Künstlerduo aus Berlin sammelt Fotos von kreativen Botschaften auf Kinoanzeigentafeln
Normalerweise kündigen Kinoanzeigentafeln Filme an. Während des Lockdowns haben einige Betreiber die Flächen für kreative Botschaften genutzt. Rund 200 Beispiele davon haben Simon Dickel und Martin Erlenmaier auf ihrem Blog sleepingscreens.com gesammelt.

Auch eine Ausstellung dazu hat das Duo, das sich Gruppe Karin Dor nennt, kuratiert. Im Interview sprechen die beiden Wahl-Berliner über das Fotoprojekt, die Anzeigentafel als Spiegel der Zeitgeschichte und Filme, auf die sie sich freuen.
Wann haben Sie bemerkt, dass die Anzeigentafeln kreativ genutzt werden?
Martin Erlenmaier: Ich habe mit einem Kompagnon zusammen ein kleines, altmodisch aussehendes Kino, das Bundesplatz-Kino. Vor der Pandemie standen immer Filmtitel auf unserer Anzeigentafel, und plötzlich gab es nichts anzukündigen, dadurch bekam sie eine andere Bedeutung. Nachdem wir schließen mussten, hatte ich das Gefühl, da muss was hin, was Positives. Simon Dickel: Wir mussten uns ja auch irgendwie beschäftigen, also sind wir im ersten Lockdown durch Berlin gefahren und haben geschaut, was haben andere Kinos hingeschrieben und haben das fotografiert. Dann haben wir auch Freunde in anderen Städten kontaktiert und die ebenfalls losgeschickt.
Wie man sieht, stammen die Fotos nicht nur aus Deutschland.
Dickel: Es gibt Fotos aus Australien, den USA, England und so weiter. Was wir gelernt haben, ist, dass diese Anzeigentafeln offenbar kulturgebunden sind. Es gibt sie im angloamerikanischen und deutschen Sprachraum, aber in südeuropäischen Ländern sind sie offenbar nicht so üblich. Auch in Deutschland ist mir aufgefallen, dass es wohl in Köln und Berlin ganz viele gibt, aber in Hamburg ganz wenige. Warum das so ist, weiß ich nicht.
Es sind auf den Anzeigentafeln ja nicht nur Durchhalteparolen zu lesen. Was bringen die Kinobetreiber darauf zum Ausdruck?
Dickel: Manche spielen auf Filmtitel an. Am Anfang der Pandemie war auf der Tafel eines Kinos zum Beispiel "Home Alone" zu lesen, also der englische Titel des Films "Kevin allein zu Hause". Als vor Weihnachten der zweite Lockdown kam, schrieb jemand "The Nightmare before Christmas". Oder in Anspielung auf die zweite Welle: "Wir mögen die Nouvelle Vague, aber nur im Kino". Meistens sind es lustige Sachen.

Es sind aber auch politische Statements darunter...
Dickel: Ja, das konnte man bei den Kinos in den USA gut sehen. Gleich mehrere Kinos schrieben "Black Lives Matter" auf ihre Tafeln und in Oakland gibt es ein Kino, da stand damals "The End of Donald Trump" als fiktiver Filmtitel mit Bezug zur Zeitgeschichte. Als den Opfern der Terroranschläge in Hanau gedacht wurde, nannte aber auch ein Kino in Berlin alle deren Namen. Wenn man sich den Blog anschaut, kann man sehen, wie sich auf den Tafeln Zeitgeschichte widerspiegelt. Als etwa als asiatisch wahrgenommene Menschen angegriffen wurden, forderten einige Kinos "Stop Asian Hate". Erlenmaier: Es kommt auch ein bisschen auf den Stadtteil und den Ort an, welche Bezüge hergestellt werden.
Verraten die Kommentare auf den Anzeigentafeln etwas über den Ort?
Dickel: Ich würde schon sagen, dass beispielsweise an Kinos in Neukölln eher englischsprachige Botschaften stehen, woran man ablesen kann, dass es ein sehr internationaler Stadtteil ist. Wohingegen in anderen Stadtteilen eher Kommentare auf Deutsch angeschrieben ist.
Wenn die Kinos demnächst hoffentlich wieder öffnen, auf welche Filmankündigung freuen sie sich ganz besonders?
Dickel: Auf "Nomadland". Und auf "Genderation" von Monika Treut freue ich mich auch. Für ihren Film "Gendernauts" hat sie vor 20 Jahren in einer Community in San Franscisco Leute interviewt, die eine Geschlechtsangleichung gemacht haben, jetzt, für ihren neuen Film, der auch auf der Berlinale lief, hat sie die Leute nochmal getroffen. Erlenmaier: Ich freue mich auch auf "Nomadland". Und auf den dänischen Film "Der Rausch", den ich vor einem halben Jahr auf der Filmkunstmesse schon gesehen habe und der sehr mitreißend ist. Sehr unterhaltsam, aber auch herausfordernd ist außerdem "Contra" von Sönke Wortmann mit Christoph Maria Herbst zum Thema Rassismus.
Gruppe Karin Dor
Die Karl-May-, Hitchcock- und Bond-Aktrice Karin Dor ist Namensgeberin für die Künstlergruppe, zu der sich Martin Erlenmaier (62) und Simon Dickel (47) zusammengeschlossen haben. "Dor steht für deutsches Kino der Sechziger, drehte aber auch international ", so Erlenmaier, der aus Baden-Württemberg stammt und Mitbetreiber des Bundesplatz-Kinos in Berlin ist. Der gebürtige Nordrhein-Westfale Simon Dickel ist Professor für Gender und Diversity Studies in Essen.