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Einst mussten neun Frauen für den Hagel sterben

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Rudolf Kühner hat in einem alten Buch seines Vaters Wetteraufzeichnungen recherchiert, die bis ins Jahr 696 zurückreichen sollen.

Von Karin Freudenberger
Auch mit seinen 80 Jahren steht Rudolf Kühner noch gerne im Weinberg. Beim Schneiden kann er zum Beispiel über frühere Jahrgänge sinnieren.
Foto: Karin Freudenberger
Auch mit seinen 80 Jahren steht Rudolf Kühner noch gerne im Weinberg. Beim Schneiden kann er zum Beispiel über frühere Jahrgänge sinnieren. Foto: Karin Freudenberger  Foto: Freudenberger, Karin

Rudolf Kühner ist ein alter Hase im Weinbau. Ist von frühester Kindheit an quasi im Weinberg aufgewachsen und steht auch heute noch mit 80 Jahren gerne mit der Rebschere zum Schneiden im Wengert. Dass er aber nicht nur im Hier und Jetzt verwurzelt ist, zeigte eine Anfrage an die Heilbronner Stimme.

Kühner bot nämlich an, anhand eines Büchleins von Dr. Karl Pfaff aus dem Jahr 1865 zu beweisen, dass das Wetter auch schon in der Vergangenheit verrückt gespielt hat und Probleme für die Wengerter brachte. Gefunden hat Kühner das außergewöhnliche Exemplar, als er beim Tod seines Vaters 1999 dessen Wohnung ausräumte.

Es ist ein kleiner Schatz, der vor Kühner auf dem Wohnzimmertisch liegt: zwölf auf 18 cm groß, mit 116 vergilbten aber noch gut lesbaren Seiten und dem Titel "Württembergische Wein-Chronik". Der Esslinger Pädagoge und Historiker Pfaff hat darin historische Lese-Ergebnisse notiert, die bis zum Jahr 696 zurückgehen.

Extreme gab es auch schon früher

"Es hat mich fasziniert, wie viele extreme Jahrgänge es auch in der Vergangenheit gab", staunt Kühner. Wo zum Beispiel die Lese deutlich früher begann als in diesem Jahr wie etwa 1420. "Am 20. März fingen die Obstbäume an zu blühen, am 4. April die Trauben, um Jakobi (25. Juli) begann die Weinlese, welche einen reichlichen und guten Ertrag lieferte", steht dort zu lesen. Ähnlich muss es 1186 gewesen sein, als "die Bäume schon im Februar blühten und zu Anfang August die Weinlese begann".

Die älteste Erwähnung betrifft das Jahr 696, von dem "gemeldet wird, dass in dem sehr strengen Winter beinahe alle Weinstöcke erfroren seien". Wo genau Pfaff dieses Wissen her hat, wird auch in der "Vorrede" nicht ganz klar. Er schreibt nur: "Bei der Abfassung dieser Wein-Chronik hab ich nicht allein gedruckte Werke, so viel mir zu Gebote standen, benützt, sondern auch aus verschiedenen Handschriften, welche meist von Zeitgenossen herrühren?".

Die Kalebstraube beim Festumzug. Das Wetter hat auch schon in der Vergangenheit verrückt gespielt und teilweise Probleme für die Wengerter gebracht.
Foto: privat
Die Kalebstraube beim Festumzug. Das Wetter hat auch schon in der Vergangenheit verrückt gespielt und teilweise Probleme für die Wengerter gebracht. Foto: privat  Foto: privat

Eine Brücke zur Gegenwart schlägt übriges das Jahr 1536 mit der Bemerkung: "Der Sommer war so trocken und heiß, dass Brunnen und Bäche versiegten. Wein gab es ziemlich viel und er wurde sehr gut."

"Evas böse Weiberschlangen"

Doch auch Negatives, für uns Unvorstellbares ist zu lesen. "1562 waren die Reben ?früh auf der Bahn" und gediehen bei günstiger Witterung trefflich, als am 3. August 11 Uhr vormittags ein furchtbares Hagelwetter ausbrach, welches innerhalb von zwei Stunden im größten Teil Schwabens Alles verheerte." Zu Stuttgart sei "nicht eine Kelter aufgegangen ob Evas bösen Weiberschlangen. Man schrieb nämlich dieses Hagelwetter einer Hexenversammlung auf der Feuerbacher Heide zu und verbrannte hier deswegen neun alte Weiber als Hexen."

Und: "1763 war der Winter kalt, schneearm und von langer Dauer, am 11. und 12. März litten die schon von der Winterkälte angegriffenen Reben durch einen kalten Nordwind so sehr, dass eine Menge von ihnen erfror und abgeschnitten werden musste? da der Sommer nur einzelne sehr heiße Tage hatte, gab es nur wenig und sehr schlechten Wein, den man ohne einen Zusatz von Obstmost nicht trinken konnte."

Selbst ein trockenes Jahr wie 2018 gab es schon vor 150 Jahren

Interessant übrigens eine Bemerkung aus dem letzten Jahr der Wein-Chronik, also 1865. Dort steht über einen besonders warmen Sommer: "In Stuttgart zählte man bis zum 18. September 100 Sommertage (in denen die Wärme 20 Grad erreichte), die meisten (26) im Julius, in Heilbronn während derselben Zeit 76 (im Julius 23)." Für Rudolf Kühner, der von 1976 bis 1991 Aufsichtsrat und von 1991 bis 2001 stellvertretender Vorstand der Genossenschaftskellerei Heilbronn war, zeigt die Lektüre also auf, dass die Hitze 2018 gar nicht so alleine steht, wenn man viele Jahrhunderte Weinbau Revue passieren lässt.

 
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