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Dagmar Röder aus Ilsfeld hat einen Hirntumor überstanden

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Die 70-Jährige appelliert an ihre Mitmenschen, für das Leben dankbar zu sein - und die Einschränkungen gegen das Coronavirus mitzumachen.

Das Stricken klappt wieder: In ihrer Reha-Zeit lernte Dagmar Röder, die Feinmotorik zu beherrschen. "Ich bin wieder die Alte", sagt die 70-Jährige.
Foto: Ralf Seidel
Das Stricken klappt wieder: In ihrer Reha-Zeit lernte Dagmar Röder, die Feinmotorik zu beherrschen. "Ich bin wieder die Alte", sagt die 70-Jährige. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Am 25. Juni 2020, dem Tag vor ihrem 70. Geburtstag, wird Dagmar Röder wiedergeboren. Der Tag, an dem sie die Rehaklinik Hohenurach verlassen kann, und ihr altes Leben wieder aufnimmt. Jenes Leben, das Dagmar Röder führte, bevor "Herbert" sie verändert hat. Das ist der Name, den ihre Tochter Patricia dem tennisballgroßen Tumor verpasst hat, der über zehn Jahre völlig unbemerkt in Röders Gehirn herangewachsen ist.

Tochter Patricia merkt, dass sich ihre Mutter verändert

"Herbert ist ein Scheißkerl", sind sich Mutter und Tochter einig. Wäre das Geschwür nur vier Tage nach dem 20. Mai in der Ludwigsburger Klinik für Neurochirurgie aus ihrem Gehirn seziert worden, würde Dagmar Röder heute wohl nicht mehr leben. Dann hätte sie sich vermutlich zu Tode gekrampft, denn Herbert lag genau über dem Krampfzentrum im Gehirn.

Dass Dagmar Röder gesund ist und ein halbes Jahr später ihre Geschichte in ihrer Wohnung in Ilsfeld voller Dankbarkeit erzählen kann, ist ein Glücksfall. Das hat sie vor allem ihrer Tochter Patricia zu verdanken. Die junge Frau wird hellhörig, als sie bei ihrer Mutter veränderte Wesenszüge und Verhaltensweisen wahrnimmt: Dagmar Röder ist aggressiver, vergesslicher als sonst und öfter niedergeschlagen. Dabei sei sie eigentlich ein positiv denkender Mensch, sagt Röder über sich, eine Intensiv-Krankenschwester, die schon immer in der Pflege war und die ihre Arbeit liebt. Eine kreative Frau, die sich immer beschäftigen müsse. Die eine enge Bindung zu ihrer Tochter auf Fuerteventura hat, und mit der sie sich selten streitet. Als ihre Tochter ihr aber vorschlägt, dass sie sich untersuchen lässt, fährt Dagmar Röder sie an. "Hälst du mich für senil?"

Diesen Vorfall, genauso wie alles andere, das vor ihrer Reha-Zeit passiert, kennt Dagmar Röder nur von den Erzählungen ihrer Tochter und ihrer Freunde. Angefangen beim Weihnachtsfest 2019, das sie bei sich ausrichtete, und an das sie sich bis heute nicht erinnern kann, sagt Röder. Auch nicht an ihre Reaktion, als bei ihr im Mai schließlich der Hirntumor bei einem MRT im im Heilbronner Röntgeninstitut festgestellt wird. Die Abstatter Ärztin Iris Bozenhardt-Stavrakidis hat sie dorthin verwiesen, als Röder bei sich Wortfindungsstörungen, Sprach- und Schreibausfälle wahrnimmt. Das Arbeiten und Autofahren habe weiter geklappt.

Die Ärzte nennen Röder ein "kleines Wunder"

Nach einer siebenstündigen Operation, bei der Herbert völlig entfernt wird, befällt Dagmar Röder ein Durchgangssyndrom, eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns. "Ich glaubte, man wollte mich ins Irrenhaus bringen." Eine Krankenschwester kann sie beruhigen. Von da an geht es mit Röder täglich, ja sogar stündlich, bergauf.

Wenige Tage nach der OP wird sie entlassen und verbringt eine Woche zu Hause. Dort kümmern sich ihre Tochter, eine Freundin aus Duisburg, die ganz engen Freunde und ihr "Zweitkind" Larissa, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, um Papierkram, Haushalt und Garten. Und dann ist da noch die gesamte Nachbarschaft, mit der Dagmar Röder seit über 30 Jahren, seit sie aus Berlin nach Ilsfeld zog, ein inniges Verhältnis pflegt. "Das ist meine Familie, wie ich sie mir wünsche, die gibt es kein zweites Mal. Immer war jemand da, um mir zu helfen."

Eine Woche später kommt Dagmar Röder in die Reha nach Bad Urach, wo sie von den Therapeuten, Ärzten und dem Pflegepersonal "gepusht" wird. "Sowas habe ich noch nie erlebt, wie sich die Leute gekümmert haben." Röder lernt mit Puzzlen die Feinmotorik neu, sie beginnt zu stricken, macht jeden Tag Fortschritte. Das Klinikpersonal ist begeistert. "Sie sind unser kleines Wunder, haben alle zu mir gesagt."

Im Juli, acht Wochen nach ihrer OP, nimmt Dagmar Röder ihre Arbeit wieder auf. In den ersten drei Monaten fährt ihre "Familie" sie zur Arbeit. Als Röder wieder Auto fahren darf, drückt sie einmal auf der leeren Autobahn einen Moment lang aufs Gaspedal und schreit aus vollem Hals - ein Gefühl der Freiheit, sagt sie später.

"Ich bin wieder die Alte." Dagmar Röder erzählt ihre Geschichte heute voller Dankbarkeit. "Ich habe eine ganze Schar Schutzengel um mich herum." Die Zeit mit Herbert und kurz danach sei "ein Zwischenfall" gewesen, "der hauptsächlich meine Tochter und mich getroffen hat." Eine "schlimme Phase", die Röder nur teilweise mitbekommen hat. Sie sei zwar gut darin, Dinge abzuhaken. Doch dieses Jahr werde sie nie vergessen. Ganz besonders nicht den Moment, als sie ihre Tochter nach all dem Erlebten zum Flughafen bringt, und Patricia zu ihr sagt: "Ich habe meine Mama wieder."

Röders Appell an ihre Mitmenschen

"Von dem Drama Corona habe ich während der Krankenphase nichts mitbekommen", sagt Dagmar Röder. Mit ihrer Geschichte möchte sie ihren Mitmenschen Mut machen. Gleichzeitig appelliert sie an jene, die die Corona-Schutzmaßnahmen ablehnen, dankbar zu sein, "welches wertvolle Leben wir trotz der Einschränkungen haben. Es wird alles versucht, um aus der Krise herauszukommen. Es wird überall viel dafür getan, dass wir geschützt werden und wir sollten einfach geduldig mitmachen", meint Röder.

 
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