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Wie die Bilder auf die Leinwand kommen: Blick hinter die Kulissen in den Arthaus-Kinos

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Auch wenn die Technik seit Jahren komplett digitalisiert ist, etwas kann immer schieflaufen, wenn auch selten. Beim "Stimme"-Lesersommer erfahren die Teilnehmer, warum es den Beruf des Filmspediteurs nicht mehr gibt, Verleiher die Filmdateien immer öfter online senden und warum Popcorn und Werbung manche nerven, aber notwendig sind.

Wo sonst bis zu 180 Kinofreunde Platz nehmen, lassen sich "Stimme"-Leser in den Logenplätzen von Saal 1 im Arthaus-Kino in die kurze Geschichte des Kinolebens gestern und heute einführen.
Wo sonst bis zu 180 Kinofreunde Platz nehmen, lassen sich "Stimme"-Leser in den Logenplätzen von Saal 1 im Arthaus-Kino in die kurze Geschichte des Kinolebens gestern und heute einführen.  Foto: Lina Bihr

Früher war alles besser? Nicht unbedingt, aber anders. "In den 80er Jahren war das Programm in den Kinos viel schlechter", sagt Gerd Hofmann. Um einen Knüller zu bekommen, musste man Schrott-Filme dazunehmen. Ein Diktat der Filmverleiher.

Dass deren Macht heute nicht minder groß und warum der Beruf des Filmspediteurs Geschichte ist, wie die weite Welt auf die Leinwand kommt und weshalb ohne Popcorn und Werbeblock nichts läuft, erfahren die Teilnehmer beim Stimme-Lesersommer beim Blick hinter die Kulissen der Arthaus-Kinos in Heilbronn. In Saal 1, wo 180 Personen Platz finden, sitzt in den Logenplätzen in der letzten Reihe ein knappes Dutzend Leserinnen und Leser.

Technische Details im Vorführraum

Gerd Hofmann, ehemaliger Chemielaborant, ist ein profunder Kenner der Heilbronner Kinoszene und Filmfreak und hat einst selbst im Jugendfilmclub und anderswo Filme eingelegt. Auch war er Mitbegründer des Kommunalen Kinos. Bevor er in den zwei Vorführräumen technische Details erklärt, gibt es einen historischen Abriss.

Seit Kinostar 2016 von der Allee ins Marrahaus zog, ist der Betrieb komplett auf Digitaltechnik umgestiegen. Die Zeiten, in denen Mittwochnacht quer durch die Republik Filmrollen für die kommende Woche geliefert und die abgespielten Filme abtransportiert wurden, sind vorbei.In einem gepufferten Köfferchen werden Anfang einer Woche am helllichten Tag die Filme auf handflächengroßen Festplatten oder auf Sticks geliefert.

Der Theaterleiter programmiert die Kinowoche

Die Daten werden auf den Server, sprich Computer der Kinos, kopiert. Dann programmiert der Theaterleiter für die nächste Kinowoche, die von Donnerstag bis Mittwoch geht, welcher Film um welche Uhrzeit in welchem Saal läuft. Und er gibt den Schlüssel zum jeweiligen Film frei. Dieser Schlüssel kommt per Mail. Das heißt, auch die Zeiten, in denen Kinomitarbeiter sich bereits Mittwochnacht den neusten Streifen geben konnten, sind passé. Auch fällt kein sogenannter Teller mit Rollen herunter und fluten zweieinhalb Kilometer Filmstreifen - bei einem analogen 90-Minuten-Film - den Vorführraum.


Mehr als 100 Jahre betrug das Standardformat eines Filmstreifens in den Kinos weltweit 35 Millimeter. Werden heute etwa die Hälfte der Filme auf Festplatten geliefert und Filmchen wie Trailer und Werbung auf USB-Sticks, sendet der Verleih die Filmdateien immer öfter direkt online, also übers Internet. Einen Filmriss kann es nicht mehr geben, auch keine falsch zusammengeklebten Filmstreifen oder Akte, wie die Filmrollen in Anlehnung an die Theatersprache genannt wurden.

Natürlich kann sich ein Computer aufhängen

Nichts kann mehr schieflaufen? Natürlich kann sich ein Computer aufhängen oder der Strom ausfallen. Was äußerst selten vorkommt, wie Hofmann beruhigt. Noch seltener vergisst der Verleih, den Schlüssel mitzuschicken. "Dumm nur, wenn man an einem Wochenende nach London mailen muss, weil man die Dateien nicht freischalten kann und keine Antwort kommt." Aufgeteilt in zwei Gruppen, quetschen sich die Filmfreunde in den Vorführraum, auch Bildwerferraum genannt.

Vor drei Monaten haben die Arthaus-Kinos auf Laserprojektion umgestellt. 4000 Watt leistet der Projektor für Saal 1, je 2000 Watt leisten die Projektoren für die drei kleineren Säle. In der Ecke ist die Netzwerktechnik untergebracht, eine Satellitenschüssel auf dem Dach des Marrahauses ermöglicht Live-Übertragungen.

Wunschfilme schauen nach dem Theorieteil

Nach so viel Imput wählt die Lesersommer-Runde jeweils den Film, den sie oder er an diesem Nachmittag oder Abend sehen werden. Die meisten wollen in "Rehragout-Rendezvous", zwei in "Rumba-Therapie" und in "Verrückt nach Figaro", einer schaut sich "Oppenheimer" an. Dass "Filme hier ein ganz anderes Erlebnis sind als zu Hause", steht für Hannelore und Klaus Schoch außer Frage. Bei Ruth und Werner Fuchs ist sie diejenige, die den Film bestimmt. Er geht mit. Was sie aussucht? "Anspruchsvolles", verlässt sich Werner Fuchs auf die Gattin.

Popcorn und Werbung: Wie der Verzehr von Popcorn polarisiert der Werbeblock vor dem Hauptfilm, doch könnten ohne Essen und Trinken sowie Werbung die Kinos sich nicht finanzieren. Über 60 Prozent der Kasseneinnahmen gehen an den Filmverleih. Früher waren es 40 bis 50 Prozent. Die Zusammenstellung der Werbung trifft die Werbeagentur, die die Kinos damit beliefert - und dafür zahlt. Warum kommt nach der Eiswerbung keiner mehr in den Saal, um Eiskonfekt und mehr zu verkaufen? Weil niemand vom Personal das noch machen möchte.

 
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