Lieber vernünftig als wahnsinnig: Felix Heidenreich im Literaturhaus
Felix Heidenreich liest aus seinem Roman "Der Diener des Philosophen" und plaudert über die Macken von Immanuel Kant und die Tücken der Aufklärung im Literaturhaus Heilbronn.

Es muss wohl sehr deutsch sein, einen Politologen und Philosophen wie Felix Heidenreich zu fragen, warum er einen Roman schreibt. In Frankreich, amüsiert sich der Autor, müsse sich kein Wissenschaftler erklären, wenn er die "Tonlage" ändert.
Heidenreich lehrt an der Universität Stuttgart, publiziert zur politische Theorie und Kulturtheorie, hat mit "Der Diener des Philosophen" (Wallstein, 148 Seiten, 22 Euro) seinen zweiten Roman geschrieben. Und liest im dicht besetzten Literaturhaus Heilbronn - wie in einer "Filmkulisse" fühlt er sich im Trappenseeschlösschen - aus seinem literarischen Philosophenroman, oder wie immer man das Herr-Knecht-Duell bezeichnen möchte.
Historisch Verbürgtes und Fiktion werden kurzgeschlossen
Aber was heißt lesen, Felix Heidenreich erzählt, spricht über, stellt Querbezüge her, pariert mit Beispielen und Nonchalance, so dass der Abend im Gespräch mit Hausherr Anton Knittel zu einem geistreich kurzweiligen Vergnügen gerät und den "Diener des Philosophen" als unterhaltsamen Roman über Immanuel Kant empfiehlt. Ein Roman, der historisch Verbürgtes mit intertextuellen Überblendungen und Fiktion kurzschließt, ohne dass der Leser zwingend alles erkennen muss. Kurzum, kein Gelehrtenroman, sondern die skurrile Erzählung vom ehemaligen Soldaten Lampe im Dienst von Kant, von Wasianski, Kants Sekretär, von Charlotte von Knobloch und anderen, die es wirklich gab und die zu Kants schillerndem sozialen Umfeld gehörten.
Dass Kant "Potenzial bietet für Humor", weiß Heidenreich und hofft, dass der Roman auch ernste Fragen stellt. Tatsächlich werden beiläufig die großen Kantschen Themen verhandelt, eine Reflexion also nicht nur über die durchaus widersprüchliche Figur des Königsbergers, sondern über die Aufklärung an sich.
Was uns Kant heute zu sagen hat
Wie gegenwärtig der radikale Universalist Kant ist, dessen Schriften im Zeichen der Vernunft stehen, ist greifbar und bewegt das lebhaft interessierte Publikum. Was hat uns Kant heute zu sagen? Der kategorische Imperativ? Unsere vermeintlich selbstverschuldete Unmündigkeit? Und was überhaupt hat die Gegenwart Kant zu sagen? Felix Heidenreich führt seine Romanfiguren ein, den Verwaltungsbeamten und Tischgenossen Kants, von Hippel, den Kaufmann und Freund Kants, Joseph Green, und weitere Personen, streift das Klischee vom britischen Empirismus und erinnert daran, dass wir alle in unserem Alltag uns auf unseren Verstand verlassen wollen und doch abhängig sind von Experten.
Warum das Buch "Der Diener des Philosophen" und nicht "Der Philosoph und sein Diener" heißt, sinniert Heidenreich über das Verhältnis von Kant und Lampe, der nach 40 Jahren gefeuert wird. Und erinnert an Hegels Betrachtungen zum Verhältnis von Herr und Knecht, der sich wiederum auf Diderot bezog. Fragen zum moralischen Rigorismus klingen an in Relation zum wohl diametral entgegensetzten Pragmatismus, zwischendurch liest Heidenreich noch ein wenig. "Ich möchte eigentlich lieber nicht", denkt Kant an einer Stelle im Roman, was nicht nur Fans von Melvilles Bartleby schmunzeln lässt und als Spitze auf den Terror des Positiven verstanden werden darf.
Wie hängen Körper und Denken zusammen?
Felix Heidenreich, Jahrgang 1973, versteht es, auf hohem Niveau zu unterhalten, ohne aufdringlich zu belehren. Wie hängen Körper und Denken zusammen, wie überhaupt kommt es zum Denken, und wie ist es um die leibgewordene Vernunft bestellt? Solches und mehr verhandelt der Roman spielerisch bis verdeckt, während ausgerechnet Kant um seine Autonomie kämpfen muss.
Dass wir nicht alle dasselbe meinen, wenn wir von Menschenrechten sprechen, vom Menschen überhaupt, mag heute eine Binse sein, ist aber das große Dilemma interkultureller Verständigung, gibt Felix Heidenreich zu bedenken. Aber auch, dass die Alternative zur Vernunft der Wahn ist.
Die Feinde der Aufklärung
Ohne den Namen Donald Trump zu benennen, spricht Heidenreich von der "inkarnierten Anti-Kant-Personifikation", und dass wir hier bei uns zwar noch keine amerikanischen Verhältnissen haben. Die Feinde und Totengräber der Aufklärung aber längst unter uns sind.
Zur Person: Felix Heidenreich, geboren 1973 in Freiburg, hat in Heidelberg, Paris und Berlin Politikwissenschaft, Philosophie und Geschichte studiert und lehrt an der Universität Stuttgart. Zudem ist er wissenschaftlicher Koordinator am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität. Heidenreich publiziert zur politischen Theorie, Kulturtheorie und Kulturpolitik, hat zu "Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg" geschrieben, "Demokratie als Zumutung", "Nachhaltigkeit und Demokratie". Der Familienvater lebt in Stuttgart.