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80 Jahre nach Kriegsende
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In der Scheune schlummerte der Schrecken

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An einem kalten Februartag 1946 finden vier Jungen in einem Holzschuppen in Donnbronn eine Handgranate. Bei der Detonation sterben zwei von ihnen. Zeitzeugen und ein Überlebender erinnern sich an die sichtbaren und unsichtbaren Wunden, die Kriege hinterlassen.

Zeitzeugen auf Spurensuche: Emil Weinert, Wilhelm Baier, Wolfgang Fromm und Kurt Bauer (v.l.) an dem Ort, an dem 1946 die Granate detonierte. Fromms Eltern hatten das Anwesen nach dem Krieg gekauft.
Zeitzeugen auf Spurensuche: Emil Weinert, Wilhelm Baier, Wolfgang Fromm und Kurt Bauer (v.l.) an dem Ort, an dem 1946 die Granate detonierte. Fromms Eltern hatten das Anwesen nach dem Krieg gekauft.  Foto: Andreas Zwingmann

Es war eigentlich keine große Sache für die vier Donnbronner Jungs. Die Oma hatte Wilhelm und seine Freunde Fritz, Albert und Karl nur zum Holz holen in den Schuppen geschickt. Damit weiter geheizt werden kann. Schließlich war der 2. Februar 1946 ein kalter Wintertag.

Da konnte noch niemand ahnen, dass sich an diesem Nachmittag die wohl größte zivile Tragödie zutragen sollte, die der heutige Untergruppenbacher Teilort nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Einem Krieg, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Jahr beendet ist, dessen Folgen aber für etliche Donnbronner bis heute nachklingen: Vom Holz holen kamen zwei der vier Jungen nicht mehr lebend zurück, die beiden anderen erlitten schwerste Verletzungen.

Der Dorf-Arzt handelt schnell

Denn in der Holzscheune hinter dem Haus in der Donnbronner Klarastraße hatte das Quartett etwas gefunden. Eine Handgranate. „Wie die in die Scheune gekommen ist, weiß keiner“, sagt Wilhelm Baier. „Auch nicht, ob die noch von den Deutschen war oder von den Amerikanern.“ Baier hat das Unglück damals überlebt. Weil er sich abwandte, als sein Freund anfing, mit dem Fundstück zu hantieren. „Der Karl hat an dem Ding rumgeschraubt. Er hatte offenbar keine Ahnung, was er da gefunden hatte“, erinnert sich der heute 87-Jährige. „Da wollte ich weg.“

Doch schon wenige Sekunden später gibt es eine enorme Detonation. „Viel mehr weiß ich gar nicht mehr“, schildert Baier. Erst als er daheim ankommt, fragt man ihn, was er angestellt hat. Seine linke Gesichtshälfte ist voller Blut. Im Krankenhaus in Weinsberg wird man kurz darauf feststellen, dass zwei Splitter in seinem Rücken stecken und einer in seinem Schenkel. Er hat Glück, dass Ortsarzt Friedrich Bouché in der Nähe seines Elternhauses ist. Der Mediziner packt den Buben sofort in sein Auto und fährt ihn ins Krankenhaus.

Schreie eines der Opfer hallen lange nach

„Mit den Folgen hatte ich noch lange zu kämpfen“, erzählt Baier. Noch heute trägt er Spuren seiner Verwundung an Ohr und Wange. „Als ich aus dem Krankenhaus kam, durfte ich mich lange Zeit nicht anstrengen, nicht Fahrrad fahren, nicht arbeiten“, so der damals Achtjährige. „Und Alberts Schreie ließen mich lange nicht schlafen.“ Albert Rieger, 1939 geboren und damit der jüngste der vier, erlag zwei Tage nach der Explosion der Granate im Weinsberger Krankenhaus seinen Verletzungen. Karl Bauer, der das Kriegsgerät fand, und Fritz Rudolf, genannt „Fritzle“, waren sofort tot.

„Den Riesenknall hat man schon gehört, aber sowas gab es seinerzeit, kurz nach dem Krieg, ja öfter“, sagt Zeitzeuge Emil Weinert, damals selbst noch keine 13 Jahre alt. „Aber es ging recht schnell wie ein Lauffeuer durch den Ort, dass eine Granate explodiert ist und es Tote gab.“ Also sei er an den Ort des Geschehens gelaufen: „Der Karl saß da wie so ein kleines Bündel mit Kopf dran, das war kein schöner Anblick.“

Erschütternde Nachricht bei der Rückkehr von der Arbeit

Karls älterer Bruder Kurt Bauer (94) erinnert sich fast achtzig Jahre nach der Tragödie daran, wie er diesen Februarsamstag erlebte, als er gegen Abend von der Arbeit in Ilsfeld kam: „Unsere Familie war arg gebeutelt. Die Mutter hatte Diphterie, der Vater war im Krieg an der jugoslawischen Grenze gestorben. Also musste ich seine Rolle einnehmen. Jedenfalls habe ich mich gewundert, dass niemand da war und niemand auf mein Rufen reagierte. Erst als ich im Haus ins Nebenzimmer ging, sah ich, was los war. Da hatten sie den Karl schon aufgebahrt.“

Was denken Menschen, die ein solches Unglück erlebt oder mitverfolgt haben, heute, acht Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, angesichts des Geschehens in der Ukraine und drohender oder realer Kriegsgefahren weltweit? Baier, Weinert und Kurt Bauer schütteln nur die Köpfe und winken ab. „Hat man denn“, fragt Weinert schließlich, „aus all dem Elend und Leid der Vergangenheit nichts gelernt?“

Wieviel Munition aus den Bodenkämpfen der Kriege noch in Baden-Württemberg in der Erde oder in Gewässern liegt, kann nach Angaben des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags nur schwer erfasst und beziffert werden. „Erfahrungsgemäß“ heißt es in einem Bericht der Behörde aus dem Jahr 2022, „werden seit Jahren relativ stabil zwischen fünf und fünfzehn Tonnen Kampfmittelaltlasten pro Jahr entschärft und vernichtet“.In Donnbronn hatte zuletzt am 26. Oktober 2022 – ebenfalls in einer Scheune – ein Hofeigentümer eine Handgranate aus Weltkriegszeiten gefunden. Das Kampfmittel war von Experten des Landeskriminalamts vor Ort kontrolliert gesprengt worden.

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