1963 in Magdeburg geboren, arbeitet Andreas Kriegenburg an Häusern in ganz Europa als Regisseur und Bühnenbildner für Schauspiel und Oper. Seine vielfach ausgezeichnete Theaterarbeit begann er als Tischler und Techniker am Theater Magdeburg, führte dann Regie in Frankfurt/Oder. 1991 wurde er Hausregisseur an der Volksbühne Berlin. Kriegenburg war Oberspielleiter am Thalia Theater Hamburg, am Schauspiel Hannover und Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin. Neun Mal wurde er zum Berliner Theatertreffen eingeladen, er war Bühnenbildner des Jahres, seine Opernregie von Zimmermanns „Die Soldaten“ Aufführung des Jahres.
Zwei ungleiche Paare und ein Verlegenheitsbesäufnis
Andreas Kriegenburg inszeniert „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza als Edelboulevard am Schauspiel Stuttgart - virtuos, komisch und etwas aus der Zeit gefallen.

Nicht von ungefähr ist Yasmina Reza eine der meist gespielten Gegenwartsautorinnen. Virtuos, komisch und klug blickt sie in die Abgründe des Bildungsbürgertums, seziert dessen Befindlichkeiten so locker wie entlarvend. Ihr Stück „Drei Mal Leben“ aus dem Jahr 2000 ist feinstes Edelboulevard, allerdings auch ein in die Jahre gekommenes Zeitstück, das Andreas Kriegenburg nun für das Stuttgarter Schauspiel inszeniert hat. Von Kriegenburg, der seit den 90er Jahren an renommierten Häusern in ganz Europa arbeitet, stammt auch die Bühne. Und so gibt es Wiedererkennungswerte mit seiner Regie von Dario Fos Tragikomödie „Offene Zweierbeziehung“, die er 2023 in Stuttgart zur Premiere brachte mit Therese Dörr und Gábor Biedermann.
Probleme einer akademischen Wohlstandsgesellschaft
Dörr und Biedermann sind erneut dabei als Paar, dem man eine Therapie empfehlen möchte. Marco Massafra und Celina Rongen geben ein zweites Paar, eine beliebte Reza-Konstellation, um wechselnde Allianzen und Befunde einer akademischen Wohlstandsgesellschaft und ihre Probleme durchzukonjugieren.
Die Ausgangssituation in „Drei Mal Leben“ folgt dem klassischen Zimmerschlachten-Drama. Das Setting: zwei Ledersofas, ein Sessel, ein Kubus links, ein Kubus rechts für Auftritt und Abgang, von links hört man den Sohn von Sonja und Henri brüllen. Keks oder Apfel, der Sechsjährige will nicht einschlafen. Die Mutter bleibt strikt, nichts gibt es nach dem Zähneputzen, und versucht, sich auf ihre Akten zu konzentrieren für den nächsten Tag. Der Vater lässt sich erweichen, das übliche Drama bei unterschiedlichen Erziehungsidealen.
Wenn Gäste einen Tag zu früh kommen und der Kühlschrank leer ist
Eigentlich haben sich Henri, Astrophysiker und seit Jahren ohne nennenswerte Publikation, und Sonja, toughe Juristin, auf einen ruhigen Abend eingestellt. Der eigentliche Aufreger aber kommt in der Erscheinung von Henris Kollege Hubert und dessen Gattin Ines. Die Finidoris waren zwar für den Abend darauf eingeladen – eine taktische Einladung, in der Hoffnung, Hubert könne Henris Karriere forcieren. Nun klingen sie an der Tür. Sonja in Schlabberlook, Henri in heller Aufregung, der Kühlschrank leer.
Statt Mehrgängemenü gibt es die Kekse die der Sohn nicht kriegen soll, Häppchen aus Resten und jede Menge Weißwein. Das nun folgende Verlegenheitsbesäufnis wird befeuert von der Hiobsbotschaft, mit der Hubert seinen Kollegen konfrontiert: dass in einer anerkannten Wissenschaftsreihe just ein Artikel erschienen ist zu eben jenem Thema, an dem Henri arbeitet. Henri ist am Boden zerstört, Hubert labt sich generell an den Schwächen anderer und putzt seine Frau gerne öffentlich herunter. Sonja hat für all das nur Verachtung übrig.
Reizvolle Versuchsanordnung für ein famoses Ensemble
Der Kniff ist, dass Yasmina Reza diesen Grundkonflikt in drei Varianten spielen lässt, „Trois versions de la vie“ heißt ihre Versuchsanordnung im Original, in der die vier Figuren unterschiedlich auf die Situation reagieren und neue Haltungen und Strategien entwickeln. Was bleibt, ist, dass der Abend im minimalistisch gediegenen Wohnzimmer der Gastgeber wider Willen jedes Mal aus dem Ruder läuft. Im Switchen der eigenen Perspektive und in den wechselnden Sympathien untereinander liegen die dramaturgische Sprengkraft von Rezas Gesellschaftssatire und der Reiz des famosen Ensemblespiels.
Biedermann lässt seinen erfolglosen, luschigen Wissenschaftler und Pantoffelhelden im Dreischritt zum Zyniker reifen, Massafras Hubert mutiert vom Sadisten über den flotten Draufgänger zum verklemmten Nerd. Dörrs Sonja reagiert immer gelassener, selbstironisch und nimmt nicht nur den Gatten, sondern den Rest der Welt nicht ernst. Während die großartig komödiantische Celina Rongen Ines als nerviges Dummchen sich emanzipieren lässt. These, Antithese, Synthese: Rezas dialektisches Möglichkeitsszenario zeigt Regisseur Kriegenburg als süffiges Boulevard.
Hübsche Bosheiten, harmlose Botschaft
Spielfreude mit akrobatischem Einsatz, Slapsticks, hübsche Bosheiten, die immer wiederkehrende Frage, ob die galaktischen Helos aus dunkler Materie, über die Henri forscht, flach sind, und dieser beiläufig intelligente Wortwitz von Yasmina Reza werden mit Tempo serviert. Timing und kalkulierte Gefühlsausbrüche, alles fein und komisch. Bis zur Idee, sieben Statisten als Bedienstete zwischen den Bildwechseln nicht nur umräumen zu lassen, sondern die vier Protagonisten wie Schachfiguren auf ihre Position zu stellen. Viel Applaus nach 100 Minuten – und das Gefühl, dass „Drei Mal Leben“ mit den Jahren harmlos geworden ist.
Weitere Aufführungen: www.schauspiel-stuttgart.de

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