Der Dichter als Nomade und Menschenfreund: José Oliver auf dem Theaterschiff Heilbronn
Warum eine Autobahnraststätte ein Schreibtisch ist: Der badische Andalusier und Präsident des deutsch Pen-Clubs José F. A. Oliver erzählt auf dem Theaterschiff und stellt seinen Essayband "In jeden Fluss mündet ein Meer" vor.

Ich bin auch Dichter, wenn ich frühstücke, wenn ich schlafe", sagt José F. A. Oliver. "Ich bin auch Dichter, wenn ich nicht schreibe." Dichter sein ist für ihn eine Daseinsform. Oliver schreibt ohne Druck, erzählt er, Schreibblockaden kennt er nicht.
Auf dem Theaterschiff Heilbronn hat der mehrfach ausgezeichnete Autor und Heinrich-Böll-Preisträger nun seinen kürzlich bei Matthes & Seitz erschienenen Essayband "In jeden Fluss mündet ein Meer" (128 Seiten, 22 Euro) vorgestellt. Es ist Olivers dritter Essayband, neben zahlreichen Lyrikbänden und Übersetzungen. Am Essay, führt der im Schwarzwald geborene Sohn andalusischer Eltern aus, liebt er das Poetische und Fragmentarische. "Dass man ich sagen darf."
Der erste Blumenhallendichter in der Geschichte der Buga
José F. A. Oliver, Jahrgang 1961, scheint ein Tausendsassa im Literaturbetrieb zu sein, ein Weltbürger mit Bodenhaftung und feinem Gespür für Heimat. Seit Oktober leitet er als Präsident das Pen-Zentrum Deutschland, bis zum Ende der Bundesgartenschau in Mannheim ist er dort der erste Blumenhallendichter in der Geschichte der Bugas.
In Heilbronn ist José Francisco Agüera Oliver fast schon ein guter alter Bekannter, seit er während der Baden-Württembergischen Literaturtage 1996 in Heilbronn als Dichter auf der Coach in einem Privathaushalt las - und Jahre später zur Einweihung des Literaturhauses. Das hat ihn auch jetzt wiederholt eingeladen, zu einer Präsentation "außer Haus", wie Literaturhauschef Anton Knittel sagt, der durch den Abend führt.
Kapitän und Fischer in Málaga
Tatsächlich erscheint José Oliver das Theaterschiff am Neckar als der geniale Ort, um über "In jeden Fluss mündet ein Meer" ins Gespräch zu kommen. Sein Großvater war Kapitän und später Fischer in Málaga.
Zwei Artikel gibt es für Meer im Spanischen, el mar und la mar. Mit der feinen Unterscheidung Meer und See, aber auch regional bedingt. Während das Spanische also den männlichen und weiblichen Artikel kennt, ist Meer auf Deutsch sachlich. "Schon früh habe ich dem Artikel misstraut", sagt Oliver. Seine ersten Sprachen waren Andalusisch und Allemanisch, dann kamen Deutsch und Spanisch dazu, im Grunde ist er viersprachig.
Stadtschreiber in Kairo
Der Mann, der in Hausach geboren ist, wo er heute lebt, war Stadtschreiber in Kairo, hat in der Schweiz, in Spanien, Peru und den USA gearbeitet. Olivers Gedichte wurden im Sydney Opera House tänzerisch umgesetzt. Mit dem Literaturhaus Stuttgart entwickelte er Schreibwerkstätten für Schulen, um Sprachsensibilität von Kindern und Jugendlichen zu fördern, zusammen mit dem Literaturhaus Heilbronn und der Hochschule hat er die Wortstatt Heilbronn auf den Weg gebracht. Als "nomadischen Heimatdichter" hat ihn Ilija Trojanow bezeichnet. Seit über 30 Jahren sind sie befreundet, jeder ist jeweils der erste Leser eines Textes des anderen.
"Wer die Fremde annimmt, auch die eigene, stiftet eine Kultur der Vielfalt" ist dem Band und seinen 14 Essays vorangestellt. Teils sind es autofiktionale Spurensuchen und poetische Erinnerungsstücke, teils poetologische Reflektionen, collagenartige Sprachexperimente, aber auch narrative Kurzprosa. Texte, die, so erzählt Oliver, auch älteren Datums sind, die auf ihren Moment der Publikation warten können, die man einzeln lesen mag, aber auch als eine "große Erzählung".
"Das Gedächtnis ist ein tiefer Brunnen"
"Andalusien ist eine Uhrzeit: ahora", hebt Oliver an. Rhythmisch, bedächtig, zielstrebig und in der sanften Kadenz seiner badischen Heimat liest er. Heimat, wie er später sagt, dieses "wunderschöne Wort", das er sich nicht von den Rechten und Populisten nehmen lassen will. "Alles ist Fluss und das Gedächtnis ein tiefer Brunnen", ist einer der Sätze, den ihm der Großvater in die Träume geschmuggelt hat, schreibt Oliver. Es ist stets Existenzielles, das Oliver verhandelt, Autobiografisches verwoben mit märchenhaften Elementen.
Schon als Kind haben ihn Sätze oft tagelang beschäftigt. Und auch heute geben sie Halt. "Deshalb glaube ich an das Wort", wie er überhaupt ein gläubiger Mensch ist. "Achten sie auf Sätze", gibt José Oliver seinen Zuhörern mit auf den Nachhauseweg. "Weniger Ideologie und mehr Verständnis."
Zur Person: José Francisco Agüera Oliver, 1961 in Hausach geboren als Sohn spanischer Eltern, die als Gastarbeiter aus Málaga in die Bundesrepublik gekommen waren, studierte Romanistik, Germanistik und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Oliver lebt als freier Schriftsteller in Hausach, unterbrochen von Auslandsaufenthalten. Der vielfach ausgezeichnete Lyriker, Essayist, Übersetzer und Collagekünstler ist seit Oktober 2022 Präsident des Pen-Zentrums Deutschland.