Einzige Praxis schließt wohl Ende Juni – Kinderarzt für Neckarsulm händeringend gesucht
Die einzige Kinderarztpraxis in Neckarsulm schließt voraussichtlich am 30. Juni. OB Steffen Hertwig spricht von einer "absoluten Notsituation" und beruft einen Krisengipfel ein.

Rund 4700 junge Patienten versorgt die bestehende Kinderarztpraxis in der Neckarsulmer Marktstraße 34. Das Einzugsgebiet umfasst unter anderem auch Bad Friedrichshall und Neuenstadt. Damit wird voraussichtlich ab 1. Juli dieses Jahres Schluss sein.
Bereits vor rund zwei Jahren hat die paeDOC MVZ GmbH mit Sitz in Fellbach die Praxis von Dr. Rüdiger Borrmann-Matz übernommen. Borrmann-Matz hat die Praxis über Jahre geführt und wollte sich altershalber zur Ruhe setzen. Die GmbH führt die Kinderarztpraxis seitdem als sogenannte Zweigpraxis weiter und findet jetzt keinen Nachfolger.
Suche nach Kinderarzt misslingt in Neckarsulm
Die Idee: Das Unternehmen stellt die Räume und die Einrichtung, sie übernimmt die bürokratischen Arbeiten und stellt einen Fachmediziner an, der nichts anderes zu tun hat, als Kinderarzt zu sein. "Ein Traumjob", findet Dr. Thomas Kauth, niedergelassener Kinderarzt und Gründungsgesellschafter der paeDOC MVZ. Dass sich für diese Stelle trotzdem kein Kinderarzt finden lässt, hätte sich Kauth nicht träumen lassen.
"Wir suchen jetzt seit zwei Jahren mit Anzeigen auf allen Kanälen nach einem Kinderarzt", sagt Kauth. Vergeblich. "Wir finden einfach niemanden." Dabei seien die großzügigen Praxisräume im Herzen der Stadt auf dem neuesten Stand. Erst Anfang des Jahres habe die GmbH 25.000 Euro in ein neues EDV-System investiert. "Wir brauchen nur einen Arzt, der hier arbeitet." Wenn sich bis Ende Juni niemand findet, ist das eine Katastrophe", sagt Kauth. Für die Investoren ebenso wie für die Patienten.
Bestehende Kinderarztpraxis improvisiert den Betrieb mit Vertretern
Derzeit improvisiert die Praxis den Betrieb mit einer Vertreterkonstruktion. Zwar arbeitet in der Neckarsulmer Einrichtung derzeit eine Kinderärztin in Weiterbildung aus Syrien. Eine Zulassung nach deutschen Kriterien hat sie aber nicht. Acht Monate fehlen ihr dafür noch.
Damit der Betrieb in Neckarsulm bisher trotzdem weiterlaufen konnte, haben sich vier Kinderärzte über die Region hinaus bereit erklärt, im täglichen Wechsel nach Neckarsulm zu fahren, damit die Syrerin dort arbeiten kann und auch ihre Zulassungsausbildung erhält. Unter anderem auch Borrmann-Matz. Dieses Konstrukt lässt sich ab der zweiten Hälfte dieses Jahres nicht mehr aufrecht erhalten. Denn die Ärzte, die tageweise in Neckarsulm aushelfen, haben in ihren Heimatstädten Lauffen, Ludwigsburg und Kirchheim/Teck eigene Praxen.
Kauth ist einer von ihnen. Er führt seine Praxis in Ludwigsburg. Sollte die Aussicht auf einen Nachfolger in Neckarsulm bestehen, wäre er bereit, weiterhin dort auszuhelfen, um sich bis dahin "weiter durchzuhangeln", wie er selbst sagt. "Denn wenn wir einen Kinderarzt hätten, hätten wir das Problem von heute auf morgen gelöst."
Neckarsulms Oberbürgermeister spricht von "absoluter Notsituation"
Oberbürgermeister Hertwig war von der bevorstehenden Schließung selbst überrascht. Noch vor einem Jahr habe die GmbH in Aussicht gestellt, den Betrieb bis 30. Juni 2025 weiterzuführen. Dass sie ein Jahr früher schließen würde, erfuhr der Rathauschef vor gut zwei Wochen. "Wir sind jetzt in einer absoluten Notsituation", sagt Hertwig.
Inzwischen hat der OB Gespräche mit einem Kinderarzt im Landkreis Heilbronn aufgenommen. Dessen neue Niederlassung in Neckarsulm sei zwar noch nicht in trockenen Tüchern. Hertwig spricht aber von "einer serösen und belastbaren Perspektive". Zu klären ist aber unter anderem noch, ob der Interessent sich niederlassen darf, sollte die bestehende Praxis doch noch einen Kinderarzt finden. Darüber entscheidet dann die Kassenärztliche Vereinigung.
Weitere Kinderarzt-Praxis für Neckarsulm?
Hertwig ist optimistisch, dass in diesem Fall beide Praxen genehmigt würden. Zwar erachte die Kassenärztliche Vereinigung eine Praxis für Neckarsulm als ausreichend. "Die ab 1. Januar 2025 voraussichtlich entstehende weitere Praxis würde auch mit einer medizinischen Unterversorgung begründet werden", zeigt sich das Stadtoberhaupt optimistisch. Konkretes ließe sich dazu aber erst in ein paar Monaten sagen, so Hertwig.
Bei akuten Fällen können sich Patienten übergangsweise an die Hausärzte oder die SLK-Kinderklinik wenden. Für die Kindervorsorge-Untersuchungen (U-Untersuchung) könne die Stadt allerdings keine Empfehlung geben. Hertwig hofft, dass eine Übergangslösung ab dem 1. Juli zustande kommt. Eine erste Weichenstellung dafür könnte der Gipfel am Donnerstag sein, bei dem neben dem Oberbürgermeister unter anderen Kinderärzte benachbarter Kommunen, Obleute und Vertreter der paeDOC MVZ treffen.