Übergang: Wohin nach Klasse vier?
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„Prozedur ist sehr umständlich“ - Grundschulen kritisieren neues Verfahren

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Nach der vierten Klasse ans Gymnasium gehen? Es entscheiden nicht mehr allein die Eltern über die weiterführende Schulart. Die Kritik an Vorgaben reißt nicht ab.

Grundschulen haben den Eltern von Viertklässlern gesagt, welche weiterführende Schulart die beste für das Kind ist.
Grundschulen haben den Eltern von Viertklässlern gesagt, welche weiterführende Schulart die beste für das Kind ist.  Foto: Hauke-Christian Dittrich

Der Übergang an die weiterführenden Schulen verändert sich dieses Schuljahr: War bis voriges Jahr allein der Elternwunsch entscheidend, ob ein Kind an ein Gymnasium kann, gilt für den Wechsel nach den Sommerferien: Zwei von drei Kriterien müssen für diese Schulart sprechen – Elternwunsch, Einschätzung der Lehrer und ein Test. Bei den anderen weiterführenden Schularten spielt dieses Verfahren hingegen keine Rolle.

Gerade der Test (Kompass 4) im Herbst 2024 steht nach wie vor in der Kritik, vor allem Mathe hatte es in sich. Zu kompliziert, zu viel Text: Diese Dinge zählen nach wie vor zu den Kritikpunkten. 

Test für Viertklässler: Kinder weinen vor wichtiger Arbeit in der Grundschule

„Das war ganz furchtbar“, sagt eine Mutter aus einem Heilbronner Stadtteil. Kinder hätten vor den Tests geweint, von Lehrern habe es keine Informationen gegeben - weil die selbst keine Details aus Stuttgart erhalten hätten. „Es war eine total undurchdachte Sache.“

Der Sohn müsste laut Testergebnis auf eine Hauptschule, aufgrund des Notenschnitts sprachen sich Lehrer für die Realschule aus, die Mutter traut ihrem Sohn allerdings das Gymnasium zu. Dazu kommt es nun nicht. Den Potenzialtest, um für ihn doch diesen Weg zu öffnen, lehnte sie ab: Wie der aussieht, habe ihr niemand sagen können. 

Der neue Übergang: Schulen sprechen von bürokratischem Aufwand

„Das war ein bürokratischer Aufwand für Lehrer, Schulleitungen und Sekretariate“, lautet die Einschätzung einer Grundschule in der Region. Wegen der deutlichen Kritik am Kultusministerium in Stuttgart bittet die Schule darum, weder Namen noch Ort zu nennen. Allein für diesen Test mussten Passwörter heruntergeladen werden, auch die Testaufgaben kamen aus dem Netz.

Und da alles nur zu bestimmten Zeitfenstern online zu haben war, sei der Server stellenweise zusammengebrochen. „Wir haben uns gegenseitig geholfen“, berichtet die Schule. Wer von den Rektoren-Kollegen ein Passwort hatte, wer bereits die Aufgaben hatte, der teilte sie mit den anderen. „Es war wirklich abenteuerlich.“ Zumal gerade die Grundschulen selten Sekretariate haben, die an fünf Werktagen pro Woche besetzt seien. 

Stuttgart bittet unzählige Male um Auswertungen

Damit war der Frust rund um die Tests längst nicht erledigt: Die Schulen mussten diverse Male die Ergebnisse zusammentragen und nach Stuttgart schicken. „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung sind nicht im Ministerium angekommen“, so die deutliche Wortwahl. „Die ganze Prozedur ist sehr umständlich.“

Das Land steckte viel Aufwand in einen Test, der aber an dieser Grundschule keine Rolle spielte. „Wir haben ihn komplett ignoriert“, so die Auskunft aus dem Rektorat. Die Ergebnisse seien so schlecht gewesen, dass gerade einmal zwei Schüler auf ein Gymnasium hätten gehen können. Die Ergebnisse der Viertklässler hätten auch nicht zu den Erfolgen gepasst, die die Kinder im Schuljahr zuvor als Drittklässler bei den Vergleichsarbeiten Vera 3  bekommen hätten.

Lehrer hoffen, dass Eltern neues Vertrauen in das Verfahren bekommen

Die Lehrer waren also beim Übergang an Gymnasien anderer Ansicht als der Test, und das bestätigten sie auch gegenüber den Eltern. Die hatten aber Fragen zu den den Aufgaben, und entsprechend lange dauerten die Beratungsgespräche, so die Einschätzung aus dem Rektorat. Fürs nächste Schuljahr ist der Wunsch eindeutig: Das Verfahren muss sich verbessern. „Es ist wichtig, dass man Vertrauen aufbaut.“

Ein ähnliches Bild zeigt sich an einer anderen Grundschule im Landkreis Heilbronn, die aufgrund des brisanten Themas auch nicht namentlich genannt werden will. „Die Kompass-Ergebnisse weichen in schon absurden Dimensionen von der Einschätzung der Klassenkonferenzen ab.“ Die Schule habe für über 40 Prozent der Kinder eine Gymnasialempfehlung ausgesprochen. Gehe es allein nach dem Test, könnten nur acht Prozent auf ein Gymnasium.

Lehrer setzen auf ihre Einschätzung, weniger auf Kompass 4

Die Schule fühlt sich erst einmal darin bestätigt, weiterhin auf die Einschätzung der Lehrer zu setzen:  Bei den etablierten Übergabegesprächen zwischen Grundschule und weiterführenden Schulen sei bestätigt worden, dass die Empfehlungen richtig seien.

Während mancher Lehrer recht entspannt auf die Kompass-Arbeit blickte, seien es Eltern und Schüler nicht gewesen. Im Gegenteil. „Sie waren sehr viel aufgeregter als bei normalen Klassenarbeiten. Für sie war es, als ob davon ihre zukünftige Schullaufbahn abhängt“, so eine Lehrerin.

Diese Erfahrung machte Ulrich Bürgy, der die Grundschule in Bad Rappenau leitet, ebenfalls. Der Test habe für viele Kinder Stress bedeutet und Ängste bei ihnen ausgelöst. „Und dies, obwohl längst klar ist, dass es unredlich ist, zu einem so frühen Zeitpunkt valide Aussagen zum künftigen Bildungsweg von Kindern zu treffen.“ 

Kritik: Verfahren spreche Grundschulen Kompetenzen ab

Der Rektor steht dem Verfahren skeptisch gegenüber. Navi 4, wie das Verfahren heißt, ist seiner Ansicht nach „eine Katastrophe für die Grundschulen und die Viertklässler“. Ulrich Bürgy betont: „Ein derart formalisiertes Übergangsverfahren spricht den Grundschulen jede Kompetenz ab, Schüler beurteilen zu können.“ Seiner Ansicht nach geht dabei völlig unter, dass sich die Mehrzahl der Eltern an die Grundschulempfehlung halten würden.

Wolfgang Klooz, Rektor der St.-Veit-Schule in Flein, sagt, dass sich durch das neue Prozedere an seiner Grundschule an den Übergangsquoten nichts geändert habe: Etwa 60 Prozent der Schüler hätten in diesem Jahr eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen – das sei in etwa derselbe Prozentsatz wie in den Vorjahren. Das liegt aber nicht daran, dass die Fleiner Grundschüler bei dem viel kritisierten Mathe-Kompass-Test überdurchschnittlich gut abgeschnitten hätten. Wäre es allein danach gegangen, hätten nur 20 Prozent eine Gymnasial-Empfehlung bekommen. „Das war einfach zu schwer“, kritisiert Klooz.

Eltern waren verunsichert

Die Einschätzung der Lehrer, die ihre Schüler ja gut kennen, hätten den Test wettgemacht, sagt Rektor Klooz. Und:  Zu 95 Prozent decke sich die Empfehlung der Schule mit dem, was für die Eltern als weiterführende Schule für ihr Kind infrage kommt. Kompass 4 habe nichts gebracht. „Er hat nur zu Verunsicherung bei den Eltern geführt“, findet Klooz. Am Ende sei es „viel Lärm um nichts“ gewesen und zu kurzfristig durchgezogen.

Eine weitere Rektorin aus einer Landkreis-Kommune übt ebenfalls Kritik, will aber aus Sorge um einen Rüffel von übergeordneter Stelle nicht namentlich genannt werden. Sie sagt: „Kompass 4 braucht kein Mensch.“ Die beiden Komponenten Elternwunsch und Empfehlung der Schule reichten als Entscheidungsgrundlage völlig aus. Wenn Eltern und Lehrer ein gutes Miteinander pflegten – und an ihrer Schule sei das der Fall – überlege man ohnehin gemeinsam, was für das jeweilige Kind das Beste sei. „Das ist doch das A und O.“ 

Gute Kinder schneiden schlecht ab

Die Rektorin findet: „Man hätte es besser planen müssen.“ Wozu Kompass, wenn es ohnehin noch den sogenannten Potenzialtest gibt für den Fall, dass Eltern ihr Kind unbedingt aufs Gymnasium schicken wollen? Der Kompass-Test selbst sei „viel zu schwierig“ gewesen. „Auch gute Kinder haben schlecht abgeschnitten. Das hat zu viel Frust und sogar Tränen geführt.“ Die Lehrer habe Kompass 4 „viel Arbeit und Nerven gekostet. Es war viel zusätzliche Arbeit für nichts.“  

Besser als irgendwelche Testverfahren fände es die Rektorin, den Schnitt der Mathe- und Deutschnote anzuheben, der die Grundlage für eine Gymnasial-Empfehlung ist. Er liegt bei 2,5.  

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