„Es fehlt überall an Fachkräften“ – Nordheimer Eltern finden keinen Wohnplatz für Sohn
Seit Jahren hofft Familie Lippmann aus Nordheim auf einen Wohnplatz in einer Einrichtung für ihren mehrfach behinderten Sohn. Doch die Suche ist alles andere als einfach – und ein Mangel an Fachkräften erschwert die Situation zusätzlich.
Für Familie Lippmann aus Nordheim kann der Alltag eine besondere Herausforderung sein, immer wieder auch eine Überforderung. Sohn Nils, 15 Jahre alt, ist schwerstbehindert und im Entwicklungsstadium eines Kleinkindes. Er hat die körperliche Gestalt eines Jungen, der in die Pubertät kommt – spielt aber mit Kuscheltieren und schläft in einem speziellen Bett, das umgittert ist. Er trägt dauerhaft einen Helm, der ihn beim Eintreten seinen regelmäßigen epileptischen Anfällen schützt.
Familie Lippmann sucht Wohnplatz für Sohn – Wunsch nach „normalem“ Familien- und Eheleben
Seit Jahren leben Eltern Simone (46) und Lars (48) im Zwiespalt. Einerseits wünschen sie sich so sehr ein „normales“ Familien- und Eheleben bzw. eines mit mehr Möglichkeiten. Andererseits ist Nils ihr Sohn – und es würde ihnen wehtun, ihn dauerhaft in eine Einrichtung zu geben. Auch Tochter Lorena (13) kennt den Widerspruch zwischen „Nervig“ und „Er ist mein einziger Bruder“. Es hilft aber alles nichts – aus der Perspektive von Lippmanns, in die sich nicht betroffene Außenstehende vermutlich nie wirklich hineinversetzen können – ist es überfällig, für Nils einen Wohnplatz zu finden.
Simone Lippmann berichtet, ihr Sohn stehe auf mehreren Wartelisten von Einrichtungen, doch es gehe einfach nichts voran. „Es fehlt überall an Fachkräften“, sagt die gelernte Erzieherin.

Vereinsvorsitzende: „Quasi wöchentlich erreichen uns verzweifelte Anrufe von Eltern“
Manuela Selberdinger, Geschäftsführerin des Vereins Philip Julius für Familien mit schwerstbehinderten Kindern und Mitglied im Arbeitskreis pflegender Eltern, kennt die Problematik nur allzu gut. „Ich erlebe täglich, wie dramatisch sich die Lage für betroffene Familien zuspitzt“, sagt sie. Familien wie jene in Nordheim stünden bei der Suche nach einem Vollzeit-Pflegeplatz vor enormen Herausforderungen. „Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche führt dazu, dass viele Einrichtungen ihre Kapazitäten reduzieren oder schließen müssen“, erklärt Selberdinger die Entwicklung. Das treffe insbesondere auch auf die Versorgung von Kindern mit Behinderung zu. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Quasi wöchentlich erreichen uns verzweifelte Anrufe von Eltern, die dringend eine Betreuungsmöglichkeit oder Entlastung suchen.“
Die Belastung für Eltern und Geschwister sei oft groß, führt Selberdinger aus. Ihr Alltag sei „geprägt von großer Anstrengung und wenig gemeinsamer Zeit“. Kurzzeit- und Vollzeitpflegeplätze seien essenziell, um Familien Erholung und Entlastung zu ermöglichen. „Leider sind diese Plätze rar und schwer zu bekommen.“ In vielen Fällen seien sie selbst machtlos, da es schlichtweg zu wenige Angebote gebe.
Forderungen an Politik: Heilerziehungspflege müsste attraktiver werden
Simone und Lars Lippmann sehen hier wie Selberdinger auch die Politik am Zug. Heilerziehungspflege müsste attraktiver werden, finden sie. Es sei schwierig, einen Jungen wie Nils zu betreuen. Dass er weglaufgefährdet sei, sagt Simone Lippmann, sei eine weitere Hürde bei der Suche nach einem Wohnplatz - für Einrichtungen gilt das als zusätzlich problematisch.
Gemeinsame Zeiten mit ihrer Tochter Lorena sind für die Eltern kaum möglich. Simone Lippmann fährt gerne mal für ein Wochenende mit Lorena auf einen Campingplatz, wo die beiden dann für sich sein können - dann muss aber Lars Lippmann so lange Nils betreuen. Eine Zeit lang war auch die Ehe durch die Situation belastet. Nils fällt unter Pflegegrad 5. Das ist die höchste Pflegestufe und bedeutet, dass die Person und um die Uhr und in fast allen Lebensbereichen auf Hilfe angewiesen ist. Die Geräuschkulisse ist im Haus Lippmann außergewöhnlich, da Nils oft laut brummt. Sein Essen nimmt er in einer Babyflasche als Flüssignahrung zu sich.
Vater eines erwachsenen Schwerstbehinderten: „Es ist ein lebenslanger Prozess“
Auch Markus Straub von der Elternstiftung im Diakoneo Sonnenhof versteht die Eltern und ihre Verzweiflung über den Fachkräftemangel. „Es fehlen Leute ohne Ende“, sagt der 70-Jährige mit einem erwachsenen schwerstbehinderten Sohn. Die Ursachen für den Personalmangel seien vielfältig. Viele junge Leute seien nicht mehr entsprechend belastbar oder wollten diese Arbeit einfach nicht. An der Bezahlung allein liege es nicht, so Straub. „Die innere Bereitschaft fehlt.“
Den Zwiespalt, in dem sich Familie Lippmann befindet, kann er nachfühlen. „Ich habe früher Tränen vergossen, wenn ich meinen Sohn nach einem Wochenende oder Urlaub zurück in die Einrichtung gefahren habe.“ Es gebe auch heute noch Tage, da kämen im deshalb die Tränen. „Es ist ein lebenslanger Prozess“, sagt Straub. Es sei aber wichtig für das eigene Leben, dass man für schwerstbehinderte Kinder irgendwann einen Pflegeplatz finden. Und er können betroffenen Familien nur gebetsmühlenartig empfehlen: Sich überall auf Wartelisten schreiben lassen, auch persönliche Gespräche suchen. Irgendwann habe man mal die richtige Person gegenübersitzen im richtigen Moment.