Andreas Benz, geboren 1975, stammt aus Neckarsulm. Er studierte Schulmusik, Musiktheorie sowie Jazz- und Popularmusik in Stuttgart. Seit 2001 ist Benz zweiter Organist an der Kilianskirche Heilbronn, seit 2003 Musiklehrer am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium. Neben seinem Hauptberuf ist Benz vielfältig tätig als Instrumentalist, Komponist, Arrangeur und Ensembleleiter. Bereits in seiner Kindheit entwickelte Andreas Benz eine Faszination für Stummfilme, von denen er mittlerweile eine umfangreiche Sammlung besitzt. Auch hat er in jahrelanger Arbeit eine Christie-Kinoorgel von 1929 aus England instandgesetzt, die nun im Neckarsulmer Kinder-Jugend-Kultur-Zentrum Gleis 3 steht.
Musiker Andreas Benz aus Neckarsulm besitzt mehr als 1200 Stummfilme
Seit seiner Kindheit interessieren Andreas Benz Stummfilme. Auch Schellackplatten haben es dem Neckarsulmer angetan. Ein Gespräch über das Faible für alte Dinge.

Was auf der Filmrolle zu sehen ist, die Andreas Benz zum Fototermin mitgebracht hat? Ein prüfender Blick und der Neckarsulmer weiß Bescheid: ein Slapstick aus dem Jahr 1917, Hündchen rettet Heldin aus misslicher Lage. Für Stummfilme wie diesen schlägt das Herz des vielbeschäftigten Musikers. Ein Gespräch über das bittersüße Gefühl Nostalgie, die Neue Deutsche Welle und Woody Allens Zeitreise-Komödie „Midnight in Paris“.
Herr Benz, besitzen Sie ein Smartphone?
Andreas Benz: Ich habe mittlerweile eines, vielleicht seit so fünf, sechs Jahren. Meine Frau hat mich gezwungen.
Damit waren Sie recht spät dran.
Benz: Beim Autofahren gehe ich nicht ans Handy, während des Schulunterrichts, oder wenn ich Musikprobe habe, auch nicht, und wenn ich daheim bin, telefoniere ich übers Festnetz. Was ich aber eingesehen hab: Wenn meine Frau mir eine Whatsapp-Nachricht schreiben kann, dass ich noch einen Salat mitbringen soll, ist das schon ganz praktisch.
Ist das ein Wesenszug von Ihnen, dass sie sich Neuheiten gegenüber ein bisschen sperren?
Benz: Ich sage nicht prinzipiell, alles Neue brauche ich nicht, aber ich nehme es halt nur, wenn ich es auch wirklich benötige. Als in den frühen 90ern zum Beispiel Notationsprogramme für den Computer aufgekommen sind, habe ich mir eigentlich immer das Neueste gekauft.
Wann sind Sie denn ganz im Hier und Jetzt?
Benz: Natürlich beim Orgelspielen, überhaupt bei allem, was mit Musik zu tun hat, also auch beim Dirigieren, oder wenn ich am Schreibtisch stehe und Partituren schreibe.
Wie definieren Sie Nostalgie?
Benz: Ich würde sagen, Nostalgie ist die Sehnsucht nach irgendwelchen Dingen von früher, aus der alten, vermeintlich besseren Zeit.
Ist Nostalgie ein positives oder negatives Gefühl?
Benz: Beides. Je nachdem, wie man damit umgeht. Wenn die Sehnsucht so groß wird, dass man alles Neue ablehnt, weil man denkt, dass früher alles besser war, dann ist Nostalgie eher nicht so positiv.
Warum war die ZDF-Reihe „Väter der Klamotte“, die von 1973 bis 1986 lief und in der kurze Stummfilmkomödien der 1910er- und 1920er-Jahre gezeigt wurden, für Sie so prägend?
Benz: Weil ich da zum ersten Mal gesehen habe, dass so etwas wie Stummfilme existiert. Die waren ganz anders als das, was damals modern war. In der Stadtbücherei habe ich dann in Filmbüchern geguckt, was es noch gibt. Es war ein Riesenerlebnis, wenn das ZDF morgens an einem Feiertag einen Stummfilm gezeigt hat, den ich bislang nur aus einem Buch kannte. Auf Video gab es die ja damals nicht, auch sonst ist man da in den Achtzigern nicht rangekommen, man musste eben warten. Ich glaube, an einem Karfreitag kam dann mal „Intolerance“ von D. W. Griffith, und ich habe es fast nicht ausgehalten, dass ich diesen Film zu sehen bekomme.
Wenn ich mich nicht irre, besitzen Sie 1200 Stummfilme, und zwar auf Filmrollen. Warum sammeln Sie?
Benz: Wahrscheinlich sind es mittlerweile sogar mehr. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Es macht einfach Spaß, wenn man sich die Filme daheim anschauen kann. Es geht auch darum, sie in einem authentischen und langlebigen Format zu haben. Ich habe 16-Millimeter-Kopien aus den 20er Jahren, die noch spielbar sind und eine unglaubliche Bildqualität haben, weil man sie direkt vom Originalnegativ kopiert hat. Die werden mich wahrscheinlich überleben, wenn sie gut gelagert sind.
Wenn Sie im Neckarsulmer Kinder-Jugend-Kultur-Zentrum Gleis 3 zu Klassikern auf der von Ihnen restaurierten Christie-Kinoorgel live improvisieren, ist das auch der Versuch, ein Stück Vergangenheit wieder gegenwärtig werden zu lassen?
Benz: Nein, glaube ich nicht. Das Instrument ist alt, aber ich kann damit moderne Sachen machen. Das Wichtigste ist: Die Filme sollen so präsentiert werden, dass sie ihre optimale Wirkung entfalten. Meine Frau und ich machen das, weil wir die Liebe zum Stummfilm weitergeben und anderen Leute zeigen möchten, die sind nicht nur gut, weil sie alt sind, sondern die sind gut, weil sie gut sind.
Die Streifen stammen aus einer Zeit, die weit vor Ihrer Geburt liegt. Macht gerade das den Reiz aus?
Benz: Schon als Kind und Jugendlicher habe ich mich für so alte Sachen interessiert, auch die Schellackplatten vom Opa aus den 50er Jahren waren interessant. Was da drauf war, war gar nicht so wichtig. Ein Bekannter meiner Eltern aus Stuttgart hatte auch Schellackplatten. Wenn wir damals zu Besuch waren, hat er die vorgespielt. So bin ich zum ersten Mal mit Jazz in Berührung gekommen. Ich glaube, da war ich zwölf Jahre alt.
Die Neue Deutsche Welle ist also komplett an Ihnen vorbeigegangen?
Benz: Nee, tatsächlich nicht. Damit terrorisiere ich auch noch meine Schüler in der Schule. Denn wenn ich mir deren aktuelle Chart-Hits anhören muss, müssen die auch mal das anhören. Trio fand ich damals genial. Das verstehen die heute überhaupt nicht. Die Spider Murphy Gang höre ich auch immer noch gerne.
Welcher Song löst bei Ihnen eine Sehnsucht aus?
Benz: „Wenn i mit dir tanz“ von Nicki. Das ist sowas von 80er. Das ist halt meine Jugend. Wir waren damals alle in Nicki verliebt. Faszinierend an diesem Lied für mich heute ist: Normalerweise kann ich bei Musik ganz genau sagen, warum sie mir gefällt, hier kann ich es nicht. Die Melodie ist einfach, das Akkordschema ist einfach, dieser Synthiesound ist nicht abwechslungsreich. Es spricht eigentlich alles dagegen, dass mir das gefällt, aber es gefällt mir.
Mit dem Neckarsulmer Salonorchester widmen Sie sich Tanzmusik der 20er bis 40er. Was fasziniert Sie an dieser 100 Jahre alten Musik?
Benz: Die Arrangements sind handwerklich so sauber gemacht, die klingen auch heute einfach noch gut. Das ist eine Musik, die erstaunlich komplex ist und trotzdem rhythmisch lebendig, die im besten Wortsinn unterhaltend ist, ohne dass sie flach ist.
Noch einmal zurück zur Nostalgie: Sind Sie ein nostalgischer Mensch?
Benz: Ein bisschen vielleicht, aber nicht so richtig. Weil man fragt sich ja schon, hättest du gern in den 20er oder 30er Jahren leben wollen?
Das wäre meine nächste Frage gewesen.
Benz: Darum geht es auch in „Midnight in Paris“, und die Antwort in diesem Woody-Allen-Film lautet: Ja, was die Kultur betrifft, aber ich hätte gerne die Medizin von heute. Ich bin schon ganz froh, dass ich jetzt lebe. Ich möchte auf die Annehmlichkeiten der Moderne ungern verzichten, auf die kulturellen Erzeugnisse von damals aber eben auch nicht, weil ich die teilweise wirklich viel besser finde.
Die Pointe von Woody Allens Zeitreise-Komödie ist, dass sich Menschen in jeder Epoche nach einer früheren Epoche sehnen, weil sie mit ihrer Gegenwart unzufrieden sind. Darum zum Schluss: Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Benz:(Denkt lange nach und seufzt.) Es kommt drauf an, ob die Bequemlichkeit bei uns siegt oder das Qualitätsbewusstsein. Bisher hat eigentlich immer die Bequemlichkeit gesiegt. Dagegen versuche ich ein bisschen zu kämpfen.