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Interview Pen-Präsident
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„Worte sind erst einmal unschuldig“

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Matthias Politycki, der Präsident des Schriftstellerverbands Pen Deutschland, der Kampf um die Freiheit des Geistes und warum uns die nächste Welle der Zensur von rechts überrollt - wenn wir nicht aufpassen.

Anfang Oktober erst im Literaturhaus Heilbronn zu Gast bei einer Lesung: Der Schriftsteller Matthias Politycki, der sich nicht nur in Form von Lyrik und Prosa, sondern als Pen-Präsident Deutschland auch politisch äußert.
Anfang Oktober erst im Literaturhaus Heilbronn zu Gast bei einer Lesung: Der Schriftsteller Matthias Politycki, der sich nicht nur in Form von Lyrik und Prosa, sondern als Pen-Präsident Deutschland auch politisch äußert.  Foto: Lina Bihr

Der Würstchenbuden-Eklat ist in die Geschichte des deutschen Pen eingegangen, in dessen Folge sich im Mai 2022 der Schriftstellerverband mit Aplomb spaltete: in den Pen Deutschland und den Pen Berlin. Seit Juni ist Matthias Politycki Präsident des Pen Deutschland. Ein Gespräch über Abenteuer, die Schere im Kopf und Meinungsfreiheit.

Sie gelten als der Abenteurer der deutschen Gegenwartsliteratur – und sind jetzt Präsident des Pen Deutschland. Ist das die Art Abenteuer, die Ihnen noch gefehlt hat, Herr Politycki?

Matthias Politycki: Es ist jedenfalls ein größeres Abenteuer, als wenn ich jetzt in ein weiteres Land aufgebrochen wäre. Als Schriftsteller habe ich mein Leben weitgehend mit und in der Literatur verbracht. Nun bin ich Teil eines vielköpfigen Teams, arbeite mit Institutionen und Partnern in ganz Deutschland zusammen. Das ist so ziemlich das Gegenteil meines bisherigen Lebens.

Abenteuerlich war auch die Tagung des Pen vor drei Jahren, als sich Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung ausgerechnet der Schriftstellerverband spaltet mit Krawall. Dabei stellt man sich Schriftsteller gemeinhin als vernunft- und diskurserprobte Intellektuelle vor.

Politycki: Nun ja, auch wir neigen immer mal wieder zu Grundsatzdebatten, die auch recht hitzig werden können. Sofern sie mit gegenseitigem Respekt geführt werden, dürfen die Fetzen ruhig fliegen, das schärft Argument und Erkenntnis. Aber bei unserer Jahrestagung 2022 hatte man schon zu Beginn eine Schippe zuviel aufgelegt, das flog uns dann um die Ohren.

Lassen Sie uns das mal rekonstruieren. Was hat es mit dem sogenannten Würstchenbuden-Eklat auf sich?

Politycki: Schon im Vorfeld der Tagung gab es große Verwerfungen innerhalb des Präsidiums, etwa zwischen Generalsekretär Heinrich Peuckmann und dem damaligen Präsidenten Deniz Yücel. Peuckmann war einer, der sein Amt mit viel Herzblut ausgeübt hat. Er hat in der Gegend, in der er wohnte, Kamen bei Dortmund, immer wieder Freunde angesprochen, ob sie nicht eine Wohnung und noch eine und noch eine für Writers-in-Exile-Stipendiaten hätten – und auf diese Weise verfolgten Schriftstellern aus aller Welt just in diesem Stückchen Bundesrepublik eine Heimat auf Zeit verschafft.

Und dann?

Politycki: Hat er sie immer mal wieder zu sich nach Hause eingeladen. Was macht man in Deutschland im Sommer? Man grillt auf der Terrasse. Dass der Pen in der Polemik von Yücel zur Wurstbude verkürzt wurde, tut der Sache wirklich Unrecht. Ich war im Ausland immer dankbar für diese Art Gastfreundschaft.

In der Außenwirkung wurde das aber als Punktsieg für den neuen Berliner Pen um Yücel wahrgenommen.

Politycki: Die Medien haben damals, mit wenigen Ausnahmen, sehr einseitig berichtet. Deniz Yücel ist als Journalist in der Branche zu Hause und hat vermutlich überall Ansprechpartner. Zudem waren zu dieser Jahrestagung Medienvertreter eingeladen, die während der Aussprache der Mitglieder eigentlich nicht zugelassen sind. All das wird einmal gründlich aufgearbeitet werden müssen. Jetzt sind wir, Deniz Yücel und ich, auf der Frankfurter Buchmesse immerhin mal aufeinander zugegangen und haben uns vorgenommen, nach vorne zu blicken.

Dazu gibt es dieses Foto auf Ihrer Facebookseite, Sie und Deniz Yücel in trauter Eintracht neben dem Präsidenten vom Pen International. Sind Sie nun beste Freunde?

Politycki: Beste Freunde müssen wir gar nicht werden. Wir haben angefangen, miteinander zu reden, um das angespannte Verhältnis der beiden Vereine in einen Modus Vivendi zu überführen. Fürs Erste haben wir die Handynummern ausgetauscht, das ist doch mehr als eine Formalie.

Jetzt lassen Sie mich provozieren: Ist solch ein Schriftstellerverband nicht ein überkommener Debattierclub?

Politycki: Wir sind kein Debattierclub. Wir haben einen einzigen Vereinszweck, die Freiheit des Wortes, seit über hundert Jahren sind wir der Meinungsfreiheit verpflichtet. Und die ist auch in Deutschland seit einigen Jahren stark gefährdet.

Wodurch?

Politycki: Etwa durch Sprachverbote, die zu einer grassierenden Selbstzensur geführt haben. Und Selbstzensur ist effizienter als Zensur durch staatliche Kontrolle.

Klingt nach Verschwörungstheorie.

Politycki: Das sind Erfahrungen, nicht nur in unserer Branche.

1955 in Karlsruhe geboren, aufgewachsen in München, studiert Matthias Politycki Literatur, Philosophie, Theater- und Kommunikationswissenschaft und wird mit einer Arbeit über Deutsche Literatur im Urteil Nietzsches promoviert. Seit 1990 freier Schriftsteller. Sein 1997 erschienener „Weiberroman“ wird ein Bestseller und gilt als zentraler Text der literarischen Postmoderne. Politycki lebt nach langen Jahren in Hamburg überwiegend in Wien.

Konkrete Beispiele, Herr Politycki.

Politycki: Zum Beispiel, wenn Sensibility Reader bereits lektorierte, also verlagsseitig abgesegnete Texte, erneut überprüfen, ob sich irgendeine Minderheit bei der Lektüre verletzt oder unwohl fühlen könnte. Wohlfühlliteratur ist das Gegenteil von Literatur. Sensibility Reader sind nichts anderes als Zensoren, die dafür bezahlt werden, dass sie unsre Literatur auf eine ganz gewisse Weltanschauung hin durchbürsten.

Sie zielen auf das, was gemeinhin als Wokeness gebrandmarkt wird.

Politycki: Unser Ziel als Verein ist es, die vom Gesetzgeber garantierte Meinungsfreiheit wieder zu einer selbstverständlich gelebten Praxis zu machen, wie sie es bis vor zehn, 20 Jahren war. Auf dass sie nicht von der Gegenbewegung, die gerade auf uns zurollt, erneut zerstört wird.

Welche Gegenbewegung meinen Sie?

Politycki: Die sehen wir überdeutlich in den USA. Als Reaktion der Rechten auf all das, was die Linken in den vergangenen Jahren an weltanschaulichen Vorgaben gemacht haben, Reinigung der Schulbibliotheken, Umschreiben von Weltliteratur. Nun macht die Gegenseite prompt das Gegenprogramm, ersetzt ein Übel durch ein anderes.

Das erleben wir so auch bei uns.

Politycki: Wir haben in Deutschland ein Zeitfenster, schätze ich, von wenigen Jahren, uns gegen beide Extreme in Stellung zu bringen. Entweder wir schaffen es, die Freiheit des Wortes wieder zum Common Sense zu machen, oder die nächste Welle der Zensur wird uns überrollen – diesmal von rechts.

Wie die Diskussion, ob man noch von veganen Würstchen sprechen darf.

Politycki: Die Diskussion wirkt lächerlich, doch dahinter steckt ein furchtbarer Ernst. Kulturkampf setzt immer an der Sprache an, an einzelnen Worten. Aber Worte sind erst einmal unschuldig. Sobald man hier Vorschriften macht, beginnt eine, vorsichtig formuliert, undemokratische Entwicklung.

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