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Solo mit Wolfram Koch
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Hinter dem Witz lauert die Verzweiflung

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Der Allrounder und „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch glänzt in„Zack. Eine Sinfonie.“ im Schauspielhaus Stuttgart.

Texte von Daniil Charms: Ein Soloabend mit Bühnenstar und "Tatort"-Kommissar Wolfram Koch.
Texte von Daniil Charms: Ein Soloabend mit Bühnenstar und "Tatort"-Kommissar Wolfram Koch.  Foto: Astrid Karger

„Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung. Heroismus, Pathos, Schicksal, Moral, hygienisch Reines, Sittlichkeit und Glücksspiel sind mir verhasste Wörter und Gefühle.“ Daniil Charms, 1905 als Iwanowitsch Juwatschow in St. Petersburg geboren, 1942 zwangseingewiesen in die Psychiatrie, wo er verhungert, durfte zu Lebzeiten kaum publizieren.

1962 in Paris geboren, hat Wolfram Koch seinen ersten Filmauftritt in der Böll-Verfilmung „Ansichten eines Clowns“ als Hans im Kindesalter. Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. 1995 bis 2000 Ensemblemitglied Schauspiel Bochum, seither arbeitet Koch frei an der Volksbühne Berlin, am Deutschen Theater, am Schauspiel Frankfurt und anderswo und spielt im Film und Fernsehen. 

Geboren im Zarenreich, erlebt Charms den Übergang zum kommunistischen System und zur stalinistischen Diktatur. Nicht die staatlich gemaßregelten sozialistischen Realisten haben den sowjetischen Alltag jener Zeit beschrieben. Sondern der Humorist Charms mit Kurzprosa, in Gedichten, Szenen und Dialogen die Absurdität des Lebens geschildert. Erst mit Glasnost in den 80er Jahren werden seine Texte bekannt, in denen Nonsens, kafkaeske Bedrohung und grausamer Ernst ein bitter groteskes Amalgam bilden.  

Mit Selbstironie in den Abgrund blicken

Eine Auswahl dieser absurden Miniaturen verdichtet nun Wolfram Koch zu einem 80-minütigen Theatermonolog. Eine geniale One-Man-Show, die derzeit im Stuttgarter Schauspiel zu erleben ist – und diesen Freitag ein zweites  Mal gegeben wird. Seit vergangenem Jahr zieht Koch mit „Zack. Eine Sinfonie.“ durch die Theater, ein Soloabend zum Niederknien, ein schaurig-schönes Spiel, das dem begeisterten Publikum einen jener seltenen Momente beschert, in dem es vergisst, dass die Person da vorne und oben auf der Bühne „nur“ spielt.

Dem Fernsehpublikum als Frankfurter Hauptkommissar Paul Brix bekannt, ist Wolfram Koch vor allem ein begnadeter Bühnenkünstler an Deutschlands ersten Häusern, ein Allrounder und derzeit als Mephisto in „Faust“ am Schauspiel Frankfurt zu bewundern.  Dem Grauen des Totalitarismus mit Witz begegnen und mit Selbstironie in den Abgrund blicken, wer könnte das besser als Koch. Mit Jakob Fedler (Regie) und Dorien Thomsen (Ausstattung) hat er mehrfach zusammengearbeitet, ihr „Zack“ ist im Wortsinn eine Sinfonie der Bühnenkunst, wenn Wolfram Koch als Clown und Spieler brilliert.

Zwischen Pointenverweigerung und Pointenvernichtung

Hinter dem Witz lauert die Not der Figuren, in die Koch schlüpft, atemberaubend schnell wechselt er Identitäten. Erzählt, tänzelt, bläst eine Tröte, streut Konfetti in die Grauzone von Verzauberung und Entzauberung. Mal mit Schalk im Nacken, mal mit staunendem Entsetzen anverwandelt sich der Komödiant und Tragöde Koch Charms bitterböse Texte zwischen Pointenverweigerung und Pointenvernichtung. Erzählt Bizarres und Grausames, mitunter wenige Sätze nur und verbindet die Schnippsel zum großen Ganzen des Monstrums Leben.

Auf der Bühne steht ein Schrank, wer es weiß, aber das muss nicht sein, versteht das als Hinweis auf die erste öffentliche und spektakuläre Veranstaltung Charms mit Schriftstellerkollegen 1928 unter dem Motto „Die Kunst ist ein Schrank“.  Ein vermeintlich unscheinbares Ding, wenn man den Kasten öffnet, sieht man den goldenen Lamettavorhang, durch den Koch springt, seine Auftritte zelebriert. Und durch den er verschwindet, um von der Seite wieder aufzutauchen. Der scheinbar beiläufigen Präzision von Kochs Spiel zuzusehen, ist ein Genuss. Wenn er von (s)einer Geburt berichtet, das Stück „Don Juan“ ankündigt, von der Bühne steigt, an der Wand lehnt und beobachtet, während sich nichts tut. „Zuschauer, denk’ dich hinein in diese Fabel“, wird er uns auffordern, so dass „Zack“ zur Reflexion gerät über die Macht der Fantasie gegen die Zumutungen des Lebens.

Hinreißend komisch und nie peinlich

Hinreißend komisch ist das und nie peinlich. Wo andere in Glitzeranzug, rosa Rüschenhemd und knielangen Unterhosen schnell lächerlich wirken mögen, fängt Wolfram Koch selbst in der Wiederholung den Witz ein und offenbart dessen doppelten Boden. Das Ballett der Unzertrennlichen, die Opernparodie, die Episode von der Professorengattin, die  ins Irrenhaus weggesperrt wird und dort nach unsichtbaren Fischen angelt: Das Motiv der Verhaftung und der Gewalt irrlichtert durch Charms Texte, das Ausgeliefertsein, die Sehnsucht und immer wieder das dadaistische Wortspiel. So anrührend, so traurig, so komisch kann Theater sein.

Nächste Vorstellung

Freitag, 17. Januar, 19.30 Uhr.

Texte von Daniil Charms: Ein Soloabend mit Bühnenstar und „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch.
Foto: Astrid Karger
Texte von Daniil Charms: Ein Soloabend mit Bühnenstar und „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch. Foto: Astrid Karger  Foto: Astrid Karger
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