Die unmenschliche Tat wühlt noch heute auf
Hermann Lutz wurde vor 48 Jahren in einem Waldstück bei Eschenau ermordert. Die Tat war so grausam, dass selbst die Ermittler entsetzt waren. Sein Enkel Manfred Glaser und seine Frau Melinda erinnern sich an das ungeklärte Verbrechen an "Flaschner Lutz", der im oberen Weinsberger Tal bekannt war.

"Gedenkstein H. Lutz. Ermordet 5. 6. 1970." Mountainbiker und Spaziergänger, die an der Stelle im Sperbelhau am Rundwanderweg 12 in Eschenau an der Grenze zu Waldbach vorbei kommen, fragen sich, was es mit dem kniehohen Mahnmal im Schatten einer hohen Eiche auf sich hat. Wer war H. Lutz? Was geschah damals Schreckliches? Den älteren Eschenauern hat sich das Ereignis ins Gedächtnis gebrannt. Ein brutaler Raubmord, der ungeklärt ist. Der Täter wurde nie gefasst, die Tatwaffe − ein Messer − nie gefunden. Das beschäftigt noch heute die Familie, wie der Enkel des Opfers, Manfred Glaser, und dessen Frau Melinda, erzählen.
"Abends ist meine Schwiegermutter unruhig geworden", erinnert sich Melinda Glaser. Die junge Familie wohnte zusammen mit Hermann Lutz und dessen Tochter Erna in der Kirchgasse 1. Der 80-Jährige kam an diesem 5. Juni vor 48 Jahren von seinem Spaziergang nicht nach Hause. "Ich weiß noch, dass ich bei der Bäckerei Fleisch angerufen habe", sagt Melinda Glaser. In der dortigen Weinstube kehrte der Opa mit seinen Rentnerfreunden immer mal wieder ein. Der Bäcker habe sich beschwert, dass sie ihn abends um neun geweckt habe. Er müsse morgens früh raus. "Ich denke, ich war bei der Suche dabei", erinnert sich Glaser, der damals 29 Jahre alt war, nicht mehr genau an die Suchaktion von Polizei, Feuerwehr und Einwohnern, nachdem seine Mutter Erna bei Bürgermeister Hans Finkbeiner ihren Vater als vermisst gemeldet hatte.
Tod durch elf Messerstiche
Lutz wollte nach Waldbach zur Verwandtschaft. Einer seiner Freunde wusste, welchen Weg er nahm. Der habe ihn auch gefunden, sagt Melinda Glaser. Am nächsten Morgen. "Wenn du das erfährst, dann bist du gschwind weg", schildert ihr Mann den Schock der Todesnachricht. "Er wollte niemanden was. Er hat sein Leben lang geschafft. Er war friedliebend. Wenn er sein Viertele und seinen Stumpen gehabt hat, war die Welt für ihn in Ordnung", kann die 75-Jährige immer noch nicht begreifen, dass dem Flaschnermeister und Installateur, der früher ein eigenes Geschäft hatte, brutal das Leben genommen wurde. "Im oberen Weinsberger Tal hat ihn jeder gekannt", meint der Enkel. "Die waren alle erschüttert."
"Schlimm war der Tag", sagt Melinda Glaser zur Beerdigung, die riesig gewesen sei. Es nimmt sie heute noch mit, über das Verbrechen zu sprechen. Sie hat Tränen in den Augen. "Es ist einfach unmenschlich", beschreibt sie die Tat durch elf Messerstiche.
Die Anteilnahme der Menschen hat der Familie gut getan. "Ja, das hat Trost gegeben", sagt Melinda Glaser. Für ihre Schwiegermutter, die ihren Mann im Krieg verloren hatte, sei es nicht leicht gewesen, diesen weiteren Schicksalsschlag zu verkraften. 1983 starb Erna Glaser.
Geldschein-Attrappe im Geldbeutel
Hermann Lutz hatte gewöhnlich nur wenige Mark bei sich, aber eine Attrappe eines 100-Mark-Scheins im Geldbeutel. "Mit dem hat er immer geblufft", weiß sein Enkel. "Vielleicht ist ihm das zum Verhängnis geworden", überlegt seine Frau.

Das alles liegt weiter im Dunkeln. Die Großfahndung und die Ermittlungen − 20 Beamte der Polizeidirektion Heilbronn und eine Kommission der Kriminalhauptstelle Stuttgart arbeiteten mit Hochdruck an dem Fall − brachten keinen Erfolg. "Alles Menschenmögliche ist unternommen worden, um den Täter festzustellen", hieß es aus Ermittlerkreisen eine Woche nach der Tat. Niemand hatte Hilfeschreie gehört, niemand den Täter flüchten sehen.
Hunderte von Mopedfahrern wurden überprüft, weil es Abdrücke gab. Dann stellte sich heraus, dass zwei Schüler aus Affaltrach das Zweirad unbefugt benutzt hatten. Es gab keine heiße Spur, auch nicht durch die Aufrufe an die Bevölkerung, teils über Lautsprecherdurchsagen. Die Polizei, die ihr "Hauptquartier" im Eschenauer Rathaus aufschlug, nahm an, dass der Mörder im "Umkreis der Ortschaften" zu suchen sei.
"Das ist das Schlimmste, was wir bis jetzt gesehen haben." Diese Aussage von Polizeioberrat Hans Günther bei der Pressekonferenz zwei Tage nach dem Mord an Hermann Lutz am 5. Juli 1970 macht deutlich, dass selbst Ermittler entsetzt über das Ausmaß der Tat waren. Über und über blutbesudelt, so hieß es damals in der Heilbronner Stimme, war der Leichnam des verwitweten Rentners.
Verbrechen ist ungesühnt
Die Familie des Toten ist nicht gut auf die Ermittler zu sprechen. "Das waren die größten Versager", ist der pensionierte Bauingenieur nicht gut auf die Ermittler zu sprechen. Nacheinander hätten drei Kommissare mit ihnen gesprochen. "Und keiner hat dem anderen gesagt, was er wusste", ist sein Eindruck. "Uns hat man gesagt, auf dem Eichenlaub könne man keine Spuren finden", ergänzt seine Frau.
Als vor etwa zehn Jahren Manfred Glaser den Schlüsselbund seines Großvaters von der Polizei benötigte, weil sich daran ein Ersatzschlüssel befand, hätten sie erst erfahren, dass es einen Verdächtigen gegeben habe. Man habe ihm aber nichts nachweisen können. Hätte man den Täter gefunden, wäre das beruhigender gewesen, auch für das Dorf, meint Melinda Glaser.
So ist dieses grausame Verbrechen ungesühnt. Mord verjährt nicht. Aber die Ermittlungsakten befinden sich längst im Staatsarchiv in Ludwigsburg. Man könnte hin und wieder reinschauen, gibt Corinna Lüke, Sprecherin des Polizeipräsidiums Heilbronn zur Auskunft zu solchen Cold Cases. Aber die Kriminalpolizei habe natürlich andere Aufgaben − vor allem aktuelle Fälle.
Tatort immer im Blick

Die Bluttat löste natürlich Bestürzung und Furcht in der Bevölkerung aus. "Sie war Gesprächsthema bei allen Leuten", weiß Obersulms Altbürgermeister Harry Murso, der damals in seinem ersten Jahr Kämmerer in Affaltrach war. Man habe das Waldstück oberhalb von Eschenau gemieden.
Die Glasers halten Erinnerungsstücke an den Opa in Ehren. Die Hochzeits-Bibel von Gottliebin und Hermann Lutz aus dem Jahr 1919, Lutz' Pfeife, die aus seiner Heimat, dem Schwarzwald, stammt. Fotos von der Familie: das Ehepaar Lutz mit seinen fünf Kindern. Die beiden Söhne fielen im Krieg.
Die Glasers haben den Tatort immer im Blick, wenn sie zu ihrem Wohnzimmerfenster auf die Weinberge und den Wald oberhalb des Bahnhofs schauen. Dass Mitglieder der Rentnergilde Eschenau/Affaltrach im Juli 1971 den Gedenkstein aufstellten, findet die 75-Jährige "sehr schön". So wird der "Flaschner Lutz", wie er genannt wurde, nicht vergessen. Die Glasers kommen oft hier vorbei und einmal im Jahr säubern sie die Stelle. "Es ist schon außergewöhnlich, dass die beiden Tatorte so nah beieinander liegen", meint Manfred Glaser. 70 Meter weiter, überwachsen von Eiben, steht der "Schneiderstein". Hier war anno 1709 der Schneidergeselle Georg Michael Ritter angeschossen und tot geschlagen worden.