten würden, und dann „muss halt auch gewährleistet sein, dass das entsprechend verlässlich funktioniert.“ Und: Bräuchte man dann überhaupt noch die Presse vor Ort? „Ich sage Ihnen ganz ehrlich“, resümiert Steinbrenner, „ich halte davon nichts.“

Das Thema wurde in Bad Wimpfen bereits mehrfach diskutiert. „Es gibt hier sehr kontroverse Meinungen hinsichtlich Datenschutz, Videos im Netz und ungewollter Verbreitung“, berichtet Bürgermeister Andreas Zaffran. Deshalb sei derzeit nicht geplant, die Sitzungen digital abzuhalten. In Erlenbach habe man sich hierzu hingegen noch keine Gedanken gemacht. Bürgermeister Uwe Mosthaf erklärt aber: „Wir stehen traditionell digitalen Wegen offen gegenüber.“

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben