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In den Fluchten einer finsteren Unterwelt

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Filmemacher Tarek Ehlail präsentiert sein Werk "Volt" im Kinostar-Arthaus

Von Leonore Welzin
Regisseur Tarek Ehlail nach der Präsentation seines Spielfilms "Volt" im Foyer des Kinostar-Arthauses HN
Regisseur Tarek Ehlail nach der Präsentation seines Spielfilms "Volt" im Foyer des Kinostar-Arthauses HN  Foto: Welzin, Leonore

Du pennst dich jetzt mal aus, ich geh vögeln, und wir seh'n uns morgen wieder." So hört sich ein Dialog unter Freunden an. Wir sind im jüngsten Film von Tarek Ehlail. Die Freunde sind Polizisten, übernächtigt, ausgelaugt und ziemlich durchgefrustet. Ehlail stellt das Elend der Exekutivmacht dem Elend der Flüchtlinge gegenüber. Im Jargon der Polizisten heißen sie Zigeuner, Kanaken oder Scheiß-Transitgesindel, was politisch ebenso unkorrekt ist, wie die Staatsbeamten Scheiß-Bullen zu nennen.

Hochspannung

Der Titel "Volt" verspricht Hochspannung. Bewaffnet mit Popcorn − ökologisch korrekt aus recyclebaren Packpapier-Tüten − goutiert das Publikum das kurzweilige Catch-as-catch-can-Vergnügen. Mit gesteigerter Aufmerksamkeit, denn in der Heilbronner Premiere im Kinostar-Arthaus sitzt der Regisseur. Er wird im Anschluss Fragen beantworten.

Der Film, als Drama einer nicht allzu fernen Zukunft konzipiert, wurde von der Realität eingeholt. Deutschland hat Transitzonen an seinen Grenzen errichtet. Tausende Flüchtlinge warten in großen Lagern auf Einbürgerung beziehungsweise den Rücktransport. Als Provisorium angelegt, haben sich die Menschen im Lager häuslich eingerichtet. Quasi ein rechtsfreier Raum, in dem die Situation ständig zu eskalieren droht.

In den Reihen der Einsatzkommandos steht der Polizist Volt (Benno Fürmann). Bei einer der nächtlichen Aktionen begeht er eine folgenschwere Tat: Er tötet den Flüchtling Hesham (Rony Harrisson). Das Verbrechen bleibt zeugenlos, doch die Schuldgefühle, die in ihm aufkeimen, beginnen ihn zu zerfressen. Sie treibt Volt zunehmend und immer tiefer in die Welt seines Opfers − bis in die Arme von LaBlanche (Ayo), der Schwester des Toten.

Rau, hart und kalt inszeniert Ehlail die subkulturellen Slums. Rauchschwaden strömen, scharfes Gegenlicht schneidet durch die Fluchten dieser finsteren Unterwelt. Die Flüchtlinge (und ein veritables Huhn) irren wie Kanalratten im Kessel aus Enge, Angst und Aggression umher. Während die Flüchtlinge vereinzeln, lässt Ehlail die Polizisten geschlossen im Rudel agieren. Die Kamera ist oft unerträglich nah dran, wenn geliebt und gefoltert, gekifft und gekotzt wird. Druckvolle Beats der Hip-Hop-Durchstarter Genetikk und roher, elektronischer Industrie-Sound von Alec Empire peitschen die Eskalation voran.

Die Öffentlichkeit will einen Täter. Das Einsatzkommando wird verdächtigt. "Ich frage euch das letzte Mal", herrscht der Einsatzleiter (André M. Hennicke) seine Truppe an: "In der Transitzone hat"s einen Blacky erwischt. Hat jemand was dazu zu sagen?" An der Grenze von Sprache, Anstand und Moral erhöht auch das wirkungsvoll inszenierte Schweigen den Druck.

Der 80-minütige Film wurde in und um Köln sowie im Saarland gedreht. Das Budget von 1,7 Millionen Euro sei knapp bemessen, ebenso die Drehzeit von 21 Tagen. Dennoch empfindet er es als Luxus, einen solchen Film verwirklichen zu können − zumal er weder einen Schulabschluss noch eine akademische Ausbildung habe, fügt er fast entschuldigend an. Dafür hat er Regie-Vorbilder wie den dänischen Filmemacher Nicolas Winding Refn und Amateur- und Dokumentarfilme sowie eine Handvoll Musikvideos produziert, bevor er sich 2011 an den ersten Spielfilm wagte.

Gewaltfantasien

"Volt" ist sein dritter Spielfilm, ein klassischer Autorenfilm, bei dem er als Drehbuchschreiber und Regisseur die Entscheidung habe. Manches hätte er gern stärker zugespitzt, aber er sei doch nur Honorarkraft im Interessengeflecht der Produzenten. Wenn der Regisseur nur seine Gewaltfantasien verwirkliche, sei das nichts für einen Sender wie Arte. Wäre er am Eröffnungsabend der Berlinale lieber in Berlin als in Heilbronn? "Ich bin ein Kleinstadt-Boy mit Großstadterfahrung. Berlin ist der letzte Ort, wo ich sein möchte. Seit dem Mauerfall existiert Berlin nicht mehr: Wie da um Anerkennung gebettelt wird − das ist erbärmlich".

 

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