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Schauspiel Stuttgart
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Was uns Thomas Manns Figuren heute sagen

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Eine Neufassung der „Buddenbrooks“ in der Regie von Amélie Niermeyer im Schauspielhaus Stuttgart und was den gut dreistündigen Abend so interessant macht.

Das Glück kommt zu spät
– oder gar nicht:
Hanno Buddenbrook (Felix Jordan), Tony Buddenbrook (Celina Rongen).
Das Glück kommt zu spät – oder gar nicht: Hanno Buddenbrook (Felix Jordan), Tony Buddenbrook (Celina Rongen).  Foto: Thomas Aurin

„Umstände können sich ändern. Eine Firma, die fest steht, kann ins Wanken geraten.“ Dass Schulden den Verfall einleiten und was Konsul Johann Buddenbrook sonst so prophezeit in Thomas Manns Debütroman aus dem Jahr 1901, droht auch Firmen heute. Und weniger Wohlhabenden als den Buddenbrooks.

Wohl sind die Koordinaten in unseren postkapitalistischen Zeiten andere und klingen „die Verpflichtungen gegen die neue Zeit“, die der Konsul anmahnt, wie aus einem überholten Wertekanon. Und doch gehen uns die Figuren, die Mann zeichnet, trotz ihrer historischen Distanz nahe in der Bühnenadaption des gut 800-Seiten-Stoffes beim Stuttgarter Schauspiel. Den Roman, für den Thomas Mann mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde, hat Autor und Dramaturg John von Düffel vor 20 Jahren schon in eine schauspieltaugliche Fassung gebracht und eben jene nun für Stuttgart neu überarbeitet.

Zwei Vernunftsehen, die beide bald scheitern

In der Regie von Amélie Niermeyer entwickelt sich daraus ein so anregender wie kurzweiliger Abend, der den „Verfall einer Familie“, so der Untertitel der Romanvorlage, verhandelt, eine Zeitenwende, wie sie jede Generation erlebt. Die Wurzel allen Unheils? Die Erwartungen von außen, die verinnerlicht werden. Niermeyers Inszenierung wie von Düffels Fassung legen den Blick auf die drei so unterschiedlichen Geschwister Antonia, Thomas und Christian, auf deren innere Konflikte und ihr Binnenverhältnis. Tony, die Tochter, geht auf Druck der Eltern zwei Vernunftehen ein, die bald geschieden werden. Celina Rongen mit rebellischem Ton macht die nervöse Zerrissenheit dieser jungen Frau aus gutem Hause wunderbar greifbar. Während die Söhne versuchen, auf ihre Weise aus dem Schatten des Vaters zu treten. Thomas übernimmt die Firmengeschäfte, anfangs erfolgreich mit neuen Ideen.

Hier wird teils ganz aus Toms Haltung erzählt, was Rainer Galke so differenziert gelingt, dass man fast Mitleid empfindet für seine Figur. Tim Bülow ist Christian, irrlichternder Lebemann und Hypochonder, der mehr Schaden anrichtet als er die Partnerunternehmen der Buddenbrooks saniert. Und sein Glück sucht zwischen London und Valparaíso.

Formidables Ensemble vor beeindruckender Bühnenarchitektur

Anke Schubert in der Rolle des Familienoberhaupts bricht gängige Vorstellungen eines Patriarchen, Christiane Roßbach als Bethsy Buddenbrook hadert zwischen Standesdünkel und Mutterliebe. Man muss einfach den oft zitierten Tolstoi-Satz bemühen, „Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich“, trifft er doch, was das formidable Ensemble in gut drei Stunden mit Pause aus den „Buddenbrooks“ destilliert – mit Ernst, Humor und Sinn für Timing wie für pointierte Leerstellen. Dazu hat Christian Schmidt eine beeindruckende Bühnenarchitektur geschaffen, der mehrfach ausgezeichnete Künstler schickt die Schauspieler durch minimalistisch elegante, karg möblierte Räume zwischen meterhohen, rohen Betonwänden. Perspektivwechsel auf der Drehbühne und somit auf die Handlung ergeben kreisrunde Aushöhlungen in den Wänden. Ein Labyrinth, in dem sich die Schicksale der Familienmitglieder kreuzen. 

Eine Theaterfassung muss streichen und auslassen

Dass die Theaterfassung oder Filmadaption eines Romans auslässt, streicht, Schwerpunkte setzt, liegt in der Natur der Sache und macht sie interessant. Auch wenn das ewig gestrigen Puristen nicht nur gefällt. Mit einem Tag aus Hannos Leben als Rahmenhandlung beginnt der Abend, dem Sohn von Thomas Buddenbrook, der am Ende stirbt. Hanno (Felix Jordan) kommentiert als teilnehmender Beobachter, sitzt am Klavier am linken Bühnenrand und wird rückblickend die Chronik seiner Familie erzählen. Keine Frage, dieser sensible, musische, kränkelnde Junge wird den Untergang nicht stoppen. Auch nicht das Kapital, das Tonys Ehemänner mitbringen und sich als toxisch erweist.

Amélie Niermeyer, 1965 in Bonn geboren, geht nach dem Abitur zum Regiestudium nach Sydney und studiert dann Germanistik und Theaterwissenschaften in Bonn und München. Die Theater- und Opernregisseurin ist Regieprofessorin am Mozarteum Salzburg und arbeitet an den großen deutschsprachigen Häusern. Niermeyer war Generalintendantin am Theater Freiburg und bis 2011 am Schauspiel Düsseldorf. 

Als Karikatur eines schleimigen Bankrotteurs ist die Rolle von Sven Prietz als Bendix Grünlich angelegt. Sebastian Röhrle ist Ehemann Nummer zwei, Alois Permaneder aus München, mit dem hemdsärmeligen Charme des Kabarettisten Maxi Schafroth. „Wenig Nonchalance, das ist süddeutsch“, düpiert sich Antonia. Wer die Contenance wahrt, ist allerdings vor Verödung und Vereinsamung nicht gefeit. Und noch eine unterschwellige Botschaft: Sind nicht die Neureichen mit ihrem „billigen Geschmack“ von damals Vorläufer der Techmilliardäre von heute?

Weitere Vorstellungen: www.schauspiel-stuttgart.de

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