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Arverio-Schulungszentrum
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Personalnot bei Bahnbetreibern: Lokführer in elf Monaten – so läuft die Ausbildung

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Neben der maroden Infrastruktur ist Personalmangel ein Hauptgrund für Probleme im Schienenverkehr. Bahnunternehmen werben intensiv um Nachwuchs – auch mit Erfolg?


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Philip Schummer weiß, was er will. „Das ist ein Kindheitstraum von mir." Der 17-Jährige sitzt im Schulungsraum des Bahnunternehmens Arverio in der Stuttgarter Innenstadt. Als Kind, so erzählt er, hatte er eine Holzeisenbahn, später eine Modellanlage. Jetzt fährt er bald richtige Züge, drei Jahre dauert seine Ausbildung zum „Eisenbahner im Betriebsdienst". Ein fast klassischer Werdegang, der nicht mehr so häufig anzutreffen ist.

Personal fehlt an allen Ecken und Enden bei den Verkehrsunternehmen. „Ich möchte im Regionalverkehr fahren", sagt der junge Mann aus der Nähe von Aalen. „Dabei denken immer alle, der ICE ist das große Ziel aller Eisenbahner." Doch Fernverkehr ist ihm zu langweilig, lange Strecken, wenige Haltestellen. Da sei der Regionalverkehr abwechslungsreicher.

Ausbildung bei Bahnunternehmen: Zahl der Bewerbungen zieht an 

Die Bahnanbieter wie Arverio unternehmen enorme Anstrengungen, um Mitarbeiter zu finden. Das Unternehmen hieß bis vor Kurzem Go-Ahead, gehört jetzt zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und fährt unter anderem auf der Strecke zwischen Stuttgart und Heilbronn. In Stuttgarts bester Citylage, direkt am Rotebühlplatz, hat das Unternehmen sein Schulungszentrum eingerichtet. 

„Wir haben einen regen Zulauf und sehr viele Bewerbungen", berichtet Timo Henningsen, Leiter der Triebfahrzeugführer-Akademie, wie die Nachwuchsschmiede offiziell heißt. Jede Woche veranstaltet das Unternehmen, bundesweit einer der größten Ausbildungsbetriebe in diesem Bereich, einen sogenannten Recruitingtag. Bis zu zehn Klassen werden parallel unterrichtet. Alle sechs Wochen startet ein Kurs mit bis zu 18 Quereinsteigern. Sie durchlaufen nicht wie Philipp Schummer eine dreijährige Berufsausbildung. Ein elfmonatiges Programm ebnet ihnen den Weg in den Führerstand der Regionalzüge.

Nicht nur Nachwuchs lernt am Simulator: Arverio, hier Ausbilder Manuel Sickert mit einem Kursteilnehmer, schult erfahrene Eisenbahner im Umgang mit dem neuen ETCS-System.
Nicht nur Nachwuchs lernt am Simulator: Arverio, hier Ausbilder Manuel Sickert mit einem Kursteilnehmer, schult erfahrene Eisenbahner im Umgang mit dem neuen ETCS-System.  Foto: Hettich, Alexander

DB Regio beschäftigt Fachkräfte aus Ägypten und der Türkei

Alle Bahnunternehmen haben solche Programme und ziehen alle Register, um Mitarbeiter zu finden, sei es im Cockpit, als Zugbegleiter oder in den Werkstädten. Personalnot macht erfinderisch. Die Deutsche Bahn rekrutiert etwa unter Studenten, die Schichten als Kundenbetreuer am Abend übernehmen.

Bei der DB Regio haben Fachkräfte aus Ägypten in der Instandhaltung begonnen, zuvor haben sie bereits in ihrem Heimatland eine Sprachausbildung gemacht. Im Herbst folgen Mechaniker aus der Türkei, auch in Rumänien wird eingestellt.

Auch beim Marketing gehen die Unternehmen in die Offensive. Die landeseigene SWEG, die ebenfalls in der Region Heilbronn fährt, ist seit Kurzem Trikotsponsor des Fußballzweitligisten KSC, will so als Arbeitgeber bekannter werden. Employer Branding heißt das in der Marketingsprache. 

Zukunft ETCS: Training in der Bahn-Ausbildung für neues Signalsystem 

„Wir bilden das aus, was wir brauchen", erklärt Akademieleiter Henningsen, der an noch nicht ganz fertigen Seminarräumen durch das verzweigte Stockwerk führt. Die Ausbildung ist zugeschnitten auf die modernen Züge, Modell Flirt, die Arverio im Einsatz hat. Der Platzbedarf im Ausbildungszentrum steigt, derzeit werden neue Seminarräume ausgestattet. Der elfmonatige Lehrgang für Quereinsteiger kommt an. Er geht zwar schnell, macht aber keine Abstriche bei den nötigen Inhalten, betont der Akademie-Chef: „320 Stunden praktische Erfahrung sind Pflicht."

Bevor es aufs Gleis geht, wartet der Simulator, technisches Herzstück der Akademie. Hier bereitet Ausbilder Manuel Sickert angehende Triebfahrzeugführer, aber auch erfahrene Eisenbahner, auf eine zentrale Neuerung vor. "ETCS spielt in der Ausbildung eine zentrale Rolle", erklärt der Fachmann. Das Kürzel steht für European Train Control System. Die Idee: Signale an der Strecke werden überflüssig, alle Informationen kommen per Funk ins Cockpit. So werden auch engere Zugfolgen möglich, ein verlässlicher Takt auf stark beanspruchten Strecken wie der Frankenbahn. 

Auch erfahrene Mitarbeiter werden ständig geschult  

ETCS ist weitgehend Zukunftsmusik, im realen Einsatz ist es etwa auf der Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm. Im Zuge von Stuttgart 21 soll das neue System erstmals in einem großen Bahnknoten eingesetzt werden, daher ist es Teil der Ausbildung bei Arverio. Im originalgetreu nachgebauten Führerstand, der vor der Simulator-Leinwand steht, ist ETCS ein unscheinbarer Monitor, auf dem alle Informationen aufblinken. Heute werden alte Lokführer-Hasen geschult – eine Umstellung, wie sie berichten. Aber letztlich funktioniert alles einwandfrei. Zumindest am Simulator. 

Für Philip Schummer und die anderen Neu-Eisenbahner wird ETCS wohl bald Standard sein. Obwohl das System Schiene derzeit oft Negativschlagzeilen produziert, der 17-Jährige erfährt viel Zuspruch von Freunden und Familie: „In meinem Umfeld ist das Interesse groß." Das gilt auch wieder für die Ausbildungsangebote der Bahnunternehmen.

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