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10 000 Fans in der Schleyer-Halle 
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Im hypnotischen Sog: Konzert von Pianist Ludovico Einaudi in Stuttgart

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Ludovico Einaudi ist gefragter Soundtrack-Komponist, einer der meistgestreamten Klassik-Künstler aller Zeiten und ein Phänomen. Am Dienstag ist der Italiener zu Gast in der Schleyer-Halle Stuttgart. So lief der Konzertabend.

Mit dem Rücken zum Publikum und trotzdem nah an seinen Fans: Ludovico Einaudi bei seinem Auftritt am Dienstagabend in der Schleyer-Halle.
Mit dem Rücken zum Publikum und trotzdem nah an seinen Fans: Ludovico Einaudi bei seinem Auftritt am Dienstagabend in der Schleyer-Halle.  Foto: Ranjo Doering

Zurückhaltend kommt der Mann im schwarzen Anzug und Hut auf die Bühne, deutet eine Verbeugung an und setzt sich an den Steinway-Flügel – mit dem Rücken zum Publikum. An dieser Position wird sich auch in den kommenden zwei Stunden nur wenig ändern. Pianist Ludovico Einaudi will im ständigen Blickkontakt mit seinen Mitmusikern stehen, begreift sich auf der Bühne als Teil eines Kollektivs. Die Verbindung zu den Fans entsteht durch die Musik, 10 000 sind am Dienstagabend in die Stuttgarter Schleyer-Halle gekommen und erleben ein beeindruckendes Konzert.

Der Italiener Einaudi ist sicherlich kein Ausnahme-Pianist, aber mit einem feinen Gespür ausgestattet. Seine minimalistische Musik ist geprägt von wiederkehrenden Motiven, von Melodien, die sich langsam zu Bombastausbrüchen steigern. Diese Stücke sind meditative Klanggeflechte, haben etwas Umhüllendes, entwickeln einen hypnotischen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Das ist Musik, die Assoziationen auslöst, in der eine Basismelancholie mitschwingt, die sehnsüchtig ist und gleichzeitig hoffnungsvoll. Der 69-Jährige entwickelt Lieder, die sich in Aufbau, Tempo und Dynamik zwar ähneln – und doch unterschiedlichen Charakter haben.

Viele junge Menschen im Publikum

Gemeinsam mit Künstlern wie Max Richter oder Luke Howard ist Ludovico Einaudi einer der Stars der Neoklassik. Einem Genre, über das viele elitäre Klassikliebhaber gern die Nase rümpfen. Das Konzert in der Schleyer-Halle gleicht mehr einem Pop-Event – obwohl die Schublade Pop für den Pianisten auch schon wieder zu klein ist. Einaudi ist gefragter Soundtrack-Komponist, steuerte Stücke zu Filmen wie „Ziemlich beste Freunde“ oder „Nomadland“ bei, ist einer der meistgestreamten Klassik-Künstler aller Zeiten – auch in Stuttgart sind sehr viele junge Menschen im Publikum.

Einaudis Band ist für sich genommen schon großartig, mit mehreren Streichern, einer Rhythmusgruppe, Akkordeon, Bass und Keyboard – im Zusammenspiel mit dem Pianisten bekommen dessen Lieder noch mehr Tiefe und Struktur. Einaudis Klavier ist dabei der rhythmische Anker zwischen flackernden Streicherklängen und elektronischen Soundeinschüben. Geprägt ist der Abend von Liedern seines aktuellen Albums „The Summer Portraits“, zu denen sich Einaudi von Gemälden inspirieren ließ, die bei ihm Sommerassoziationen, Erinnerungen an Ferien und Urlaube wachriefen, „in der sich die Tage wie Monate und die Monate wie Jahre anfühlten“, wie er es vor kurzem einmal in einem Interview erklärte.

Keine Bühnenshow, keine Effekte

Natürlich spielt er auch die Hits: „Fly“, „Divenire“, „Nuvole Bianche“ „Una Mattina“ und „Experience“. Einaudi braucht keine Bühnenshow, kein Effektspektakel. Die Bühne ist in warmes blaues oder rotes Licht getaucht, immer wieder wird das Licht gedimmt oder fällt ein Spot auf den Flügel und rückt damit den Pianisten in den Fokus. Nur wenige Worte richtet er ans Publikum, legt stattdessen mehrmals dankbar die Hand aufs Herz. Minutenlanger Applaus und Standing Ovations nach der Zugabe „The Tower“ für ein rauschhaftes Konzert.

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