„Endstation Sehnsucht“ („A Streetcar Named Desire“) wurde 1947 am Ethel Barrymore Theater in New York uraufgeführt und bis zum Dezember 1949 am Broadway 855 Mal auf die Bühne gebracht. 1948 erhielt Tennessee Williams den Pulitzer-Preis für das Drama, das im gleichen Jahr als „Best Play“ ausgezeichnet wurde. Das Stück wurde mit Marlon Brando in der männlichen Hauptrolle in der Regie von Elia Kazan sowohl uraufgeführt als 1951 verfilmt. In Zürich fand 1949 die deutschsprachige Erstaufführung statt, die deutsche Erstaufführung 1950 am Stadttheater Pforzheim.
Dieses vage Gefühl, das jeder kennt
„Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in der Regie von Elias Perrig im Großen Haus des Heilbronner Theaters: Was uns bei der Premiere diesen Samstag erwartet.

Seit der Uraufführung 1947 in New York gibt es zwei Lager: Die einen verstehen und inszenieren Blanche als pathologischen Fall, als neurotischen Eindringling. Die anderen heben das Feine, Differenzierte der Figur hervor, eine sensible Frau, die an den Umständen zerbricht.
Elias Perrig fühlt sich dem letzteren Lager zugehörig, „eindeutig“, sagt der Regisseur. Diesen Samstag wird seine Sicht auf Tennessee Williams’ Bühnenstück im Großen Haus des Heilbronner Theaters Premiere haben, mit englischen Übertiteln.
Der Prototyp eines gewaltbereiten Proletariers
Juliane Schwabe verkörpert Blanche DuBois, eine Südstaatenschönheit aus gutem Hause, wenngleich das mit der Schönheit, vor allem mit dem guten Hause Vergangenheit ist. Der Familienbesitz Belle Rêve musste versteigert werden, fast alle Familienmitglieder sind tot. Nach dem Scheitern ihrer Ehe verliert Blanche ihre Stelle als Lehrerin, nun bleibt ihr einzig die jüngere Schwester, die mit ihrem Mann, dem proletarischen Stanley Kowalski, in New Orleans lebt.
Kowalski, Sohn polnischer Einwanderer, ungehobelt und gewaltbereit, ist der Gegenentwurf zur kultivierten, auch blasierten Blanche. Beide verachten einander unverhohlen. Stella ist ihrem Mann Stanley verfallen, und doch gibt es eine Nähe zwischen den Schwestern. Sowohl Blanche als auch Kowalski versuchen, Stella zu dominieren, auf unterschiedliche Weise.
Wie ein Brandbeschleuniger
Wenn Blanche ihre Herkunft betont und ihr Entsetzen über die miesen Wohnverhältnisse der Schwester, wirkt das wie ein Brandbeschleuniger: Die Spannungen zwischen den dreien münden in eine Katastrophe. Finanziell und gesellschaftlich abgestiegen, kommt Blanche nicht zurecht mit der unfreiwillig neuen Situation.
Was folgt, wenn Lebensträume verpuffen? Mehr Traumata denn Träume verhandelt Williams in seinem Psychodrama, meint Elias Perrig und nennt es lieber Sehnsucht. „Sehnsucht ist diffuser als Lebenstraum“, ein Gefühl, das jede und jeder kennt. „Desire eben“, fährt Perrig fort, „es hat auch mit Sexualität zu tun.“ Tennessee Williams verhandelt sehr persönliche Dinge, die unverrückbar sind. An den Konflikten hat sich wenig verändert, die sind archaisch menschlich, „da kann man heute andocken“. „Jede Figur ist nachvollziehbar, man kann sie verstehen“, das schätzt Juliane Schwabe sowohl am Stück als an Perrigs Herangehensweise.
Nervt Blanche in ihrer dünkelhaften Affektiertheit nicht doch mitunter? „Nein, sie versucht, sich zu retten, ist mutig auf ihre Art“, findet Schwabe die Figur eher „anrührend in ihrem Versuch, in dieser rauen Welt klarzukommen.“ Blanche verfolgen Dämonen aus ihrer Vergangenheit, sie trägt große Schuld, umreißt der Regisseur einen weiteren Konflikt. Nun ist der Begriff sympathisch „extrem subjektiv“, und doch, sagt Elias Perrig, „finde ich sie unglaublich sympathisch in ihrem Festhalten am guten Benehmen, an Kultur und Zivilisation. Das fehlt uns heute, dieser Glanz, das Feine“. Sicher pflegt Stanley alles andere als gutes Benehmen, verliert vielmehr die Kontrolle über sich. Doch auch er kämpft um seine Liebe, um Stella, seinen Stern. „Der Abend gibt nichts vor, er verurteilt nicht, er zeigt“, sagt Juliane Schwabe.
Menschen auf der Bühne schonungslos beschreiben
Wenn es gelingt, die Sehnsucht, die wir alle in uns tragen, als etwas Vages zu transportieren, in diese Ambivalenz hineinzuziehen und die Sympathien für die Personen nicht schwarz-weiß zu verteilen, ist sein Konzept aufgegangen, meint Elias Perrig. Ist dieses Ringen um Anerkennung und das Hadern mit dem Abstieg sehr amerikanisch?
„Endstation Sehnsucht“ steht in der amerikanischen Tradition von Stücken, die Menschen auf der Bühne schonungslos beschreiben. Auch betont Kowalski, wie stolz er ist, Amerikaner zu sein. Diese Selbstverständlichkeit, Zwischenmenschliches unverblümt darzustellen, berührt. Das Publikum bangt mit, weil es die Mechanismen kennt, sagen Regisseur und Schauspielerin.
„Endstation Sehnsucht“
Premiere: 1. November, 19. 30 Uhr,Großes Haus, Theater Heilbronn
Regie: Elias Perrig, Bühne: Wolf Gutjahr
Mit Juliane Schwabe, Sophie Maria Scherrieble, Sven-Marcel Voss, Tobias Loth, Judith Lilly Raab, Nils Brück.

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