Jazz nach Noten mit den Stuttgarter Salonikern
Weihnachtskonzert mit dem Saloniker String and Swing Orchestra beim Heilbronner Jazzclub Cave 61 im Alten Theater Sontheim. Originelle Jazzstandards aus 100 Jahren.

Was wurden in diesem Jahr nicht für Jubiläen begangen. Die Reformation wurde stolze 500 Jahre alt, Maria Theresia 300, Wilhelm von Humboldt 250, ja, auch ein gewisser John F. Kennedy hätte seinen 100. Geburtstag gefeiert.
Ein wenig untergegangen in den Jubelarien ist eine kleine Begebenheit, die sich ein paar Hundert Meilen südlich von Massachusetts zugetragen hat. Wenige Wochen vor Kennedys Geburtstag im Februar 1917 ist in New York City Ungeheuerliches passiert. Eine Band aus New Orleans, die eine Musikrichtung pflegte, die dem höchst suspekten, unzivilisierten Underground zugerechnet wurde, ging ins Tonstudio. Die erste Schellackplatte des Jazz, so die Legende, entstand in jenen Februartagen, eingespielt von der Original Dixieland Jass (!) Band. So richtig sicher war man sich damals noch nicht, wie man die neue Musik nennen oder gar schreiben sollte. Nur einig war man sich: Diese Musik war rau, schnell und laut. Und, wie die Oberschlauen süffisant anmerkten, durchaus nicht salonfähig.
Hundert Jahre später steht ein sichtlich amüsierter Kapellmeister namens Patrick Siben auf der Bühne des sehr gut besuchten Alten Theaters in Sontheim. Er hat seine Stuttgarter Saloniker mitgebracht, an diesem Abend im Gewand des Saloniker String and Swing Orchestra: ein wohlerzogenes Oktett in Frack aber ohne Zylinder, dem man alles mögliche nachsagen kann, nur nicht, dass sie rau, schnell oder gar laut wären, schon gar nicht laut im Sinne von frech und rebellisch.
Das Orchestra spielt Jazz nach Noten, was in einem Jazzclub wie dem Cave 61, der sich dem Modern Jazz verpflichtet fühlt, zu vereinzelten Lachern führt. Auf der immer wieder erfrischenden Seite jazzstandards.com hat sich Patrick Siben umgeschaut und Originalpartituren aus jenen Tagen ausgegraben, als der Early Jazz frisch und munter war. Allerlei Originelles ist ihm da zwischen die Finger geraten, die Stücke, die im Laufe der letzten Jahrzehnten zu Standards wurden, waren einfach well-made. Ein wenig krampfhaft hält sich Siben dann an einer wie auch immer zusammengetragenen Liste der 1000 besten Standards fest, als ob die Stücke vom Count (Basie) oder dem Duke (Ellington) irgendwie vergleichbar oder gar messbar wären. Jazz-Adel ist Jazz-Adel.
Dem gut aufgelegten Orchestra, das an diesem Abend mit den beiden Lokalmatadoren Stefan Koschitzki an den Saxofonen und der Klarinette und Benno Reinhard an der Posaune vervollständigt wird, tut das keinen Abbruch: Sie swingen sich durch den Abend mit Gassenhauern wie "Ain"t She Sweet", "Over the Rainbow" und "Caravan", den Nummern 650, 63 respektive 17 auf dieser so amüsanten wie suspekten Ewigkeitsliste, die − Achtung unnützes Wissen − von der Jazzballade "Body and Soul" aus dem Jahr 1930 gekrönt wird.