Heinrich von Kleist (1777 in Frankfurt/Oder geboren, gestorben 1811 am Stolper Loch, heute Kleiner Wannsee) war als Dramatiker, Erzähler und Publizist ein Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit. Zu seinen bekannten Texten zählen „Das Käthchen von Heilbronn“, „Amphitryon“, „Penthesilea“, die Novellen „Michael Kohlhaas“ und „Die Marquise von O...“ sowie „Der zerbrochne Krug“. Die Idee zu dem Lustspiel liefert ihm 1802 bei einem Besuch in der Schweiz ein alter Kupferstich, der eine Gerichtsszene darstellt. Die von Goethe inszenierte Uraufführung 1808 in Weimar wird ausgepfiffen. 1811 erscheint die vollständige Druckfassung, zehn Jahre später wird das Stück zum vielgespielten Bühnenerfolg.
Wie es ist, über sich selbst Gericht zu halten
Was Heinrich von Kleists Figuren heute noch von Korruption erzählen: Axel Vornam inszeniert „Der zerbrochne Krug“ als Parabel über Machtmissbrauch und auch Me-Too im Großen Haus des Heilbronner Theaters.

Ein Lustspiel über Machtmissbrauch mit einer bitterbösen Volte, eine Gerichtsfarce mit volkstümlichem Humor. Und eine Geschichte, bei der sich die Me-Too-Debatte mitdenkt, wenngleich es den Begriff zu Heinrich von Kleists Zeiten nicht gibt. Wie geht das zusammen?
Kleists „Der zerbrochne Krug“ hat mit seiner Struktur die deutschsprachige Komödie erneuert. Mit dem Spiel um den Dorfrichter Adam, der über sich selbst richten soll, beginnt die Spielzeit im Großen Haus diesen Freitag. Sehr viel später als sonst, geschuldet der Sanierung der Bühnenmaschinerie, die nun unter Dach und Fach ist.
Intendant Axel Vornam führt Regie, Oliver Firit spielt den Adam. Wie sie Kleist in seiner Zeit und in der Gegenwart verorten und wie wohl man sich in der Titelrolle fühlen darf, erläutern die beiden entspannt bei einem Gespräch vor der Abendprobe. Auch wenn im Stück zwei Liebende wieder zueinander finden, „Der zerbrochne Krug“ ist kein romantisches Stück, vielmehr erinnert es mitunter an den Naturalismus des modernen Dramas.
Die Kunst des Manipulierens und Drohens
Dorfrichter Adam ist ein veritabler Komödiant, und er verkörpert eine korrupte Justiz, die Privates und Öffentliches nicht trennt. Eine triebgesteuerte, barocke Figur, die ihre Macht nicht nur als Richter missbraucht, sondern als Mann. Ein Unsymphat wie er im Buche steht? Das kann man so nicht sagen, verteidigt Oliver Firit seine Figur zumindest als ambivalent. Als Schauspieler reizt Firit die Fallhöhe einer Figur. Und dieser Adam beherrscht nun mal die gesamte Klaviatur an Mitteln zu manipulieren, zu überzeugen, zu drohen.
Warum Adam unter solch extremem, existenziellem Druck steht? Frau Marthe Rull klagt an. Ein Krug ist zerschlagen worden, er stand im Zimmer ihrer Tochter. Zu Eve hat sich nachts ein Mann geschlichen, als er aus dem Fenster flieht, zerbricht der Krug. Marthe Rull beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter, Ruprecht weist die Tat empört zurück und bezichtigt seine Verlobte, Eve selbst habe einen Fremden zu sich gelassen. Alle toben – Eve steht dazwischen, fleht den Verlobten an, ihr zu vertrauen, will ihn schützen und retten und deckt erst einmal den Täter. Schlichten und richten soll es Adam. Doch der Dorfrichter scheint wenig Interesse an der Aufklärung des Falls zu haben. Im Gegenteil flüchtet er sich darin, die Dinge zu verschleiern.
Kluge und starke Frauenfiguren
„Der Lustspielcharakter, die Komik stellen sich ein durch die Gerichtsverhandlung gegen sich selbst. Denn der Missetäter ist der Richter“, sagt Axel Vornam. Wir sehen zu, wie die Dorfgesellschaft Widerstand leistet, wie eine Instanz von außen kommt, der strenge Gerichtsrat Walter. In Walter offenbart sich der Preuße Kleist, meint Vornam. „Kleist sieht Adam kritisch und führt ihn exemplarisch vor.“ Sowie Kleist, der Dichter, im Umkehrschluss mit Eve „eine kluge Frauenfigur geschaffen hat, moralisch integer und selbstbewusst im Vergleich zu den Männern“. Marthe und Eve, zwei, die mitten im Leben stehen: Vornams Inszenierung will „diese beiden Frauen stark zeichnen“.
Den Blankvers in den Kopf bringen
Das Raffinierte hier an Kleists Sprache ist, dass der kunstvolle Blankvers mit derber Doppeldeutigkeit konterkariert wird. „Den Text mit diesen Blankversen“ – also reimlosen Versen ohne feste Struktur und Pausen – „in den Kopf zu bekommen, ist eine Herausforderung“, hat Oliver Firit erfahren. Hat man die Sprache einmal intus, erklären sich Kleists Wort- und Satzstellungen und deren Bedeutung für die Handlung.
Es sind die Abgründe, die die Figur des Adam für die Bühne interessant machen. Im privaten Alltag? Da bevorzugt Oliver Firit das entspannte Familienleben. „Militärisch gesprochen“, fügt Axel Vornam hinzu, „würde man sagen, der Richter führt einen Vielfrontenkrieg.“ 1811 als Druckfassung erschienen, ist das Sammelsurium an menschlichen Typen, das Kleist beschreibt, mit heute durchaus vergleichbar. Hierarchien und Abhängigkeiten treiben so oder ähnlich ihre Blüten.
„Der zerbrochne Krug“
Premiere: Freitag, 19.30 Uhr
Regie: Axel Vornam, Bühne: Tom Musch
Mit Stefan Eichberg, Oliver Firit, Gabriel Kemmether, Sabine Unger, Cosima Fischlein, Alexander Redwitz, Felix Lydike, Lisanne Hirzel, Statisterie.

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