Erfolgsstory Lemberger Weißherbst: Schwere Köpfe gaben den Anstoß
60 Jahre und trotz allem noch ein Renner: Der ehemaliger Kellerchef des Weinkonvents Dürrenzimmern, Siegfried Brose (84) hält die Erfolgsgeschichte des Lemberger Weißherbst wach.

Am Anfang war viel Hohn und Spott. Der heute 84-jährige Siegfried Brose erinnert sich sich noch gut: „Die alten Vorstände haben alle den Kopf geschüttelt und uns fast für verrückt erklärt. Auch für Kollegen von außerhalb grenzte das an Gotteslästerung: Wie kann man nur, seit ihr noch zu retten?“ Wie kann man nur aus einer edlen roten Rebsorte, aus dem Stolz des Zabergäus, dem weit über die Grenzen hinaus gerühmten, in manchen Jahren raren und stets gut dotierten Lemberger keinen Rotwein machen? Sondern nur einen Weißherbst? Noch dazu halbtrocken oder gar restsüß, also auf den ersten Blick ein belangloses, süffiges Weinchen?
Jahrhundertjahrgang sorgte für schwere Köpfe
Siegfried Brose, der damals als Lehrling von Karl Kühner das Kellermeisterhandwerk in der Weingärtnergenossenschaft Dürrenzimmern lernte, weiß die Antwort. „Anstoß dazu gab der Jahrgang 1959“, der weit über Württemberg hinaus als Jahrhundertjahrgang gilt. „Der Lemberger erreichte damals Top-Werte von 110 Oechsle und der kräftige, gerbstoffreiche Wein war so eine Alkoholbombe, dass am Ende alle einen schweren Kopf bekamen.“ Brose berichtet von einer legendären Vorstandssitzung, nach der am nächsten Tag „alle jammerten“. „Man muss wissen: Damals tranken sie am Abend noch locker drei, vier Viertel.“
Karl Kühner hatte die zündende Idee
Kurzum: Nach dieser legendären Schwere-Kopf-Sitzung sagte sich Kellermeister Karl Kühner, „wir müssen was machen“ und setzte 1963 seine zündende Idee in die Tat um: Weißherbst. Im Prinzip also einen hellroten Tropfen, der nicht wie ein Rotwein über eine mehrtägige oder gar mehrwöchige Maischegärung und dem anschließenden Pressen gewonnen wurde. „Vielmehr haben wir den Saft nach dem Einmaischen und einem Tag Standzeit einfach ablaufen lassen, quasi als Vorlauf, voller Frucht.“ Durch dieses schonende Verfahren hätten die Weine zwar nur eine rötliche Farbe bekommen, sie hätten aber auch weniger Gerbstoffe abbekommen, weil diese wie die Farbstoffe in den Beerenhäuten blieben, erklärt Brose.
Sensationell hohe Traubengelder
Brose, der später zum Dürrenzimmerner Kellerchef avancierte, hat dieser Tage mit Nachfolger Miguel Essig, dem ehemaligen Geschäftsführer Werner Weidenmann und Vize-Vorständin Luise Hechler die Erfolgsgeschichte aufleben lassen: Nach nur sechs Wochen waren die ersten 6000 Liter vergriffen. „Außer Schiller gab es damals sowas kaum.“ Kontinuierlich habe man die Menge gesteigert, und als Dürrenzimmern 1975 ins Weindorf stieß, entpuppte sich der unkomplizierten Tropfen schnell zum Renner. Längst ist er eine Marke, die zum wirtschaftlichen Pfeiler der WG wurde. In guten Jahren bekamen die Mitglieder 25.000 Euro pro Hektar ausbezahlt, dreimal soviel wie heute. „Das hat uns den Rücken gestärkt für Investitionen,“ so Weidenmann.
Heute bietet der Weinkonvent acht verschiedene Lemberger-Weißherbst-Produkte an – bis hin zum Sekt und 1989er Eiswein. Wermutstropfen: Am Verkaufspreis hat sich in 60 Jahren kaum etwas geändert, „nur dass aus Mark Euro geworden ist“, so Essig. Natürlich gibt es auch einen Jubiläumswein zu 7,50 Euro, wobei der nach dem Weindorf ausverkauft sein dürfte.