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Schauspielerin Lisanne Hirzel 
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Mehr Mut zu Querbesetzungen und mehr Männer in Nebenrollen

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Neu am Theater Heilbronn: Warum Lisanne Hirzel ihren Beruf liebt, der Institution aber nicht unkritisch begegnet. Gespräch mit einer so energiegeladenen wie nachdenklichen Schauspielerin.

Ungetrübter Blick für Gegebenheiten: Wo Leute grüßen und lächeln, fühlt sich die Schauspielerin Lisanne Hirzel aus der Schweiz mehr zu Hause.
Ungetrübter Blick für Gegebenheiten: Wo Leute grüßen und lächeln, fühlt sich die Schauspielerin Lisanne Hirzel aus der Schweiz mehr zu Hause.  Foto: Lina Bihr

Sind die Berner wirklich so langsam? Lisanne Hirzel muss wissen, was es mit der landläufigen Meinung auf sich hat, Berner seien langsam, gemütlich, nicht aus der Ruhe zu bringen. Hirzel ist in Biel im Kanton Bern aufgewachsen und hat in der Kantonshauptstadt studiert.

Es mag am Dialekt liegen, am Bärndütsch und seiner sehr melodisch gedehnten Sprechweise, sagt Lisanne Hirzel. „Aber im Kopf, da ist der Berner nicht langsam“, stellt die 30-Jährige klar. Dass auch sie dieses sehr spezielle Idiom beherrscht, möchte man nicht glauben. Bühnendeutsch ist ihr Metier, seit dieser Spielzeit gehört die beredte junge Frau fest zum Heilbronner Stadttheater. Bevor es um das Theater geht im Allgemeinen und speziell, um Hirzels Werdegang und aktuelle Situation, muss noch geklärt sein: Was ist schweizerisch an ihr?

„Gute Frage“, Lisanne Hirzel muss nachdenken. Pünktlichkeit ist es nicht, „meine größte Schwäche“. Das hat nichts damit zu tun, dass sie schon lange in Deutschland lebt. Beide, gibt Hirzel zu bedenken, Schweizer wie Deutsche, „haben diesen Hang zur Korrektheit“. Der Unterschied jedoch sei, ob und wie Regeln eingehalten werden. Bevor sie, um abzukürzen, quer über einen fremden Acker läuft, geht Hirzel einmal außen herum. „Der Schweizer würde lieber etwas nicht machen, als etwas falsch zu machen.“  Dabei bescheinigt aller Regelhaftigkeit zum Trotz Hirzel ihren Landsleuten eine Leichtigkeit und Höflichkeit.

Die ruppige Direktheit der Sachsen

„Die ruppige Direktheit“ der Sachsen, wie sie Hirzel in Chemnitz erlebt während ihres ersten Festengagements, ist ein „Kulturschock“. Eine Ruppigkeit, „die man zu lieben lernt“. „Hier in Baden-Württemberg, wo die Leute grüßen und lächeln“, fühlt sich Hirzel „wieder ein bisschen mehr zu Hause.“

Glück hat sie gehabt und eine Wohnung gefunden mit Blick auf Weinberge und Gaffenberg. Mit ihrem Hund, Berner Sennenhund mit Golden Retriever, streift sie durch die Gegend, „der ideale Ausgleich“. Lisanne Hirzel kann gut alleine sein, sagt sie, die, wenn sie nicht Text lernt, am Theater ausschließlich mit Menschen zu tun hat. Ihr Verlobter ist Kollege und in Chemnitz engagiert, beide wissen, dass ihr Beruf auch Fernbeziehung bedeutet.

„Nur hatte ich keine Ahnung, was das bedeutet“

Weniger gelassen stimmt sie, dass ihr Engagement in Heilbronn mit dem Wechsel der Intendanz im nächsten Sommer nach einem Jahr zu Ende geht. Sie bewirbt sich an anderen Häusern, „der Arbeitsmarkt ist schwieriger denn je“. Nach Corona gibt es weniger Wechsel, ist der Wunsch nach Stabilität groß, bei unverändert hoher Zahl an Abgängen von Schauspielschulen. „Das geht nicht auf.“ Dass sie Schauspielerin werden wollte, wusste Lisanne Hirzel eigentlich schon immer. „Nur hatte ich keine Ahnung, was das bedeutet.“

Auf Wunsch der Eltern – Schweizer Sicherheitsbedürfnis – zieht sie eine kaufmännische Ausbildung mit Berufsabitur im Reisebüro durch. „Ich habe drei Jahre gelitten.“ Es folgen die Schauspielschule in Bern, Produktionen in der Freien Szene, Filmerfahrung, das Theater Chemnitz. In Heilbronn steht sie 2024 in „Die Schneekönigin“ auf der Bühne, ist Gast in „Pershing“, seit September gehört sie zum Team. In „Wunschkonzert“, „Der zerbrochne Krug“ und in „Mord auf Schloss Haversham“ ist sie nun zu erleben.

„Theater ist Kunst. Und Arbeitsumfeld“

Ensemblemitglied sein, heißt für sie, „jeden Tag das machen können, was ich liebe“. Nicht, dass Lisanne Hirzel der Institution Theater unkritisch begegnen würde. Hirzel gibt die Hoffnung nicht auf: auf ein Theater, „dass die Menschlichkeit nicht nur vorspielt, sondern lebt mit Blick auch auf die, die Theater machen, die Schauspieler“. Das Theater als Weltverbesserungsanstalt? „Nein. Theater ist Kunst. Und Arbeitsumfeld.“ „Ich glaube“, sagt Lisanne Hirzel, „dass das Schauspiel eine gewisse Naivität braucht. Um in eine Rolle reinzugehen, um Emotionen zu zeigen. Diese Naivität aber missbraucht wird.“

1995 in Biel geboren, studiert Lisanne Hirzel nach kaufmännischer Ausbildung an der Hochschule der Künste in Bern. Projekte in der Freien Szene folgen, in dem Schweizer Film „Von Fischen und Menschen“ ist sie 2020 im Kino zu sehen. Von 2019 bis 2023 ist sie fest am Schauspiel Chemnitz engagiert. Seit dieser Spielzeit gehört Lisanne Hirzel zum Ensemble am Theater Heilbronn. 

Alle Figuren, die sie je gespielt hat, „sind wie Freunde von mir. Manchmal rede ich mit denen, auch wenn ich die Figur nicht mochte“. Christa Wolf, Jasmina Reza, Elfriede Jelinek oder Thomas Brasch schätzt sie, weil „deren Frauenfiguren Tiefe bieten“. Zwar ist ein Stück wie Dürrenmatts „Die Physiker“ ein Lieblingsstück. „Doch würde ich an Stadttheatern als die Krankenschwester besetzt werden“, plädiert Lisanne Hirzel für mehr Mut zu Querbesetzungen und Männer in Nebenrollen. „Den Kollegen würde der Perspektivwechsel gut tun.“   

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