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75 Jahre Burgfestspiele Jagsthausen  
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Schurke oder Held? Die vielen Seelen in der Brust des Götz von Berlichingen

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Laura Remmler inszeniert das Traditionsstück der Burgfestspiele: Was hat uns Goethes „Götz von Berlichingen“ heute noch zu sagen?

Mehr nachdenklich denn handgreiflich: Götz (Thomas Sarbacher), während rechts oben Adelheid (Aischa-Lina Löbbert) dreist intrigiert.
Mehr nachdenklich denn handgreiflich: Götz (Thomas Sarbacher), während rechts oben Adelheid (Aischa-Lina Löbbert) dreist intrigiert.  Foto: Tobias Metz

Der historische Götz, spezialisiert auf Fehden allenthalben, Raubritter und Anführer eines Haufens Aufständischer während des Bauernkrieges, festgenommen und wieder freigelassen, verbrachte seinen Lebensabend als Hausmann auf Burg Hornberg. Wo er 1562 starb. Gut 200 Jahren später verdichtet der 25 Jahre junge Sturm-und-Drang-Goethe Götz’ Leben zur Heldenerzählung.

Nun ist Goethes Ritterdrama, überbordend und wild, nicht sein bestes Stück. Vor der Kulisse der Burg in Jagsthausen allerdings hat „Götz von Berlichingen“ seine reizvolle Berechtigung. Seit ihrer Gründung 1950 kämpft, spektakelt und stirbt bei den Burgfestspielen Jagsthausen der Götz allsommerlich und erfährt je nach Regie und Hauptdarsteller andere Deutungen. Zum 75. Jubiläum blickt mit Laura Remmler eine junge Frau auf das Stück und denkt über Recht und Freiheit nach.

Gereizte Zeiten, in denen wir leben

Dass Recht vor 500 Jahren noch weniger mit Gerechtigkeit zu tun hat als heute und der Begriff der Freiheit noch diffuser, ja willkürlich ist, steht außer Frage. Was uns mit dem Götz verbinden könnte? Die gereizten Zeiten, in denen wir leben.

Zwar hatten drei kleinere Produktionen bereits Premiere, offiziell wurden die Burgfestspiele Donnerstagabend mit dem Traditionsstück „Götz“ und Thomas Sarbacher in der Titelrolle eröffnet. Sowie mit warmen Worten der Festspielleitung, von Innenminister Thomas Strobl, Norbert Heckmann und Bettina Würth für die Freunde der Burgfestspiele. Ebenso unterm Premierenpublikum: Uschi Glas und Gatte Dieter Hermann, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, Landtagsabgeordnete, Familienmitglieder der von Berlichingen aus drei Generationen. Aber auch 300 Schülerinnen und Schüler, die ab Reihe zwölf nicht zu überhören sind. Reine Schülervorstellungen gibt es nicht mehr, mangels Nachfrage.

„Ich bin kein Rebell“

Zurück zu Goethe und Laura Remmlers Zugriff. Bei der „Götz“-Uraufführung 1774 ist die Französische Revolution noch fern. „Sterben, wenn nur die Freiheit überlebt“, legt Goethe seinem Helden in den Mund. Eine fragwürdige Logik. „Ich bin kein Rebell“, trotzt Götz an anderer Stelle und presst Thomas Sarbacher seine Verteidigung Wort für Wort heraus, der Urfehde abschwören möchte er aber nicht.

Sarbacher ist ein selbstbewusster Götz, mehr abwägend denn handgreiflich. Der Figur lässt er ihre Ambivalenz, mitunter mit ironischer Distanz. Eine Nuance, die Goethe seinem Götz nicht zutraute. Remmler hat gestrichen, bürstet einige Rollen gegen den Strich – renitente Frauen versus hasenfüßige Männer –, zeichnet die aufständischen Bauern aber wieder nur als brandschatzende Horde, unreif für die Freiheit, was historisch falsch ist. Die Rache der Fürsten vor 500 Jahren war grausam. Nun ist das nicht Hauptthema des Dramas, verhandelt die Regie lieber die vielen Seelen in einer Brust in einer Zeit im Umbruch.

Hier sind alle Fortschrittsverweigerer

Die Bühne: links eine stilisierte eiserne Hand, rechts eine Brustrüstung (Ausstattung: Stefanie Stuhldreier), die, wechselnd gedreht, zu Handlungswelten mutieren. Für Götz und Gleichgesinnte auf der linken Seite, für die Welt der intriganten Bamberger auf der rechten.  Mal laufen Handlungen parallel und wird der Zuschauer Komplize. Im Mittelgang kreuzen sich die Wege, mischen sich Freund und Feind. Und – das ist eine Stärke dieser Inszenierung – sind die Kontrahenten nicht in Gut und Böse zu trennen. Götz, der Bischof von Bamberg (Sebastian Volk), Kaiser Maximilian (Frank Roder), Adelheid (Aischa-Lina Löbbert), Weislingen (Thomas Gerber), auf ihre Weise sind alle Fortschrittsverweigerer, die an ihren Besitzständen festhalten. Nicht anders als Teile des Bürgertums heute.

Slapstick, dichte Spielmomente, statische Deklamation

Im Burghof ist man auf Mittelalter eingestimmt. Es herrscht im Deutschen Reich ein dem Tode geweihter Kaiser, Wälder sind auf Torbogen und Wände projiziert, Ritter, Räuber, Burgen überall, dazu die hereinbrechende Nacht. Das schafft Atmosphäre, auch wenn der Abend manchmal auf der Stelle tritt. Slapstick, dichte Spielmomente und statische Deklamation: Remmler montiert munter, manchmal auf Kosten der Klarheit, unterm Strich bleiben nach zwei Stunden und 15 Minuten gelungene Bilder und Denkansätze im Kopf. Das Premierenpublikum ist begeistert, auch über das spielfreudige Ensemble, mehr Zeitgeist in ihrer ästhetischen Umsetzung würde der Produktion aber nicht schaden.   

Im Alter von vier Jahren hat Laura Remmler den „Götz von Berlichingen“ erstmals im Burghof erlebt. Ihr Großvater stand in einer Nebenrolle auf der Bühne – und sie hat die Vorstellung verlassen. „Aus Angst, dass der Opa stirbt inmitten der bedrohlichen Kämpfe.“ Seither hat Remmler, die in Köln als freischaffende Regisseurin, Darstellerin und Autorin lebt, den „Götz“ so oft wie kein anderes Stück gesehen. Bei den Burgfestspielen hat die 39-Jährige Kinderstücke und „Brassed off – Mit Pauken und Trompeten“ inszeniert. 

Neben Sarbacher als kaisertreuer Querdenker gefallen Lina Hoppe als entschlossene Schwester, Ariela Sarbacher als harte Ehefrau Elisabeth. Gerbers Weislingen ist von Beginn die zwielichtige Type zwischen den politischen Fronten. Als Kunstfigur irrlichtert Adelheid mit dem Habitus der bösen Königin aus dem Märchen durchs Haifischbecken der Macht, die männlich bleibt. Kurzum: Die Revolte gelingt nicht einmal in einer verklärten Vergangenheit.

Mehr nachdenklich denn handgreiflich: Götz (Thomas Sarbacher), während rechts oben Adelheid (Aischa-Lina Löbbert) frech intrigiert.
Foto: Tobias Metz
Mehr nachdenklich denn handgreiflich: Götz (Thomas Sarbacher), während rechts oben Adelheid (Aischa-Lina Löbbert) frech intrigiert. Foto: Tobias Metz  Foto: Tobias Metz
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