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Festival Science & Theatre
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Worauf wir noch hoffen dürfen kurz vor dem Weltuntergang

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Warum die Uraufführung von „Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit“ in der Boxx des Heilbronner Theaters zu einem munteren und cleveren Gedankenspiel darüber gerät, was ist, wenn eine KI uns überflüssig macht.

Cleveres und kurzweiliges Gedankenspiel: die Wissenschafts- und Gesellschaftssatire „Häufig gestellte
Fragen zum Fortbestand der
Menschheit.“
Cleveres und kurzweiliges Gedankenspiel: die Wissenschafts- und Gesellschaftssatire „Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit.“  Foto: Björn Klein

Wovon handelt, fragt eine Stimme, die folgende Geschichte? Die am zweiten Festivaltag von Science & Theatre erzählt wird als Uraufführung in der Boxx des Heilbronner Theaters? Von der Apokalypse. Vom Weltuntergang – und das in einer munteren Art und Weise, die Fragen der Wissenschaftsethik mit Humor, Gesellschaftssatire und Slapstick verbindet.

Nun ist die Apokalypse auch eine Literaturgattung. Nicht nur der religiösen Literatur, auch Science Fiction spielt mit Untergangsszenarien und Erlösungsfantasien. Wobei sich die Enthüllung – was Apokalypse im Griechischen heißt – als das Ende der Menschheit offenbart, wenn andere Systeme die Weltherrschaft übernehmen. Etwa die Künstliche Intelligenz Lucid, die aus einem Forschungslabor in Zürich ausbüxt: ein Szenario, das Roman Eich fortspinnt in „Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit“.

Drei quicklebendige Schauspieler in einer intelligent überdrehten Inszenierung

Eichs Stück hat vor zwei Jahren den zweiten Preis und den Publikumspreis gewonnen beim internationalen Dramenwettbewerb Science & Theatre, jetzt ist es auf der Bühne zu erleben in der cleveren Regie von Nicole Buhr. Und mit drei quicklebendigen Schauspielern, die existenzielle Fragestellungen beiläufig leicht verhandeln, nachgerade rocken – und den Abend, der textlastig und wissenschaftstheoretisch beginnt, zu einem intelligenten Theatererlebnis machen. 

Die Umkehr der Machtverhältnisse zwischen Mensch und Maschine

Lucid also ist verschwunden. Zwölf Jahre später entdecken Wissenschaftler eine Veränderung des Merkur. Der Planet wird zunehmend dunkler. Lucid scheint Solarpanels auf dem Merkur zu installieren, die der Erde das Sonnenlicht nehmen. Der Fortbestand der Menschheit ist bedroht. „Eine Geschichte, deren Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit wahrgewesen sein wird“. Ist doch die Umkehr der Machtverhältnisse Mensch und Maschine eine diskutierte Möglichkeit. Was, wenn Lucid eine Zivilisation schafft, die den Rest der Welt überflüssig werden lässt?

Gefüttert vom Menschen mit menschlichem Wissen, verselbständigt sich die KI Lucid: ein Gedanke, den Roman Eich durchdekliniert und dabei von Typen erzählt, mitunter Karikaturen ihrer selbst, und ihren menschlichen Regungen. So gerät „Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit“ gleichermaßen zur Wissenschafts- wie Gesellschaftssatire, wird nie moralisch, dafür komisch. Das Publikum in der Boxx ist begeistert.

Anomalien beobachten, das ist ein Job

Auf eine Erdkugel wird eine Art Live-Chat projiziert, der einstimmt auf die titelgebenden häufig gestellten Fragen. Dann beginnt die eigentliche Geschichte. Am Ufer des Zürich See wird ein wundervoller Abend behauptet und die Erkenntnis von Dr. Haase (Max Lamperti): „Wer hat das schon, einen Arbeitsplatz in einem Forschungsinstitut mit Blick auf den See.“ Jahre später beobachtet Astrophysiker Haase in einem Großspiegelteleskop am Monte Rosa Anomalien auf dem Merkur, Anomalien, das ist sein Job. Wären da noch Dr. Zajjac, Wissenschaftlerin am Feldberg und Vorsitzende des Astronomieverbandes Lörrach (Sonia Glade), und ein Professor (Chris Carsten Rohmann). Was trocken klingt, ist es mitnichten. Glade und Rohmann schlüpfen in verschiedene Rollen.

Geboren 1988 in Völklingen, studiert Roman Eich, Medienkunst in Saarbrücken und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Er schreibt Drama, Prosa und Drehbuch. Mit „Shannon und die Schmetterlinge“ ist er 2022 gemeinsam mit Co-Autor Valentin Wölflmaier Teilnehmer des Dramenlabors am Theater Münster. 2023 gewinnt er für „Häufig gestellte Fragen zum Fortbestand der Menschheit“ beim Dramenwettbewerb Science & Theatre des Theaters Heilbronn den zweiten Jurypreis sowie den Publikumspreis.

Szenen folgen wie in einer Nummernrevue, immer wieder wechseln die drei Schauspieler in die Figur des „ganz normalen Menschen“. Auf der spacigen Bühne (Ausstattung: Gesine Kuhn, Licht und Video: Johannes Buchholz) ist Showtime mit einem genderfluiden Moderator (Rohmann), ertönt die Erkennungsmelodie aus dem „Tatort“, nervt eine akribisch komplizierte Kommissärin mit den Ergebnissen ihrer Spurensuche nach Lucid. Und fallen metaphysische Weisheiten wie Wittgensteins „Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen“. Die fiktive Sitcom „Gerry passt auf“ wird vorgeblich mit Jasna Fritzi Bauer und Fabian Hinrichs nachgespielt. Wieso der Autor Bauer und Hinrichs erwähnt, die in der ersten Liga deutschsprachiger Bühnen- und Filmkünstler spielen? Ein verrätselter Spaß, wie vieles. Glade tritt als Barack Obama-Double auf, sinniert über deutschen Humor in geöltem Politiker-Sprech.

Unsere Unfähigkeit, Ungewissheit zu ertragen

Ein Buch von Thomas Bernhard, die Erzählung „Gehen“, steht im Zentrum einer köstlichen Persiflage: weniger auf den Germanistikbetrieb denn auf die Unfähigkeit, Ungewissheiten zu ertragen. Nebenbei wird diskutiert, ob die KI Lucid schützenswert ist, worauf die Menschheit noch hoffen darf. Und wie wir auf unser Aussterben regieren. Ein anspielungsreiches, rasantes Gedankenspiel.

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