Dienstältester Arzt der Gemeinde
Leingartens Dr. Werner Eckstein geht nach 37 Jahren in den Ruhestand. Fünf Jahre lang hat er einen Nachfolger gesucht.

Durchhalten bis zum Schluss. Das gehört sich so", sagt Dr. Werner Eckstein. Am 30. Dezember öffnet er seine Praxis in der Leingartener Sonnengasse 1 zum letzten Mal. Nach 37 Jahren als Hausarzt freut er sich auf den Ruhestand. "Schön, einfach schön", sagt er beim Gedanken an ein Leben ohne 50-Stunden-Wochen.
Fünf Jahre lang hat Eckstein nach einem Nachfolger gesucht. "Zuerst unter Chiffre, dann mit Namen, Umsatz- und Praxisdaten. Aber niemand hat sich gemeldet", erzählt der 67-Jährige. Zuletzt habe er lange mit einem Kardiologen verhandelt, der sich in Leingarten ein zweites Standbein schaffen wollte. "Aber im Endeffekt sollte ein medizinisches Versorgungszentrum gegründet werden. Mit der Konsequenz, dass ich noch drei Jahre hätte arbeiten müssen", so Eckstein.
Traumlösung mit Boris Heinz
"Als die Not am größten war, stand Dr. Boris Heinz vor der Tür. Das ist die Traumlösung für unsere Praxis, wie ein Sechser im Lotto." Voraussichtlich Mitte Januar wird der Allgemeinarzt und Internist mit Ecksteins Patientenstamm, einem Teil seines Inventars und seinen drei Mitarbeiterinnen im neuen Ärztehaus am Kipp-Kreisel seine Arbeit aufnehmen. Seine Ehefrau, ebenfalls Ärztin, folgt später. "Ohne Ärztehaus hätten wir keine Möglichkeit gehabt", ist Eckstein überzeugt. Kaum Parkmöglichkeiten und nur ein Sprechzimmer: Seine alte Praxis sei eben nicht mehr zeitgemäß.
Am 1. Oktober 1980 hat der gebürtige Leingartener nach seinem Medizinstudium in Saarbrücken und Mannheim die Praxis von seinem Schwiegervater Dr. Wolfgang Foerster übernommen. "Ich hatte Dienst von Montag 7 Uhr bis Samstag 7 Uhr, mit Ausnahme des Donnerstagnachmittag." Auch die Wochenenddienst-Belastung war hoch, schließlich gab es nur drei Arztpraxen im Ort: "Oft genug habe ich mit drei, vier Stunden Schlaf die Montagssprechstunde begonnen."
Und weil die Einsätze nicht planbar waren, "hat es bei uns jahrelang sonntags nichts anderes als Gulasch gegeben", verrät Ehefrau Brigitte Eckstein, die der Praxis wegen ihren Beruf als Grundschullehrerin aufgab und stattdessen Blockflöte an der Musikschule unterrichtete. "Da konnte ich mir die Arbeitszeiten selbst einteilen", sagt sie. Denn immer, wenn die Sprechstundenhilfen Mittagspause oder Feierabend hatten, war sie fürs Telefon zuständig. Auch nachts.
Fahrten in der Silvesternacht waren gefährlich
Dienst an Silvester war Standard. "Dann hatten wir Weihnachten mit der Familie", erklären die zweifachen Eltern. Die Mitternachtsfahrten zum Jahreswechsel seien allerdings gefährlich gewesen. "Unters Auto oder aufs Auto hat man auf jeden Fall einen Kracher bekommen", erzählt Werner Eckstein.
Die Zeiten haben sich gewandelt. "Durch den geregelten Nacht- und Wochenenddienst sind das jetzt paradiesische Zustände. Das ist Lebensqualität", findet der Mediziner, der deshalb auch Zeit hat, im Männerchor den zweiten Bass zu singen. Und er ist dankbar, dass die Patienten "extrem selten" außerhalb der Sprechzeiten bei ihm geklingelt haben, obwohl die Praxis in seinem Wohnhaus ist.
Über all die Jahre habe ihm sein Beruf "einen Riesenspaß gemacht". Einige Zeit war er zusätzlich als Betriebs- und Umweltmediziner tätig. Dabei wusste er nach dem Abitur noch gar nicht, was er einmal werden will. "Bei der Bundeswehr bin ich dann zum Gebirgssanitätsdienst gekommen und habe ein Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht", so Eckstein. "Daher meine Freude an der Medizin, und ich war ja schon mit Brigitte befreundet", meint er schmunzelnd in Anspielung auf die Arzttochter, mit der er inzwischen 41 Jahre verheiratet ist.
Über die Jahre wächst gute Beziehung zu Patienten
Viele seiner Patienten kennt Werner Eckstein seit seiner Kindheit. Und obwohl Leingarten stark gewachsen ist, geht es noch sehr persönlich zu, vor allem bei Hausbesuchen bei älteren Leuten: "Da kann es schon mal sein, dass man eine Krawatte binden muss oder eine Schranktüre reparieren."
Ruhe wird bei den Ecksteins trotz Ruhestand so schnell nicht einkehren. "Jetzt müssen wir erst einmal das Haus renovieren", sagt der dienstälteste Leingartener Arzt. Das Ehepaar, beide Klassikfans, freut sich auch auf Konzertbesuche und mehr Zeit mit der vierjährigen Enkeltochter. Urlaube in Norwegen und im Burgund wird es auch künftig geben. Und ein 8,5 Ar großer Garten und zwei große Baumstücke heißt es in Schuss zu halten. Wehmut lässt Werner Eckstein nicht aufkommen: "Ein Lebensabschnitt ist beendet. Seit wir wissen, dass Dr. Heinz die Praxis übernimmt, freuen wir uns auf den neuen", ist er sich mit seiner Frau Brigitte einig.
Zu wenig Ärzte in Leingarten
Laut Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung stehen der 11 500-Einwohner-Gemeinde Leingarten eigentlich sieben Ärzte zu, weiß Dr. Werner Eckstein. "Wir waren zuletzt aber nur fünf Ärzte, und davon ist nur einer unter 50 Jahre alt."
Entsprechend hoch ist die Arbeitsbelastung mit überdurchschnittlich vielen Patienten. "Pro Praxis sind es pro Quartal 1500 Scheine statt 900 bis 1000", erklärt Eckstein. "An Spitzentagen habe ich 160 bis 170 Karteibewegungen. Das geht natürlich nur mit erfahrenem und gutem Personal."
Um die ärztliche Versorgung in Leingarten auch in Zukunft zu sichern, hat die Gemeinde Leingarten vor kurzem eine Etage im Neubau am Kipp-Kreisel gekauft, die sie an Mediziner vermietet. Damit wieder mehr junge Leute den Arztberuf ergreifen, plädiert Werner Eckstein unter anderem für die Abschaffung des Numerus Clausus. "Mit meiner Abiturnote könnte ich heute nicht mehr Arzt werden", gibt er zu. ck