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Festival Science & Theatre
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Emotionale KI oder: Wer ist Herrchen, wer Diener?

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Die katalanische Company Iron Skulls tanzt und spielt zum Abschluss von Science & Theatre mit einem Roboterhund in „Famulus 4.0.“: Was vermögen Tänzer, was die KI nicht kann? 

Ist er nicht süß? Die vier Performer der Iron Skulls Company
verhandeln tänzerisch Fragen der emotionalen KI.
Ist er nicht süß? Die vier Performer der Iron Skulls Company verhandeln tänzerisch Fragen der emotionalen KI.  Foto: David B. Rock

Soeben vom Cambridge Dictionary zum Wort des Jahres erkoren, beschreibt der Begriff „parasozial“ das einseitige emotionale Verhältnis eines Menschen zu einer fiktiven oder realen Person: in der Literatur, im Film, in den Medien. Kein neues Phänomen und von der Wissenschaft seit Ende der 50er Jahre diskutiert, bekommen parasoziale Beziehungen mit künstlichen Intelligenzen eine neue Dimension. Vielschichtiger, aber auch riskanter.

Zum Abschluss des fünftägigen Festivals Science & Theatre am Sonntag verhandelt die katalanische Iron Skulls Company das Thema emotionale KI mit den Mitteln des Tanzes. Dabei ist, was Iron Skulls auf die Bühne des Science Domes in der Experimenta bringt, kein klassischer Tanz, vielmehr ein Mix zeitgenössischer Tanzstile. Ein Bewegungstheater, das vom Urban Dance, Breakdance und Hip-Hop, kommt – und auf Fragen der Zeit reagiert. In „Famulus 4.0.“ ist es die Annäherung an einen Roboterhund.

Wenn die Verhundung voranschreitet

Der Tanz mit dem gesteuerten Vierbeiner, der den Performern ästhetisch nicht das Wasser reichen kann, ist gleichermaßen befremdend wie berührend wie komisch, je mehr die Vermenschlichung, sprich Verhundung von Robi voranschreitet. „Famulus 4.0.“ spielt auf das lateinische Wort für Diener an und mit der Vorstellung, wer hier wem dient. Dabei könnte der Roboterhund keine Tatze vor die andere setzen, würde er nicht mit menschlichem Bewegungsmaterial gefüttert.

Tänzerisch-spielerisch und erzählend zeigen die Performer Luis Munoz, Diego Garrido, Moisés Gordo Gomez und Héctor Plaza – von ihnen stammen auch Idee und Choreographie – wie es ist, eine soziale Beziehung zu einer Maschine aufzubauen. Der Grat ist schmal, wenn Menschen Emotionen zu Dingen entwickeln. Wie abhängig machen wir uns von KI-generierten Wesen, die Lebendigkeit vorgaukeln?

Ketzerische Frage: Hat der Tanz das nötig?

Im Science Dome zappt sich ein Tänzer durch digitale  Plattformen in verschiedenen Sprachen. „Vorfreude. Am 25. November startet der Käthchen-Weihnachtsmarkt“, dann wechseln sich spanische Wortfetzen ab mit Gejodel. Rhythmische Beats setzen ein in astreiner Akustik, ein zweiter Tänzer kommt dazu, ein dritter, ein vierter. Auf dem Tanzuntergrund, ein beiges Fell, das an Hundefell erinnert, verlinken sie fließend ihr Bewegungsvokabular aus Contact, Modern, Urban und mehr, folgen auf rasante Richtungswechsel und Schulter-Moves Momente in Slow Motion. Und entstehen skulpturale Körperformationen.

Die katalanische Truppe Iron Skulls Co kombiniert seit 2013 eine Mischung aus unterschiedlichen Tanzstilen. Breakdance, zeitgenössischer Tanz, Popping, Kontaktimprovisation, Flamenco, auch Butoh, Salsa, Lindy Hop – und das immer unter Einbeziehung tanzfremder Elemente, was ihren Produktionen eine Theatralität verleiht. Die Company wurde mit dem Hip-Hop Award Burgos und beim New York Internationale Dance Contest ausgezeichnet.

Auf den Roboterhund, er könnte auch eine Riesenheuschrecke sein – grün leuchtet das zentrale Auge –, reagieren sie kurz irritiert, dann offen, neugierig, nachgerade freundlich gegenüber diesem Alien. „Venga, venga“, fordern sie auf. Ketzerische Frage: Hat der Tanz das nötig?

Technisch ist „Famulus 4.0.“ ein reizvolles Experiment. Das zeigt: Real existierende Tänzer sind einem Roboterhund haushoch überlegen – nimmt man die natürliche Bewegung mit all ihrem Risiko zu Fehltritten als Maß. Die Frage nach emotionaler KI ist nichtsdestotrotz eine dringliche, die Iron Skulls mit Augenzwinkern durchdekliniert.

Maschinen brauchen keine Ferien

Da gibt es beklemmende Szenen wie den Zweikampf zwischen Mensch und Roboterhund und sind die Sympathien klar verteilt. Sind sie es wirklich? Robi wird trainiert wie ein echter Hund, lernt Männchen machen. Wird an die Leine gelegt. Und alles zu verführerisch tanzbarer Musik. Eine englischsprachige Frauenstimme aus dem Off spricht davon, dass Menschen normal sein wollen, problematisiert Domestizierung, aber auch, dass Wesen, die weder Ferien brauchen noch Depressionen bekommen, der Traum eines jeden Chefs sind. Können Gefühle programmiert werden? Als Kopie der Kopie? Und diese Frauenstimme? Ist Robi weiblich? Oder das Prinzip, das dahinter steckt?

Ein Bild wie von einem spanischen Altmeister

Plötzlich erstarrt der Roboterhund, reglos, als hätte einer den Stecker gezogen. Auf einer schwarzen Tafel wird er aufgebahrt, die vier Performer – seine Herrchen oder Diener? – sind untröstlich. Wie auf dem Bild eines spanischen Meisters formen ihre Körper sich zu einer Pietà. Ein Tableau, wie es nur Tänzer zu schaffen vermögen. Doch nun tritt ein Techniker auf die Bühne und wechselt Robis Batterie aus. Der Alien beginnt, Flamenco zu tanzen oder was ein Roboter dafür hält und weitere Moves. Bei aller Sympathie für den Roboter, soweit das möglich ist, Sympathieempfinden soll ja eine menschliche Schlüsselkompetenz sein: Der Beifall gilt den Tänzern, ihrer Idee und den Technikern, die sie umsetzen.

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