Jürgen Kuttner, 1958 in Ost-Berlin geboren, Radiomoderator, Kulturwissenschaftler, Theaterregisseur, freier Kunstschaffender, war langjähriger Moderator des Rundfunksenders Fritz (RBB) sowie Mitbegründer der ostdeutschen Ausgabe der „taz“. Studium der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Neben seinen Sprechfunkabenden hält Kuttner seit 1996 monatlich sogenannte Videoschnipselvorträge unter dem Titel „Von Mainz bis an die Memel“ an der Volksbühne Berlin. Jürgen Kuttner hat drei Töchter, er ist der Vater von Sarah Kuttner und Lena Brasch.
„Ich meine, Berlin hat ja genug Schwaben“
Warum Ost-Radiolegende Jürgen Kuttner ein großer Fan von Dialekten und Vielfalt ist, Osten und Westen als Himmelsrichtungen versteht und für das Theaterschiff Heilbronn den Abend „Schwabenpower!“ entwickelt hat.

Seit bald 30 Jahren veranstaltet Radiolegende und Theatermann Jürgen Kuttner an der Volksbühne Berlin seine mittlerweile legendären Videoschnipselabende. Für das Theaterschiff Heilbronn hat der bekennende Berliner mit „Schwabenpower!“ eigens einen Abend konzipiert.
Herr Kuttner, wenn ich nun anfange, in meinem Dialekt, Schwäbisch, zu sprechen, würden Sie mich verstehen?
Jürgen Kuttner: Nur zur Hälfte, würde ich mal sagen. Ich meine, Berlin hat ja genug Schwaben, aber die versuchen, sich nicht kenntlich zu machen, die sprechen schon irgendwie hochdeutsch. Ich bin wirklich ein großer Fan von Dialekten und berliner ja selber, aber so richtig Schwäbisch, da käme ich nicht mit.
Dann lasse ich das. Zum Verständnis für uns Wessis: Für viele, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, sind Sie eine Radiolegende.
Kuttner: 15 Jahre lang habe ich eine Art Talkradio gemacht und mit jungen Leuten über alles mögliche gequatscht und viel seltsame Musik gespielt, also Musik, die man sonst im Radio nicht hört. Tatsächlich freue ich mich immer sehr, wenn Leute heute noch sagen, dass ich ihren Musikgeschmack geprägt oder dass ich sie durch ihre Jugendzeit gebracht habe. Weil, in Berlin und Brandenburg, der Mauerfall: Das war ja schon richtig ein Crash und hat für viele alles verändert.
Ihr Wissen über die Schwaben und Heilbronn, woher haben Sie das?
Kuttner: Sie spielen auf „Schwabenpower!“, den Titel der Theaterschiff-Produktion, an? Das war ursprünglich der Titel eines Abends, den ich zum Abschied von Ulrich Khuon als Intendant des Deutschen Theaters Berlin gemacht habe. Ein sehr sympathischer Schwabe aus Stuttgart.
„Spätzle, Porsche, Benz: Mir Schwoba henn’s“, lautet der Untertitel Ihrer Heilbronner Show. Als Eingeborene wird mir mulmig, das klingt doch ziemlich nach Klischee.
Kuttner: Das stammt auch nicht von mir, sondern von den Jungs vom Theaterschiff, der künstlerischen Leitung. Das sind dann die Schwaben selber, die da ihr Klischee vor sich her tragen. Ich bin ein Fremder, der eingeladen worden ist und von außen draufblickt.
Wir wollen nicht alles verraten, aber ein wenig teasern. Was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer?
Kuttner: Der Abend wird erst einmal wie alle meine Videoschnipselabende: Ich erkläre, mal mehr soziologisch, mal mehr komödiantisch. Natürlich ist das so eine Sache und auch vermessen, wenn ein Berliner kommt und den Schwaben sagt, wer sie sind. Aber darum geht es letztlich nicht. Meine Videoschnipselvorträge liegen zwischen Adorno und Quatsch, sind improvisiert und folgen keinem ausgearbeiteten Programm. Ich bin kein Kabarettist.
Sechs Mal treten Sie mit „Schwabenpower!“ in Heilbronn auf.
Kuttner: Und das ist die Ausnahme, weil ich sonst mit einem Abend einmalig auftrete. Seit 1996 Monat für Monat an der Berliner Volksbühne. Aber auch an Theatern in Hamburg, München, Wien oder Zürich. Jetzt habe ich mich darauf eingelassen, mehrmals mit mehr oder weniger demselben Programm aufzutreten.
Wie kommt die Verbindung zum Theaterschiff zustande?
Kuttner: Ich war ein Mal in Heilbronn zur Premiere, als meine Tochter Lena Brasch auf dem Theaterschiff inszeniert hat. Danach haben mich die jungen Leute vom Schiff überredet. Und tatsächlich finde ich es bemerkenswert, welch’ andere Art von Theater hier versucht wird.
Sie haben es bereits erwähnt, die vielen Schwaben in Berlin. Dass die echten Schwaben und die, die nach Berlin exiliert, wenn nicht geflohen sind, nicht nur unterschiedlich ticken, sondern sich mitunter nicht ausstehen, ist das bekannt in Berlin?
Kutter: Nee. Es ist ja nicht so eindeutig eine Community zu erkennen, wo man sagt, da treffen sich jetzt die Schwaben, und ich kann mal kieken gehen. Es gibt da wohl dieses böse Klischee im Osten, als nach dem Mauerfall die Westdeutschen eingefallen sind und sich die Eigentumswohnungen etwa am Prenzlauer Berg, wo ich wohne, gekauft haben. Die gelten alle als Schwaben. Tatsächlich stehen dort jetzt SUVs und Kinderwägen, größer als mein Auto. Aber nicht nur von Schwaben.
Porsche oder Benz, was fahren Sie?
Kuttner: Einen VW Passat. Doch nochmal zu den Schwaben. In der Schweiz ist mir aufgefallen, dass man dort als Deutscher für die Schweizer generell ein Schwabe ist.
... so wie für die Österreicher alle Deutschen Preußen sind. Herr Kuttner, wie sehen Sie das: Ist seit 1989 zusammengewachsen, was zusammengehört? Also nicht nur, weil Schwäbisch und Sächsisch die unbeliebtesten Dialekte sind bei den Deutschen.
Kuttner: Ich weiß nicht so recht, wie das Zusammenwachsen aussehen sollte. Wenn man an die USA denkt, da haben 250 Jahre nach dem Bürgerkrieg die Südstaatler und die Nordstaatler immer noch ein Bewusstsein einer gewissen Unterschiedlichkeit. Ansonsten wird es endlich Zeit, dass Osten und Westen als Himmelsrichtungen und nicht als politische Kategorie gesehen werden. Deutschland ist bei aller kleingeistig-föderalen Revierverteidigung, etwa bei der Bildung, ein buntes Land mit unterschiedlichsten Regionen, Landschaften, Dialekten. Ich bin ein großer Fan dieser Vielfalt und freue mich immer, sächsische oder schwäbische Töne zu vernehmen. Auch wenn es, für mich als Berliner, nicht unbedingt meine Lieblingsdialekte sind.
„Schwabenpower!“
Ein Videoschnipselabend mit Jürgen Kuttner, Premiere: Freitag, 20 Uhr, Theaterschiff Heilbronn. Weitere Termine: 1. März, 7./8./27. und 28. Juni. www.theaterschiff-heilbronn.com