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Begeisterung bei Premiere
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Aus der Traum: „West Side Story“ bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall

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Die Freiheitsstatue liegt in Trümmern auf der Großen Treppe in Schwäbisch Hall. Die traditionelle Inszenierung des Musical-Klassikers „West Side Story“ von Intendant Christian Doll bietet beste Unterhaltung bei den Freilichtspielen.

Geraten zwischen die Fronten eines Bandenkriegs: Maria (Katia Bischoff) und Tony (Julian Culemann).
Geraten zwischen die Fronten eines Bandenkriegs: Maria (Katia Bischoff) und Tony (Julian Culemann).  Foto: Freilichtspiele Schwäbisch Hall /Ufuk Arslan

Eine tragische Liebesgeschichte, eine perfekte Einheit aus Schauspiel, Tanz sowie Musik und eine innovative Hollywood-Verfilmung, die zehn Oscars einheimste: Mit „West Side Story“ haben Leonard Bernstein, Stephen Sondheim, Arthur Laurents und Jerome Robbins einen Musical-Klassiker geschaffen, der bis heute auf den Bühnen der Welt gespielt wird.

1957 in New York uraufgeführt, verlegten die Macher des Erfolgsstücks den „Romeo und Julia“-Stoff in die Straßen Manhattans, in denen sich Einheimische und Einwanderer erbittert bekriegen. Bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall eröffnete „West Side Story“ nun die Saison auf der Großen Treppe – nachdem eine Woche zuvor schon Shakespeares Original Premiere hatte im Neuen Globe.

Dorthin luden – ehe es losging – am Samstag zu einem Empfang anlässlich des 100. Geburtstages der Freilichtspiele auch die Gesellschaft der Freundinnen und Freunde mit Festreden von deren Präsident Thomas Lützelberger, von Schirmherr und Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem Haller Oberbürgermeister Daniel Bullinger und Intendant Christian Doll.

"West Side Story" bei Freilichtspielen in Schwäbisch Hall: Bühnenbild als Kommentar zur aktuellen Lage der USA?

Doll zeichnet auch verantwortlich für die Regie von „West Side Story“. Und gespannt durfte man sein, wie der Theatermacher die Story, die Migration, Rassismus und Gewalt thematisiert, auf die Bühne bringen wird. Immerhin in einer Zeit, in der US-Präsident Donald Trump hart gegen Migranten vorgeht und mithilfe der Einwanderungsbehörde ICE „die größte Massenabschiebung in der Geschichte“ durchsetzen will.

„Life is alright in America / If you’re all-white in America“ – frei übersetzt also: „Mit weißer Hautfarbe lässt sich’s gut leben in Amerika“ – ätzte „West Side Story“ schon vor gut 60 Jahren. Doll setzt auf eine traditionelle Inszenierung und verzichtet auf eine Aktualisierung des Stückes, das von sich aus sozialkritische Töne anschlägt und für Toleranz wirbt. Dafür lässt der Regisseur das imposante Bühnenbild von Fabian Lüdicke sprechen: Auf der Treppe vor St. Michael liegt die zertrümmerte Freiheitsstatue, der amerikanische Traum ist ausgeträumt.

Knapp 30 professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler sowie ein 20-köpfiges Orchester braucht es für diese Haller Produktion, die ein stimmiges Gesamtpaket ist und vom begeisterten Premierenpublikum kräftig beklatscht wurde. Songs wie „Maria“, „Somewhere“ und „Tonight“ haben längst ein Eigenleben entwickelt, unzählige Interpreten haben sie sich zu eigen gemacht, wobei sie in der Haller „West Side Story“ auf Deutsch gesungen werden.

Zum Komponisten

Leonard Bernstein, geboren 1918 in Lawrence/Massachusetts, gestorben 1990 in New York, war Dirigent, Pianist, Komponist und leidenschaftlicher Vermittler zwischen E- und U-, also ernster und unterhaltsamer Musik. Nach seinem Studium in Harvard und Philadelphia erlebte er 1943 seinen Durchbruch als Dirigent, als er in einem Konzert der New Yorker Philharmoniker für Bruno Walter einsprang. Einen Namen machte er sich unter anderem durch seine Mahler-Interpretationen. Als Komponist verfasste er Werke für die Bühne wie „West Side Story“ und für Orchester, darunter seine zweite Sinfonie „The Age of Anxiety“.

Musik, Schauspiel, Tanz: Die Inszenierung ist ein stimmiges Gesamtpaket

Mit Bravour meistern die Musiker unter der Leitung von Heiko Lippmann Bernsteins eindringliche Musik, die coole Jazzpassagen, gefühlvolle Nummern und lateinamerikanische Rhythmen mischt. Keine leichte Aufgabe ist es, Choreografien zu erarbeiten, die auf der Großen Treppe funktionieren. Kati Farkas hat hier einen prima Job gemacht. Scheinbar spielerisch leicht bewegen sich die Darstellerinnen und Darsteller über die 53 Stufen, schlagen Rad, springen, tanzen, kämpfen.

Sowohl gesanglich als auch schauspielerisch überzeugt das Ensemble – allen voran Julian Culemann und Katia Bischoff als junges Liebespaar Tony und Maria, das zwischen die Fronten gerät im Bandenkrieg der US-amerikanischen Jets und puerto-ricanischen Sharks. Mit schlanken, hellen Stimmen gestalten die beiden ihre Partien, wenngleich Culemann im Verlauf des Premierenabends mehr Souveränität gewinnt. Klasse auch Amani Robinson als selbstbewusste Latina Anita, deren Glaube an ein besseres Leben in den USA bitter enttäuscht wird. Fazit: rund zweieinhalb Stunden beste Unterhaltung.

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