Anton Schreiber, 1991 in Hamburg geboren, aufgewachsen in Düsseldorf und Berlin, studiert Theater- und Literaturwissenschaft sowie Romanistik. Nach Regieassistenzen am Hans Otto Theater Potsdam und Theater Münster ist er Regieassistent am Düsseldorfer Schauspielhaus, wo er mit Bernadette Sonnenbichler, Andreas Kriegenburg, Roger Vontobel, David Bösch oder Robert Wilson zusammenarbeitet. Eigene Inszenierungen wie „Reigen“, „Novecento“ folgen, in der Spielzeit 2024/25 inszeniert Anton Schreiber „Ellen Babic“ von Marius von Mayenburg. Der freie Regisseur lebt in Düsseldorf.
Was taugt denn heute noch zum Skandal?
Sex sells oder warum das älteste Spiel der Welt nun auf dem Theaterschiff Heilbronn verhandelt wird: „Reigen – Neue Folgen“ heißt das Stück von Anton Schreiber nach Arthur Schnitzlers Drama - eine Uraufführung.

Wenn man so will, ist es das älteste Spiel der Welt, das Arthur Schnitzler in seinem Stück „Reigen“ verhandelt. Um 1900 entstanden, uraufgeführt 1912 in Budapest, löst 1920 die erste Vorstellung des Dramas, der der Autor zugestimmt hatte, in Berlin am Kleinen Schauspielhaus einen der Theaterskandale des 20. Jahrhunderts aus. Kurz darauf kommt es auch in Wien zum Eklat. Nach dem „Reigen“-Prozess in Berlin lässt Schnitzler ein Aufführungsverbot verhängen – das bis 1982 in Kraft ist. Immer wieder aber umgangen wird.
Was ist so skandalös an dem Stück, das in zehn Dialogen vom Beischlaf, sprich Sex, erzählt, von Macht, Verführung, Sehnsucht, Verlangen und Enttäuschung? Schnitzler hat das Sittenbild der Gesellschaft des Fin de Siècle gezeichnet: indem er die sozialen Schichten vom Proletariat bis zur Aristokratie zu Wort kommen lässt in wechselnden Konstellationen. Jeweils vor und nach dem Geschlechtsverkehr, der im Stück nicht gezeigt wird.
Die einen Tabus sind überholt, andere sind dazugekommen
Nun hat der freie Regisseur Anton Schreiber für das Theaterschiff Heilbronn Arthur Schnitzlers „Reigen“ überschrieben, eine Episoden-Komödie für zwei Schauspieler, diesen Freitag wird „Reigen – Neue Folgen“ uraufgeführt. Schon einmal hat Schreiber das Stück bearbeitet, am Schauspielhaus Düsseldorf. Doch jetzt ist daraus etwas radikal Neues entstanden. Keine Frage und zum Glück hat sich die Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren weiterentwickelt, haben sich Rollenbilder gewandelt, sind Kirche und das soziale Umfeld nicht mehr Hüter der Moral.
Und doch gibt es Strukturen, in anderer Gestalt versteht sich, die das alte Dilemma zu zementieren scheinen. Auch wenn die einen Tabus überholt sind, sind andere dazugekommen. Aber was taugt heute zum Skandal? Fragen, die Anton Schreiber sich bei seiner Schnitzler-Lektüre gestellt hat und die er ins Hier und Heute holt. Warum er seinen „Reigen – Neue Folgen“ nun als ein Lustspiel begreift?
„Ich sehe das Stück als Komödie“
„Schon bei Schnitzler war das ein schöner Querschnitt durch die Gesellschaft, da werden soziale Gegensätze verhandelt, ihre Absurdität hervorgehoben. Ich sehe das Stück als Komödie.“ Manche Szenen hat Schreiber komplett umgestülpt, das Thema Sex wie Schnitzler es verdichtet, hat seine Skandaltauglichkeit eingebüßt. Aber wie Machtspiele eingesetzt werden, um nicht nur zu Sex zu kommen, sondern an Geld, Einfluss und mehr, „das lässt sich auf heute sehr gut übertragen“.
Männer und Frauen agieren ähnlich wie früher
„Wir zeigen zehn Episoden, wie Macht auf mehr oder minder subtile Art und Weise eingesetzt wird.“ Musste man sich einst analog kennenlernen, bieten Dating Apps, Facebook, Tinder und Co. inzwischen ganz (un)mittelbare Möglichkeiten. Und doch agieren Männer wie Frauen auf dem neuen Spielfeld ähnlich wie früher. Inzwischen mögen sich, sagt Anton Schreiber, Männer ein feministisches Mäntelchen umgehängt haben. Wahrnehmungs- und Verhaltensstrukturen aber erweisen sich als hartnäckig.
„Es gibt sehr viele Twists in unserer Fassung, ständig kehrt sich etwas um.“ Der Abend spielt im Hobbykeller eines Schauspieler-Ehepaars. Ausstatterin Juliane Molitor hat die Theaterschiff-Bühne in eine pinkfarbene Bude verwandelt, als wäre es Barbies Reich oder eine queere Spielwiese. Mit Federboa, Plastikschaukel und rosafarbenen Objekten, die von der Decke baumeln. Die Assoziation zu Sex-Toys ist nicht abwegig: Dies also ist der Raum für die neuen Folgen des Reigens. Sarah Steinbach und Thomas Kitsche – beide gehören zum Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses – spielen das Paar, das sämtliche zehn Varianten einer wie auch immer gearteten Zweier-Beziehung durchdekliniert. Dazu schlüpfen Steinbach und Kitsche in fünf weibliche und fünf männliche Stereotype unserer Gegenwart, die in wechselnden Konstellationen aufeinander treffen.
Wer bei den Proben zusieht, wie Regisseur, Schauspieler und Ausstatterin zusammenarbeiten und das Verhältnis der Geschlechter diskutieren, darf gespannt sein. Sechs Mal steht diese Theaterschiff-Eigenproduktion auf dem Spielplan, eine Wiederaufnahme ist möglich.
„Reigen – Neue Folgen“
Premiere: Freitag, 20 Uhr, Theaterschiff
Regie: Anton Schreiber
Mit Sarah Steinbach, Thomas Kitsche
Ausstattung: Juliane Molitor
Musik: Marco Girardin
Weitere Aufführungen: 18. Oktober, 28./29. November, 6./7. März, 20 Uhr.