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Soloabend mit Schauspieler Jonas Stenzel
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So war die Uraufführung von „Vielleicht fünf Jahre“ auf dem Theaterschiff Heilbronn

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Da tanzt sogar der Fötus im Fruchtwasser: "Vielleicht fünf Jahre" von Autorin Paulina Czienskowski und in der Regie von Lena Brasch erzählt von einem Zustand, den jeder von uns kennt: dem Warten. Ein gelungener Auftakt in die neue Theaterschiff-Spielzeit.

Solo für Schauspieler Jonas Stenzel: Der Monolog „Vielleicht fünf Jahre“ von Autorin Paulina Czienskowski fragt, worauf wir alle eigentlich warten.
Foto: Igor Turin
Solo für Schauspieler Jonas Stenzel: Der Monolog „Vielleicht fünf Jahre“ von Autorin Paulina Czienskowski fragt, worauf wir alle eigentlich warten. Foto: Igor Turin  Foto: Igor Turin

Dass Zeit von jedem unterschiedlich wahrgenommen wird, lässt sich womöglich nirgends so unmittelbar nachvollziehen, wie wenn man warten muss. Unerträglich scheint sie sich zu dehnen: beim Arzt, in der Schlange an der Supermarktkasse oder vorm Computer, während das nächste Update läuft. Doch wer gibt sich dieser Alltagserfahrung überhaupt noch bewusst hin, wenn er ein Smartphone hat, das Ablenkung verspricht?

374 Tage seines Lebens verbringt der Mensch durchschnittlich mit Warten, dieser statistische Wert geistert schon länger durch die Medien. Es könnten inzwischen auch schon „Vielleicht fünf Jahre“ sein, wie der Titel der Uraufführung behauptet, mit der das vollbesetzte Theaterschiff Heilbronn am Freitag in seine neue Spielzeit gestartet ist. Ein nachdenklich stimmender Abend unter der Regie von Lena Brasch über einen Zustand also, den jeder von uns kennt, – und gleichzeitig über mehr als das.

Die bekannte letzte Minute eines Waschgangs

Mit dem Ein-Personen-Stück debütiert die Autorin und Journalistin Paulina Czienskowski aus Berlin als Dramatikerin. Ihr ist ein geschmeidiger Text gelungen, der philosophisch, poetisch und witzig ist. Der selbstreflexiv vom Erzählen an sich erzählt und treffende Beobachtungen parat hält. Jeder Waschmaschinenbesitzer kennt wohl jene letzte Minute eines Waschgangs, die – ganz bestimmt, würde man sich einmal die Mühe machen, nachzumessen – die 60-Sekunden-Marke überschreitet.

Ist das Leben nicht ein einziges Ausharren bis zum Tod? Was geschieht mit uns, wenn wir uns gedulden müssen? Was hat Warten mit Macht zu tun? Der Monolog klopft das Phänomen auf verschiedene Aspekte ab und nimmt diese zum Anlass, um abzuschweifen. Wobei man sich als Zuschauer dabei gerne mitnehmen lässt, wenn es etwa um Identität geht oder Mutterschaft. Man spürt, dass Czienskowski, die selbst Mutter eines kleinen Kindes ist und die Proben begleitet hat, hier Persönliches verarbeitet hat.

Über die Autorin

Paulina Czienskowski, in Berlin 1988 geboren und aufgewachsen, ist die Tochter des Schauspielers Richy Müller und des ehemaligen Fotomodels Iris Czienskowski. Sie hat Germanistik und Kunstgeschichte in Greifswald studiert und ließ sich an der Axel-Springer-Akademie als Journalistin ausbilden. 2018 veröffentlichte Czienskowski im Korbinian Verlag ihr literarisches Debüt mit dem Erzählband „Gegen die emotionale Verkümmerung“, 2020 folgte bei Blumenbar der Roman „Taubenleben“. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Roman, der 2025 im Aufbau Verlag erscheinen soll. Als freie Autorin und Journalistin lebt Paulina Czienskowski in Berlin.

„Vielleicht fünf Jahre“ ist ein Solo für Jonas Stenzel, der über eine sympathische Bühnenpräsenz verfügt, immer wieder das Publikum anspricht und in verschiedene Rollen schlüpft. Der Schauspieler ist der Fötus, der nicht zur Welt kommen will, ist die Mutter, die ihre Erfahrungen bei der Geburt und mit dem Säugling beschreibt, ist der Patient auf der Couch einer Therapeutin und der junge Erwachsene, der über das Verhältnis zu seinem abwesenden Vater nachdenkt. Souverän wechselt Stenzel die Tonalitäten und meistert die Textmasse, die er sich mundgerecht gemacht hat. Was auch bedeutet, dass der gebürtige Bayer, der an der Grenze zu Baden-Württemberg aufgewachsen ist, schwäbeln darf, wohldosiert zum Glück.

Ein bisschen Bühnenzauber gehört dazu

Das alles findet statt auf einer Bühne (Joel Winter und Karl Dietrich), die eingefasst wird von Kreisen: in Form von Vorhängen, die Stenzel auf- und zuzieht, wenn seine Figur Verstecken spielt mit dem Vater, und eines großen Rings, der aufleuchtet, als vom Tag-und-Nacht-Zyklus die Rede ist. Für ein bisschen Bühnenzauber sorgen Licht und Nebel, stellenweise ist Stenzels Stimme vom Band zu hören.

Gesungen und getanzt wurde schon in „It’s Britney, Bitch!“, Lena Braschs Debütinszenierung 2022 am Berliner Ensemble, so auch in „Vielleicht fünf Jahre“. Mehrmals bricht die Regisseurin den verbalisierten Gedankenstrom auf, lässt Wut, Liebe, Trauer atmosphärisch verdichten in Musik. Untermalt von elektronischen Live-Sounds der Berliner Singer-Songwriterin und DJane Nalan, die auch zum Mikrofon greift, tanzt Stenzel als Embryo im Mutterleib oder geht in Zeitlupe als Patient in einer Therapiesitzung auf Rachefeldzug.

Dass die Produktion mit gut 75 Minuten kurzweilig gerät? Darf man bei einem solchen Thema ja fast schon erwarten. Das begeisterte Publikum spendet bei der Uraufführung kräftig Applaus.

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