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Zigarre Heilbronn
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Momentaufnahmen eines Künstlerlebens

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Offene Ateliers in der Zigarre Heilbronn und warum Vielfalt mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile: Das Künstlerhaus ist kreativer Hotspot der Bahnhofvorstadt.

Im Rahmen der Offenen Ateliers im Künstlerhaus in der Heilbronner Zigarre vergangenen Samstag – und darüber hinaus – ist die Ausstellung mit Bildern von Eberhard Fendrich und Objekten von JC Leopold zu sehen.
Im Rahmen der Offenen Ateliers im Künstlerhaus in der Heilbronner Zigarre vergangenen Samstag – und darüber hinaus – ist die Ausstellung mit Bildern von Eberhard Fendrich und Objekten von JC Leopold zu sehen.  Foto: Lina Bihr

„Von der Baracke zur Institution“, wirbt das Künstlerhaus Heilbronn auf den brandneuen Flyern 2026 für seine Ausstellungen und Aktionen. Organisiert seit 1988 im Verein Künstlerhaus Heilbronn, unterhielt man bis vor 25 Jahren Ateliers in der Künstlerbaracke. So hieß schlicht und bezeichnend das längst abgerissene Gebäude neben der Zigarre in der Achtungstraße.

Dass es diesen Austausch unter Künstlerinnen und Künstlern weiter gibt, ist deren Beharrlichkeit zu verdanken. Sie waren und sind Keimzelle, Motor und stärkste Gruppierung im Kunst- und Kulturwerkhaus Zigarre: Im Herbst 2000 sind sie dorthin umgezogen. Zehn Ateliers und Produktionsstätten betreiben sie. Und dazu seit einigen Jahren eine Druckwerkstatt für Siebdruck und Radierung.

Alles dabei, wenn man durch die Ateliers schlendert

Einmal im Jahr laden die Kunstschaffenden der ersten Stunde und die Neuzugänge ein zum Tag der Offenen Ateliers mit Atelierverkauf. Das unmittelbare Gespräch steht im Vordergrund, dabei gibt es auch diese gewisse Schwellenangst, ein Atelier zu betreten und sich frei umzusehen. Einen Eindruck über Vielfalt und Tendenzen durfte man sich vergangenen Samstag schaffen. Malerei, Zeichnung, Plastik, Fotografie, Druckgrafik, Soundinstallation, Illustration, Video, Konzept- und Objektkunst – alles dabei, wenn man durch die Ateliers schlendert.

Mit Natalis Lorenz hat das Künstlerhaus einen neuen Vorsitzenden. Der 42-jährige freischaffende Künstler versteht sich als Gestalter und Illustrator an der Schnittstelle von Kunst und Design. Einen Teppich, gefertigt von einem Kollegen mit einer Webpistole in Form eines Herzcontainers, zieht er in seinem Atelier hervor, Teil eines Animationsprojektes. Mappen mit Druckgrafiken wollen umgeblättert werden, Musik wird aufgelegt, Lorenz erklärt seine Arbeiten.

Spontan mit dem Handy aufgenommene Momente

Zweite Vorsitzende im Künstlerhaus ist Mirjam Roth. In ihrem Atelier  zeigt sie psychedelische, surrealistische Malerei. Die Freischaffende Annika Winkelmann beschäftigt sich mit Wahrnehmungsprozessen und wechselnden Bedeutungsebenen, je nach Kontext und Blickwinkel des Betrachtenden, und arbeitet überwiegend konzeptionell. Daneben entstehen Fotografien, die mal wie malerische Ansichten wirken, mal mit der Handykamera oder Polaroid spontan aufgenommene Momente sind, die Winkelmann als quadratische, kleine Alu-Dibond Fotodrucke verkauft.

In ihrer Fülle an irritierenden Motiven wirken sie wie ein Kaleidoskop, wenn Annika  Winkelmann eine Schublade öffnet, in der sie Dutzende dieser Kacheln angeordnet hat. Seit Jahren hält sie kuriose Bildausschnitte einer Wirklichkeit fest, der sie unmittelbar begegnet. Eine aus der Hand gefallene Eistüte am Gehweg, das geflickte Muster einer Sitzbank einer Berliner U-Bahn, das florale Fußbodenmuster am Flughafen Singapur. Ein Augenblick im Bahnhof Jagstfeld, wo die Eltern leben.

Das vertrackte Verhältnis Weiblichkeit und Körper

Im Moment arbeitet Sarah Lehnert allein im Atelier. Malerkollegin Christiane Reyle zieht in die Off-Werkstatt im Keller, Nicole Bianchet kommt statt ihrer im Januar. Atelierwechsel sind gang und gäbe, auch, dass sich manche ein Atelier teilen, andere nicht. Lehnert hat Textildesign und Grafik studiert, zeichnet überwiegend, hat aber nun die Malerei für sich entdeckt. Wer sich umsieht, dem fällt Lehnerts derzeit herrschendes Interesse ins Auge: Weiblichkeit/Körperlichkeit, ein vertracktes Verhältnis, nicht erst in der digitalen Welt. Allen Trugbildern zum Trotz sind wir „letztlich auf unseren Körper angewiesen“.

Angefangen hat es mit drei Ateliers in der Künstlerbaracke in der Achtungstraße, im Herbst 2000 zieht der Verein Künstlerhaus Heilbronn in die benachbarte, historische Zigarrenfabrik. Zehn Ateliers betreiben die derzeit 15 aktiven Mitglieder dort und seit 2018 eine Druckwerkstatt für Siebdruck und Radierung. Auch verantwortet das Künstlerhaus Ausstellungen und Aktionen im Sheddachsaal, in der Kellergalerie „eben“ und der Kneipe K2acht, wo bis 8. Februar Fotografien aus Usbekistan von Marion Kolb zu sehen sind.

Generationenwechsel in der Zigarre? Ohne die Kreativität der langjährigen Künstlerhaus-Mitglieder wäre das Ganze nicht denkbar. Die Alten wie die Jungen ergänzen sich. Und so öffnet neben Graffitikünstler und Buchstabenfetischist Richard Rau auch Fotograf Klaus Schaeffer sein Atelier und hat Eberhard Fendrich im Sheddachsaal gleich eine ganze Ausstellung.

„Marsch auf Heilbronn“ vor 50 Jahren

Wie stets ist BMP vertreten. Das Künstlerkollektiv Detlef Bräuer, Karl May und Uli Peter überrascht immer wieder. Diesmal mit Zeichnungen und zehn Entwürfen für verschiedene Standorte für ein Mahnmal, das an den „Marsch auf Heilbronn“ vom April 1975 erinnern soll, als vor 50 Jahren entschiedene Audianer ihr Werk vor der Schließung retteten. Die IG-Metall Heilbronn-Neckarsulm ist mit dem Auftrag für Entwürfe auf BMP zugekommen. Eine Entscheidung über die Realisierung eines Denkmals ist offen.

Annika Winkelmann hat neben ihrer konzeptionellen Kunst immer schon fotografiert: kuriose Momentaufnahmen, die sie auf quadratische Kacheln zieht.
Annika Winkelmann hat neben ihrer konzeptionellen Kunst immer schon fotografiert: kuriose Momentaufnahmen, die sie auf quadratische Kacheln zieht.  Foto: Lina Bihr
Im Keller der Zigarre ist eine Druckwerkstatt für Siebdruck und Radierung eingerichtet. Hier entstehen auch die Serigrafien von Hans-Jörg Seidler.
Im Keller der Zigarre ist eine Druckwerkstatt für Siebdruck und Radierung eingerichtet. Hier entstehen auch die Serigrafien von Hans-Jörg Seidler.  Foto: Lina Bihr
Karl May (links) und Detlef Bräuer vom Künstlerkollektiv BMP.
Karl May (links) und Detlef Bräuer vom Künstlerkollektiv BMP.  Foto: Lina Bihr
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