Zu viel Verkehr in Leingarten: Anwohner protestieren
Die Stuttgarter Straße im Wohngebiet "Kappmansgrund" wird häufig als Abkürzung zur B293 genutzt. Jetzt sammelten Anwohner 250 Unterschriften gegen die belastende Situation.

Die Pendler haben schnell gemerkt, dass sie hier durchfahren können", sagt Jens Leonhardt. Seit 2012 wohnt der Leingartener mit seiner Familie in der Stuttgarter Straße im "Kappmannsgrund III". Die Lebensqualität hatte er sich bei der Entscheidung für den Bauplatz allerdings anders vorgestellt. Seinen Nachbarn geht es da nicht anders.
"Wir haben nicht das Gefühl, als sei das hier ein Wohngebiet", so Leonhardt. Seit Jahren wird die 30er Zone als Abkürzung von Nordheim zur B293 genutzt. Proteste der Anwohner verhallten. "Irgendwann haben wir resigniert", erzählt der 47-Jährige. Alarmiert von den Plänen für den "Kappmannsgrund V" und vor allem die geplante mehrmonatige Sperrung der Ortsdurchfahrt Klingenberg mit Umleitungsstrecke über Leingarten im Jahr 2021, haben sie sich neu formiert.
Viele Kennzeichen von außerhalb
250 Unterschriften haben die Initiatoren in der Nachbarschaft gesammelt und jetzt bei Stadtverwaltung, Stadträten, Straßenverkehrsamt und Landratsamt Heilbronn sowie beim Planungsbüro KMB eingereicht. "Bei 225 Wohneinheiten von Kreisel bis Kreisel ist das enorm", findet Jens Leonhardt.
Losgegangen sei die Misere mit der Erschließung und Öffnung von "Kappmannsgrund IV" beziehungsweise dem Bau des Kreisels Nordheimer Straße. Zunächst belastete der Baustellenverkehr die Anwohner. Dann "entdeckten" die Fahrer von Autos, Lastwagen und Reisebussen die Stuttgarter Straße als Tangente zur Bundesstraße, um den in Stoßzeiten stauträchtigen Knotenpunkt Nordheimer/Heilbronner Straße zu umgehen. Viele Kennzeichen stammen von außerhalb. Den Leuten selbst sei gar nicht unbedingt die Schuld zu geben, meint Leonhardt: "Mittlerweile führt jedes Navi hier durch."
Besonders zu den Hauptverkehrszeiten staut sich der Verkehr. Aber auch den Tag über kommt es regelmäßig zu kritischen Situationen. Einige fahren schneller als 30 Stundenkilometer. Problematisch ist auch der Begegnungsverkehr. Ungeduldige fahren über den teils nur einseitig vorhandenen Gehweg oder Hofeinfahrten. Die Sicherheitsbaken halten sie nicht ab.

"Bisher ging es immer noch gut. Aber unsere Befürchtung ist, dass irgendwann mal etwas passiert", erklärt Sven Sommer. "Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad und werde oft über den Gehweg überholt", schildert Joachim Seufert. Als er 2010 wegen des Bauplatzkaufs im Rathaus war, habe noch der Plan für die mittlerweile vom Land aus dem Generalverkehrsplan genommene Südostumfahrung an der Wand gehangen. Darauf hätten er und andere sich verlassen.
"Mittlerweile ist es lebensgefährlich, wenn die Kinder hier durchlaufen", sagt Irina Schild, die beim Spielplatz wohnt. Und ihr sei es manchmal nicht möglich, mit ihrem Auto aus der Ausfahrt zu kommen. Einmal wurde ihr in ihrer Einfahrt parkendes Fahrzeug von einem Transporter touchiert.
Paradiesische Verhältnisse
"Wir kritisieren ausdrücklich nicht den innerörtlichen Verkehr, dazu gehören wir ja selbst", betont Jens Leonhardt. Fast paradiesisch seien die Zustände gewesen, als die B 293 im Juli für zwei Wochen gesperrt war. "Da konnte man spüren, was reiner Anliegerverkehr ist."
Zu den heute 9700 Fahrzeugen in der Nordheimer Straße werde 2021 noch ein Großteil der 13 000 Fahrzeuge, die sonst täglich durch Klingenberg fahren, dazu kommen. "Leingarten wird dem Verkehrsinfarkt erliegen. Das Wohngebiet Kappmannsgrund zur beliebtesten Abkürzung für alle werden", fürchtet Leonhardt.
Messungen
"Nicht einer aus der Verwaltung oder dem Gemeinderat ist in all den Jahren auf uns zugekommen", moniert Jens Leonhardt und zeigt dicke Ordner mit dem E-Mail-Verkehr aus dieser Zeit. Es habe mehrere Verkehrsschauen gegeben, betont Klaus Kaiser vom Ordnungsamt. Und häufigere Messungen "als in anderen Straßen in Leingarten". Die jüngste habe die komplette letzte Juliwoche über stattgefunden. Durchschnittlich fuhren täglich knapp 1500 Fahrzeuge durch. Im Mai 2019 waren es 1660, im August 2018 waren es 1000 Fahrzeuge.
Die ahndungsfähigen Geschwindigkeitsüberschreitungen betrugen zwischen sechs und sieben Prozent. "Im Vergleich zu anderen Straßen mit 30er Zone liegen die Werte bei der Fahrzeugmenge und bei der Geschwindigkeit im normalen Bereich", so Klaus Kaiser.
Damit es nicht soweit kommt, haben die Anwohner einen Fünf-Punkte-Plan aufgestellt: Die Stuttgarter Straße soll während der Sanierung der Ortsdurchfahrt Klingenberg als temporäre Anliegerstraße ausgewiesen werden. Gleichzeitig müsse man den Verkehrsfluss über die Nordheimer/Heilbronner Straße verbessern, etwa durch eine veränderte Vorfahrtsregelung beim Eiscafé, so ihre Forderungen.
Kein Baustellenverkehr durch die Stuttgarter Straße während der Erschließung von "Kappmannsgrund V" und mehr verkehrsberuhigende Maßnahmen, lauten weitere Punkte. Außerdem sprechen sich die Unterzeichner gegen das im Flächennutzungsplan neu ausgewiesene Baugebiet an der direkt benachbarten Heilbronner Straße aus. "Wir werden nicht müde werden, und um unser Recht auf ein ruhiges und sicheres Wohngebiet kämpfen", heißt es im Anschreiben zur Unterschriftenliste.
Kommentar: Ernst nehmen
Leingarten hat ein Verkehrsproblem, das ist keine Neuigkeit. Nicht umsonst gibt es die Pläne für die Südostumfahrung. Vom Land Baden-Württemberg wurden sie zwar auf Eis gelegt, doch nur mit dem Bau dieser wichtigen Strecke wird es Entspannung geben. So lange dieser noch in weiter Ferne ist, werden sich weiter die Autokolonnen durch die Hauptverkehrsachsen quälen.
Aber dort sollten sie bis dahin auch weitgehend bleiben. Dass Einheimische sich Schleichwege durch Wohngebiete suchen, mag angehen. Wenn sich das Bild in der Stuttgarter Straße aber kaum unterscheidet von dem in der Ortsdurchfahrt Eppinger/Heilbronner Straße, dann müssen Stadt und Landratsamt pragmatische Lösungen suchen. Denn was sich in der Stuttgarter Straße in den Stoßzeiten tut, lässt sich nicht nur als subjektives Empfinden der Anwohner abtun.
Die Stadt Leingarten sollte Einwände und Ängste ernst nehmen. Auch wenn sie selbst vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, was die Umleitung während der Sperrung der Klingenberger Ortsdurchfahrt angeht. Auch wenn es weitere neuralgische Punkte wie etwa die Sudeten- oder die Heuchelbergstraße gibt. In einem Wohngebiet, in dem Familien mit Kindern bevorzugt Bauplätze bekommen haben, darf es nicht zugehen wie auf einer Hauptverkehrsstraße.

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