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Viele Tiere verletzt oder tot
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Tierleid durch Hochzeitstauben: Züchter aus Obersulm spricht über Missstände

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In Obersulm-Affaltrach kümmert sich ein Züchterpaar um herrenlose Hochzeitstauben. Immer mehr Tiere kehren nach Feiern nicht heim – mit fatalen Folgen.


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Zwischen ihren grau gefiederten Artgenossen fällt sie sofort auf: die weiße Taube, die Züchter Karl-Heinz Flachsmann erst kürzlich zugeflogen ist und die er bei sich aufgenommen hat. Zwischen den anderen Zucht-Brieftauben sticht das Tier hervor, weil es Federn an den Krallen hat – und weil es keinen Ring mit einer Züchter- oder Telefonnummer trägt. Karl-Heinz Flachsmann kennt die Problematik. Dem Züchter aus Obersulm-Affaltrach fliegen immer wieder fremde Tauben zu – darunter auch orientierungslose Hochzeitstauben.

Mit ihrem weißen Gefieder gelten sie als Symbol für Hoffnung, Liebe und Treue – Werte, die bei religiösen oder weltlichen Anlässen wie Taufe, Kommunion, Eheschließung oder Beerdigung eine Rolle spielen. Zu solchen Anlässen werden gerne echte Tiere in die Lüfte entlassen. Doch der Trend ist aus Tierschutzsicht nicht unbedenklich.

Hochzeitstauben im Internet: Tier oft ohne Rückkehrchance

Sehr oft werden die Ziertauben aus Unwissenheit günstig übers Internet gekauft – auf Portalen wie Kleinanzeigen schon ab 25 Euro pro Tier – und dann ihrem Schicksal überlassen. Den Trend spüren auch Züchter wie Karl-Heinz und Jutta Flachsmann immer öfter.

Im selbst gebauten Taubenschlag hält der 70-jährige Karl-Heinz Flachsmann viele Tiere. Seit seiner Kindheit hat er Brieftauben, bietet sie für besondere Anlässe an.
Im selbst gebauten Taubenschlag hält der 70-jährige Karl-Heinz Flachsmann viele Tiere. Seit seiner Kindheit hat er Brieftauben, bietet sie für besondere Anlässe an.  Foto: Kunz, Christiana

„In den vergangenen Jahren sind bei uns viel mehr Tauben gemeldet worden“, weiß Jutta Flachsmann. „Wir holen sie dann ab, obwohl sie nicht zu unserem Bestand gehören, und suchen seriöse Kleintierzüchter, die sie übernehmen und weiterversorgen.“ Viele Hochzeitstauben finden nicht in ihren Schlag zurück, weil sie nicht darauf trainiert wurden. Sie fallen Fressfeinden wie Greifvögeln zum Opfer, irren umher, schließen sich wildlebenden Tauben an oder erleiden schwere Verletzungen bis hin zum Tod. Obwohl es in manchen Online-Anzeigen heißt, die Tiere würden nach dem Auflassen wieder in ihren Schlag zurückfinden, werden sie oft nur für den Moment gezüchtet. Manche sind noch Jungtiere, die kaum Flugerfahrung haben. Häufig sind sie unberingt und können keinem Besitzer zugeordnet werden.

Trainierte Brieftauben finden den Weg zurück – Ziertauben meist nicht

„Das Problem ist, dass viele Menschen im Internet kaufen. Das sind Ziertauben, die kein Orientierungsvermögen beim Fliegen haben wie Brieftauben“, erklärt Karl-Heinz Flachsmann, der von „schwarzen Schafen“ unter Taubenverkäufern spricht. „Ich verstehe nicht, warum solche Online-Anzeigen nicht weiter überprüft werden“, ergänzt seine Frau.

Die Tauben müssen sich an den Besuch gewöhnen. Den ganzen Tag laufen im Schlag Musik und Radio.
Die Tauben müssen sich an den Besuch gewöhnen. Den ganzen Tag laufen im Schlag Musik und Radio.  Foto: Kunz, Christiana

Viele Hochzeitslocations haben das Auffliegen von Tauben deshalb schon ganz untersagt. Die Stadt Heilbronn könne das nicht verbieten, sondern lediglich eine Empfehlung aussprechen, dass „aus tierschutzrechtlichen Gründen auf das Auflassen sogenannter Hochzeitstauben“ verzichtet wird, wie es im Flyer zur Eheschließung heißt. Vielmehr müsse jeder Einzelfall nach dem Tierschutzgesetz beurteilt werden, so Stadtsprecherin Suse Bucher-Pinell.

Mit Sachkunde und Verantwortung: Familie Flachsmann setzt auf Tierschutz

Seit einigen Jahren stellen Karl-Heinz und Jutta Flachsmann Brieftauben für vielfältige Veranstaltungen zur Verfügung, auch bei Geburtstagen oder Trauerfeiern. Und das im Einklang mit dem Tierschutzgesetz – darauf legen sie Wert. Angefangen hat es im Privaten als Hobby, Flachsmanns haben es 2019 als Kleingewerbe genehmigen und beim Veterinäramt registrieren lassen, dazu kommen Sachkundenachweise.

„Man macht den Leuten eine Riesenfreude, dass die Kinder und Enkel die Tiere streicheln dürfen. Menschen, die mit Tieren können, sind empathischer, übernehmen Verantwortung“, sagt Karl-Heinz Flachsmann, der findet: Hochzeitstauben fliegen lassen, das ist mit jahrzehntelanger Erfahrung möglich. Seine Tauben würden tierärztlich betreut, ernährt wie Leistungssportler, mit speziell ausgesuchtem Körnerfutter. Seit seiner Kindheit hält der 70-Jährige Brieftauben, hat sich mehrfach weitergebildet. Längst sind seine Frau Jutta und andere Familienmitglieder in die Hege der Tiere eingestiegen.

Kaum Urlaub oder Freizeit: Familie steckt mit viel Herzblut in die Zucht

Die Familie steckt das ganze Jahr über viel Herzblut, Zeit und Geld in die Aufzucht, die Versorgung und das Konditionstraining der Tauben, die täglich mindestens eine Stunde Ausflug haben. Eine Auszeit gibt es kaum, Urlaub erst recht nicht. „Es ist kein Hobby mehr. Dafür sind es zu viele Tiere“, sagt Karl-Heinz Flachsmann.

Ein Jungtier im Aufzuchtgehege.
Ein Jungtier im Aufzuchtgehege.  Foto: Kunz, Christiana

In seinem in Eigenleistung gebauten Taubenschlag leben zahlreiche Vögel. Der Schlag ist sauber, überall ist Gurren und Flattern zu vernehmen. Die Tauben sind aufgeschreckt ob des ungewohnten Besuchs – anders als bei Karl-Heinz Flachsmann. Wenn er kommt, bleiben die Tiere ruhig sitzen. Tageslicht dringt in den Taubenschlag, der in mehrere Bereiche und Volieren aufgeteilt ist. Tagsüber läuft Radio und Musik, damit die Tiere an Stimmen gewöhnt und zahmer werden.

Tauben werden nur bei besten Bedingungen fliegen gelassen

Jutta Flachsmann ist meistens bei den Veranstaltungen mit den Tauben vor Ort, nur Events im 50-Kilometer-Radius um Obersulm werden bedient. Mit den Brautpaaren bespricht sie sich im Vorfeld, informiert über die Bedingungen. Zum Beispiel, dass die Tiere bei schlechtem Wetter wegen der Orientierung nicht angeboten werden: „Das ist Voraussetzung.“

Bei Hochzeiten bringt Jutta Flachsmann die Tauben je nach Anzahl in einem Korb oder Käfig mit. „Sie sind es gewohnt, es kommt kein Stress auf“, sagt Flachsmann, die bei den Events zügig vorgeht. Die Tauben würden hochfliegen und nach kurzer Orientierung in ihren Schlag zurückfliegen – dorthin, wo sie geschlüpft sind.

Das sagen Tierschützer zum Hochzeitstauben-Trend

Was passiert, wenn Hochzeitstauben den Weg nicht zurückfinden – sondern verletzt, orientierungslos oder gar tot aufgefunden werden? In den meisten Fällen werden Tierschutzinitiativen wie das Heilbronner Tierheim oder die Grenzenlose Tierhilfe Neckarsulm alarmiert. Bei Letzterer ist Gina Zundel zweite Vorsitzende. Seit Kurzem nimmt die tierliebe, junge Frau auch Tauben bei sich auf, weil die Initiative immer mehr Meldungen über gefundene und verletzte Vögel erhält – zwischen zwölf und 15 Tauben waren es allein in diesem Jahr. Um die Hilfe auf mehrere Schultern zu verteilen, hat sich Zundel mit anderen Taubenschützern vernetzt und Freiwillige gefunden, die sich um die Tiere kümmern. Interessierte können sich jederzeit unverbindlich informieren, sagt Zundel.

Eine lebendige Hochzeitstaube hat sie kürzlich aufgenommen, eine andere wurde tot entdeckt. „Clarence“ ist auf einem Auge blind – vermutlich ist er aus Erschöpfung gegen eine Hauswand geflogen und abgestürzt.

Appell: Zwischen Angebot und Tierschutz abwägen

„Das Auflassen der Tiere bedeutet für sie oft den sicheren Tod“, sagt Anja Fischer, stellvertretende Vorsitzende des Tierschutzvereins Heilbronn und Umgebung. „Sie werden angegriffen oder finden den Weg nicht zurück.“ Und es geht noch weiter: „Wir hatten schon öfter auch gepiercte oder bunt angesprühte Tiere“, sagt Fischer.

Das Heilbronner Tierheim nimmt das ganze Jahr über Hochzeitstauben auf, besonders in der Hochzeitssaison im Sommer. Erst vor wenigen Tagen wurde ein geschwächtes Exemplar am Wegesrand gefunden. „Diese Tauben sind für uns schwer zu vermitteln. Wir päppeln, füttern, versorgen sie und bringen sie bei Bedarf zum Tierarzt. Dabei erhalten wir keinerlei finanzielle Unterstützung“, betont Fischer. „Es liegt komplett in unserer Verantwortung als Tierschutzverein.“

„Es gibt immer Abstufungen“, sagt Gina Zundel von der Grenzenlosen Tierhilfe über gewerblich angebotene Hochzeitstauben. „Wenn ein Veterinäramt dahintersteht, ist das schon mal gut. Die Frage ist, ob es die Sache an sich rechtfertigt.“ Zundel wünscht sich, dass Menschen hinterfragen, ob sie ihr Geld für Hochzeitstauben ausgeben – oder lieber in den Tierschutz investieren wollen.

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