Mit Giora ins Paradies
Heilbronn - Wo hat er sich nur wieder versteckt? Wie vom Erdboden verschluckt scheint Giora Feidman zu sein. Wie gut, möchte man schon denken, dass er sich in diesem Moment auf sein Streichquartett unter Primarius Michel Gershwin verlassen kann.
Heilbronn - Wo hat er sich nur wieder versteckt? Wie vom Erdboden verschluckt scheint Giora Feidman zu sein. Wie gut, möchte man schon denken, dass er sich in diesem Moment auf sein Streichquartett unter Primarius Michel Gershwin verlassen kann, dass das Konzert in der mit 750 Besuchern prächtig gefüllten Kilianskirche kurzerhand mit einer Hymne auf die Anemone, die israelische Nationalblume schlechthin, beginnt.
Doch kaum ist "Calaniot" von Moshe Vilensky verstummt, wird man auch schon dieser gewissen, einfach unwiderstehlichen Atmung gewahr. Die ganze Kilianskirche scheint mit einem Mal zu vibrieren. Dabei wirken diese durch eine Klarinette übermittelten Atemzüge vorderhand ganz zart und zerbrechlich, beinahe zärtlich. Die Kilianskirche erstarrt, ist fasziniert.
Ist das denn die Möglichkeit? Nein, nicht mit den wunderbaren gekrächzten, gestöhnten, oft frohlockenden Töne seiner Klarinette wird Giora Feidman seine Liebhaber verzaubern, nicht durch seine fabelhaft gestalteten Unisono-Partien von Bassklarinette und Cello. Es ist sein Atem. Auch so lässt sich Aufmerksamkeit erzeugen. Durch Ruhe, Stille, Behutsamkeit.
Menschenfänger
Und so zieht Feidman langsam von hinten in die Kilianskirche ein. Er lässt sich alle Zeit der Welt, dieser Menschenfänger, der um seine Wirkung nur allzu gut weiß. Mit einer Schabbatmelodie begrüßt er die Zuhörer. Am liebsten, so scheint es, würde er jeden Gast persönlich umarmen. Doch Feidman weiß sich zu behelfen. Wenn er das Publikum als Ganzes nicht unmittelbar erreicht, so muss das Publikum ihn erreichen. Mitsummen soll es und mitsingen. "Schalom Chaverim" schlägt der alte Fuchs vor. Im Handumdrehen erobert der Charismatiker, der einer Familie von Klezmer-Musikern entstammt, sein Publikum.
Tango-Ehren
Er ist nicht der verstockte, akademische Spieler, Feidman ist der geborene Unterhalter, der sein Publikum in einem spanisch-deutsch-englischen Mischmasch gefangennimmt. Traditionals der Klezmer-Literatur spielt er und einige leicht angejazzte Volksmusiken Osteuropas. Bei Gil Aldema wird er fündig, bei George Enescu und Sergej Abir. Astor Piazzolla, sein argentischer Landsmann, kommt zu Tango-Ehren.
Doch er belässt es nicht einfach bei der volkstümlichen Musik, da ist schon das Gershwin String Quartett vor, das die erdige, nichtliturgische Musik des osteuropäischen Schtetls sinfonisch zu verdichten und damit auch originell zu verfremden weiß. Geprägt von der harten russischen Instrumentalistenschule, lässt sich das Quartett mit Michel Gershwin, Natalia Raithel (Violine), Juri Gilbo (Viola) und Kira Kraftzoff, Ex-Solocellist des WKO, nichts vormachen. Bezaubert durch den Kontrast lässt sich das Publikum fallen, manch einem laufen Tränen der Rührung.
Stimme.de