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Literaturhaus Heilbronn
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Wenn Dinge nicht an ihrem Platz sind, fühlen sie sich nicht wohl

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Reisen, Schreiben, Tresenweisheiten und der charmante Konjunktiv der Österreicher: Der Schriftsteller Matthias Politycki hat seiner Hamburger Stammkneipe einen Gedichtband gewidmet und stellt „Meisenfrei“ erstmals im Literaturhaus Heilbronn vor.

Nächste Woche kommt „Meisenfrei“ heraus. Schon jetzt stellt Matthias Politycki Gedichte aus dem Band in Heilbronn vor.
Nächste Woche kommt „Meisenfrei“ heraus. Schon jetzt stellt Matthias Politycki Gedichte aus dem Band in Heilbronn vor.  Foto: Lina Bihr

„Klare Kante“, geht gar nicht in Österreich. Mit so knappen Ansagen, wie sie in Hamburg die Konversation regeln, wäre der auf Ausgleich bedachte Vielvölkerstaat vor 500  Jahren untergegangen. Österreich zelebriert sein Sprechen in Konjunktiven und Nebensätzen. Wie es auch in Süddeutschland gang und gäbe und dem in München aufgewachsenen Autor Matthias Politycki vertraut ist. 30 Jahre lebt Politycki in Hamburg, als er 2021 beschließt, nach Wien zu ziehen. Wegen der „Verengung der deutschen Debattenkultur“, wie er sagt.

Ein gewichtiges Wort: Weltpremiere

Seither kann er wieder frei atmen. Was nicht heißt, dass er nicht mehr nach Deutschland kommt, in seiner Funktion als Präsident der Autorenvereinigung Pen Deutschland oder um seinen jüngsten  Gedichtband vorzustellen. „Meisenfrei“, so der Titel, erscheint offiziell kommende Woche bei Hoffmann und Campe. Wohl liegen im Literaturhaus Heilbronn einige Exemplare aus zur, wenn man das gewichtige Wort denn bemühen möchte, Weltpremiere. Tatsächlich liest Matthias Politycki hier erstmals öffentlich aus seinem Band, noch bevor er in der titelgebenden Kneipe in Hamburg antritt, in der Freien Akademie der Künste und anderswo.

Erster Schub an Überwältigung

„Meisenfrei“ heißen auch andere Kneipen in der Republik, das „Meisenfrei“ im Eppendorfer Weg 75 aber muss besonders sein, eine Art Wohnzimmer für Matthias Politycki. Seit er im März 1994 zum ersten Mal dort saß, war klar: Wenn es mit der Wohnung um die Ecke klappt, würde dies hier seine Stammpinte sein. In diesem „letzten authentischen Kneipenort in einer gentrifizierten Stadt“ schnappt der Schriftsteller immer wieder etwas auf, das er in seinen Texten gut gebrauchen kann. Die wenigsten Gedichte von „Meisenfrei“ sind auch im „Meisenfrei“ entstanden, genügen aber dem Anspruch, Gedichte zu sein, „die in jede Kneipe passen“. Das klingt insofern tiefgestapelt, als dass Polityckis poetologisches Programm ambitioniert ist, der Schriftsteller weder Auftragstexte schreibt noch einfach heraushaut. Sicher ist die Kneipe ein Ort wie das Kaffeehaus für den Wiener, an dem Politycki das bekommt, was er den „ersten Schub an Überwältigung“ nennt, ohne den Schreiben nicht geht.

Der Weltreisende unter den deutschen Autoren

So gewährt der Abend im Gespräch mit dem Tübinger Verleger Hubert Klöpfer – wohlgemerkt nicht der Verleger von Polityckis Büchern – einen Blick in die Werkstatt des Autors, der neben Gedichtbänden Romane, Erzählungen und Essays schreibt und als Weltreisender unter den deutschen Autoren gilt. Dass er ins Englische, Französische, Italienische und gar ins Chinesische und Japanische übersetzt ist, scheint naheliegend. Hat aber auch damit zu tun, wie Politycki von einer Lesung in China erzählt, bei der er seine Gedichte auf Deutsch vortrug, dass Lyrik dort einen anderen Stellenwert genießt. Während Gedichte bei uns ein Schattendasein fristen – was Politycki mit Fassung trägt und daran erinnert, auch Kafka hatte zu Lebzeiten keinen Erfolg. Und nicht Goethe, sondern dessen Schwager räumte mit seinen Bestsellern ab.

1955 in Karlsruhe geboren, aufgewachsen in München, studiert Matthias Politycki Literatur, Philosophie, Theater- und Kommunikationswissenschaft und wird mit einer Arbeit über Deutsche Literatur im Urteil Nietzsches promoviert. Lehrtätigkeit an der Universität, Verlagslektor, seit 1990 freier Schriftsteller. Im Juni wurde er zum Präsidenten vom Pen Deutschland gewählt. Politycki lebt überwiegend in Wien. 

Für Politycki sind seine Gedichte nie vollendet, selbst gedruckt, korrigiert er sie. „Der Sound macht es“, dann ist es fertig, wenn überhaupt. Das gilt auch für seine Prosa. Es ist ja nicht so, dass Matthias Politycki kein erfolgreicher Autor wäre. In der Haltung einer coolen Socke bekundet er, es sei ihm „wurscht“, wer tags darauf den Nobelpreis für Literatur erhält, als er nach seinen Favoriten gefragt wird. Bekannt wurde Politycki durch „Weiberroman“ und die Kreuzfahrtsatire „In 180 Tagen um die Welt“, zuletzt erschienen „Das kann uns keiner nehmen“ und „Mann gegen Mann. Von alten und neuen Tugenden“.

Rückkehr der archaischen Männlichkeit

„Das mit den Frauen ist jetzt nicht mein Hauptthema“, nimmt Politycki Moderator Klöpfer den Wind aus den Segeln, wohl gebe es in „Meisenfrei“ Liebesgedichte, wie das Sonett „17 Tage“ oder „Ich muss dir was sagen“. Zum Essay „Mann gegen Mann“ hat Politycki natürlich auch was zu sagen, zur Rückkehr der archaischen Männlichkeit, die „nie weg war“. Auf seinen Reisen durch Kuba, Asien und immer wieder Afrika sind es die vermeintlich einfachen Menschen, die ihm Erzählstoff liefern, aber auch erwarten, dass er „die Wahrheit“ schreibt. Was immer das sein mag. Vielleicht so konzise Gedichte wie „Die Leere danach“, „Dinge, die nicht an ihrem Platz sind“ oder „Nur das Dunkle, das bleibt“.

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