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„Ecologies in Becoming“
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Mit Roboter-Armen zeichnen: Sougwen Chung stellt in Heilbronn aus

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Kunstverein und Ipai Foundation zeigen aktuelle Arbeiten und sogenannte Artefakte von Sougwen Chung. Die chinesisch-kanadischen Künstlerin gilt als Pionierin auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Kollaboration. Ihre Zeichnungen, Skulpturen und Performances entstehen im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz.

„Ich möchte verstehen, wie Dinge funktionieren“: Sougwen Chung experimentiert an der Schnittstelle von Mensch und Maschine.
„Ich möchte verstehen, wie Dinge funktionieren“: Sougwen Chung experimentiert an der Schnittstelle von Mensch und Maschine.  Foto: Kunz, Christiana

„Der springende Punkt an der ganzen Sache ist, dass weder ich die Kontrolle habe, noch dass das System sie hat. Die Beziehung entsteht durch Anpassung“, beschreibt Sougwen Chung das Verhältnis, in das sie sich begibt, wenn Zeichnungen, Skulpturen und Performances entstehen im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz und Robotern. Auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Kollaboration gilt Chung als Pionierin – der es, wie sie sagt, ein Anliegen ist, Alternativen zu gängigen Technologie-Narrativen zu bieten.

Wie diese aussehen, dazu gibt in Heilbronn nun die zweigeteilte Ausstellung „Ecologies of Becoming“ einen Überblick, die am Freitag eröffnet wurde und bis 7. Dezember zu sehen ist. Während das öffentliche Besucherzentrum der Ipai Spaces im Zukunftspark Wohlgelegen eine von Sougwen Chungs neuesten Installationen zeigt, beschäftigt sich der Kunstverein – neben einer Auswahl aktueller Arbeiten – retrospektiv mit zehn Jahren Forschung und Experimenten der non-binären Künstlerin.

Fließende Bewegungen fixiert in Photopolymerharz: „Spatial Dataset, 2025“. Bis 7. Dezember sind die Arbeiten von Sougwen Chung im Kunstverein sowie im Besucherzentrum der Ipai Spaces zu sehen.
Fließende Bewegungen fixiert in Photopolymerharz: „Spatial Dataset, 2025“. Bis 7. Dezember sind die Arbeiten von Sougwen Chung im Kunstverein sowie im Besucherzentrum der Ipai Spaces zu sehen.  Foto: Berger, Mario

„Ich selbst in einer anderen Form“ oder über die Arbeit mit D.O.U.G.

Was gestern noch neu war, ist heute schon archiviert. „In jeder Art von kultureller Praxis, aber besonders in der Technologie, sind zehn Jahre Entwicklung fast wie eine Ewigkeit“, sagt Sougwen Chung, die beim Rundgang über D.O.U.G. spricht – kurz für: Drawing Operations Unit Generation. Wobei es sich um ein von Chung entwickeltes Multi-Roboter-System handelt, das beispielsweise über KI-gesteuerte Arme gemeinsam mit ihr zeichnen und malen kann. Und das sie als „Ich selbst in einer anderen Form“ sowie „sehr eigenartige Erweiterung“ umschreibt.

Insgesamt sechs Generationen von D.O.U.G. gibt es, mit jeder hat Sougwen Chung einen anderen Aspekt der Interaktion von Mensch und Maschine untersucht. Artefakte nennt sie die Ergebnisse dieser kreativen Partnerschaft, die in der Schau studiert werden können.

In seiner einfachsten Form betrieb das System Nachahmung, indem es der Linienführung der Künstlerin auf der Leinwand folgte. Die nächste Generation befasste sich mit Erinnerung, dafür hatte Sougwen Chung die KI mit ihren zeichnerischen Arbeiten aus den vorangegangenen 20 Jahren trainiert. „Das war für mich wie ein Echo meiner eigenen Arbeit.“ Und ein Durchbruch. In der Folge dachte sich Chung immer komplexere Herangehensweisen aus, fütterte D.O.U.G. mal mit Bewegungsdaten aus dem urbanen Raum. Mal ließ sie das System ihre meditativen Zustände mittels EEG-Headset in Roboterbewegungen übersetzen – während der Corona-Pandemie, „als zwar Bewegung nicht mehr sicher war, aber Meditation“.

Zur Person Sougwen Chung

Die chinesisch-kanadische Künstlerin Sougwen Chung, Jahrgang 1985, studierte Kunst in Bloomington/USA und Stockholm. Ab 2012 erste Ausstellungen, entwickelte Chung seit 2015 ihre Drawing Operations Unit Generation (D.O.U.G.). 2024 zählte sie das Magazin „Time“ zu den 100 einflussreichsten Personen im Bereich KI.

"Artefact 30 (with D.O.U.G._4), 2025", Acryl auf Leinwand.
"Artefact 30 (with D.O.U.G._4), 2025", Acryl auf Leinwand.  Foto: Kunz, Christiana

Angetrieben von Neugier: Was Sougwen Chung Hoffnung macht

Wie kann Kultur Technologie beeinflussen? Inspiriert habe sie der Hongkonger Philosoph Yuk Hui und dessen Ideen zur Kosmotechnik, erzählt Sougwen Chung und erklärt, dass sie sich mit Blick auf die Zukunft weder als Optimist noch als Pessimist sieht. „Ich möchte verstehen, wie Dinge funktionieren“, findet Chung – angetrieben von Neugier – Hoffnung und Sinn, indem sie sich mit Computer- und Roboter-Systeme auseinandersetzt. Neuerdings befasst sie sich in ihrem Londoner Studio mit Seidenwürmern.

In Kanada 1985 geboren, in China aufgewachsen, war Sougwen Chungs Mutter Computerprogrammiererin, der Vater ein klassisch ausgebildeter Opernsänger. Schon früh spielte Chung Violine. „Durch Musik denke ich über das Zeichnen auf eine sehr zeitliche Art und Weise nach“, vergleicht die Künstlerin Handbewegungen und -gesten, die im Zentrum viele ihrer Arbeiten stehen, mit Musiksequenzen und Melodien.  Auch möchte sie mit ihren Installationen möglichst alle Sinne des Besuchers ansprechen.

Bei aller Technologie im Hintergrund: Die Poesie ist, was Constanze Zawadzky, Head of AI Engagement & Literacy bei der Ipai Foundation, an Chungs Werk schätzt. 2023 auf dem Linzer Ars Electronica Festival auf Chung aufmerksam geworden, schlug Zawadzky dem Kunstverein eine Kooperation vor. „Wir sind neuen Diskursen immer aufgeschlossen, das ist für uns Teil der Arbeit“, sagte Kuratorin Matthia Löbke dem Vorhaben zu.

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