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Theo Koll bei Vortrag in Künzelsau: „Trauen Sie ihren Augen nicht mehr uneingeschränkt“

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Trump, Fake News, KI, Soziale Medien: Was wir Wirklichkeit nennen, wird gleich von mehreren Seiten aufgeweicht. „Stirbt die Wahrheit?“, will Journalist Theo Koll wissen - und liefert eine alarmierende Bestandsaufnahme unserer Gegenwart.

„Wahrheit ist nicht einfach da, sie muss gesucht werden, sie muss herausgearbeitet werden“: Theo Koll bei seinem ausgebuchten Vortrag am Dienstagabend.
„Wahrheit ist nicht einfach da, sie muss gesucht werden, sie muss herausgearbeitet werden“: Theo Koll bei seinem ausgebuchten Vortrag am Dienstagabend.  Foto: Würth/Ufuk Arslan

Stirbt die Wahrheit? Wie sich das für einen Journalisten gehört, mag die Frage zugespitzt klingen, räumt Theo Koll ein. Und doch sieht der frühere Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios mit Blick auf Politik und Medien eine Zeitenwende im Gange, was den Umgang mit der Wahrheit betrifft. Denn gleich von mehreren Seiten steht sie unter Beschuss. „Sehen Sie mir nach, wenn ich alarmistisch klinge, aber wenn wir als Gesellschaft diese Entwicklung achselzuckend hinnehmen, enden wir in einem Morast von Manipulation.“

Trump, Fake News, KI, Soziale Medien: Eine gute Stunde teilt der 67-Jährige dazu seine Beobachtungen und Einschätzungen am Dienstag im vollbesetzten Saal des Carmen-Würth-Forums in Gaisbach. Und schickt einen Hinweis in eigener Sache vorneweg: Sein Blick auf die Entwicklungen sei einseitig, er selbst ein Anhänger der alten journalistischen Schule. „Aber das war auch leicht für mich, weil ich das Privileg hatte einer durch Gebühren finanzierten Unabhängigkeit“, erklärt der „Moma“-Politik-Experte.

Theo Koll: Trump bellt nicht mehr, er beißt jetzt zu

Was Ärzte eine krankhafte narzisstische Persönlichkeitsstörung nennen, ist für Theo Koll hochpolitisch, handelt es sich bei Trump qua Amt schließlich um den Anführer der demokratischen Wertegemeinschaft. In seinem faktenbasierten, Beispiel-gesättigten und aktuellen Vortrag rät der mehrfach ausgezeichnete Journalist davon ab, den US-Präsidenten als irrlichternden Chaoten zu unterschätzen: „In seiner ersten Regierungszeit war es noch bei lautem politischem Bellen geblieben, dieses Mal beißt er zu.“

Koll fächert den Katalog der wahrheitszersetzenden Strategien des US-Präsidenten auf. Wobei: „Offensichtliche Lügen sind bei Trump nur der unproblematische Teil.“ Gefährlicher seien seine beschuldigenden Behauptungen. Auch nutze Trump die Macht des Stärkeren, um seine Kritiker mundtot zu machen: Medienhäuser werden auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt, Journalisten von Pressekonferenzen ausgeschlossen, Wissenschaftler diskreditiert.

Können wir zwischen Richtig und Falsch nicht mehr unterscheiden, sehen die Folgen düster aus

Wo aber Wissenschaft – die Theo Koll mit dem Philosophen Karl Popper als immer nur vorübergehende Erkenntnis durch stete Ausmerzung von Fehlern definiert – in Frage gestellt werde, gehe die gemeinsame Wirklichkeit verloren. Wie uns überhaupt die Fähigkeit abhanden zu kommen drohe, Richtig und Falsch zu unterscheiden in der gezielten Reizüberflutung, im täglichen Tsunami an Informationen. Die Folgen klingen düster: „Das Leben in der Lüge wird nicht mehr als solches erkannt, jeder wähnt sich in seiner Wahrheit, Kompromissbereitschaft geht verloren, in letzter Konsequenz wird unser konsensuales demokratisches Miteinander untergraben.“

Nun wurde schon immer gelogen – und lügt ein Mensch heute durchschnittlich ein bis zwei Mal am Tag, sagen Wissenschaftler. Wobei es sich meist um harmlose Flunkereien handelt aus Höflichkeit oder, um Konflikte zu vermeiden. „Jetzt aber stehen wir am Beginn einer Ära, in der das Manipulieren der Wahrheit so leicht wird wie nie zuvor“, kommt der Moderator der Talkshow „phoenix persönlich“ auf KI-perfektionierte Desinformationen und Algorithmus-getriebene Meinungen zu sprechen.

Dass digitale Medien einen überwiegend negativen Einfluss auf demokratische Prozesse haben, belegen Studien. Und dass US-Präsident Clinton sowie der Kongress seinerzeit Social-Media-Plattformen als neutrale Wirtschaftsunternehmen und nicht als Medienbetreiber mit redaktioneller Verantwortung bewertet hätten, ist für Koll die „fundamentalste Fehlentscheidung der jüngeren Mediengeschichte“. Gerierten sie sich damit als quasi neutrale Transporteure von Inhalten.

Wie dem Wahrheitsverlust entgegenwirken? Einige knappe Lösungsvorschläge

Die teils fremdbestimmte Auswahl dessen, was man auf diesen Plattformen von der Welt zu sehen oder zu lesen bekomme, sei allerdings ein Problem. „Das andere Problem ist, ob das mir Präsentierte eigentlich ein wirklicher Teil der Welt ist, oder ob es Fake News sind.“ Eindringlich warnt Koll vor den Gefahren durch sogenannte Deep Fakes, also realistisch wirkenden Videos, aber auch Bilder und Audiodateien, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt werden können. „Bitte trauen Sie ihren Augen nicht mehr uneingeschränkt.“

Wie dem Wahrheitsverlust entgegenwirken? Kurz – Kritiker mögen sagen: zu kurz – skizziert Theo Koll gegen Ende seines Vortrags Lösungsvorschläge. Dazu gehören beispielsweise regulatorische Konsequenzen für Social-Media-Plattformen und ein Mindestalter für deren Nutzung. Auch plädiert der renommierte Journalist für eine von und in Europa aufgestellte unabhängige Social-Media-Plattform sowie Medienkompetenz als Schulfach. Und er fordert, „die Öffentlich-Rechtlichen so lange und so stark zu erhalten wie möglich“.

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